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Grüner Diskurs und Friedensbewegung: Konsequent gegen den Irak-Krieg. Aber wie?

Ein Positionspapier von Uli Cremer (Hamburg) und eine Ermahnung von Silke Reinecke (Göttingen)

Unabhängig voneinander haben Uli Cremer, früher Sprecher der AG Frieden der Grünen, und Silke Reinecke, Mitarbeiterin im Bundesausschuss Friedensratschlag, ihre Gedanken über den gegenwärtigen Kurs der Bundesregierung und die angemessenen Reaktionen der Friedensbewegung darauf formuliert. Beide Autoren sind den Besuchern der Friedenspolitischen Ratschläge bestens bekannt. Wir finden es reizvoll, beide Papiere hier zur Diskussion zu stellen. Uli Cremer diskutiert gewissermaßen in Richtung grüne Basis und plädiert sogar für einen "Schulterschluss" mit Gauweiler, Silke Reinecke dagegen will die Friedensbewegung gegen Umarmungsversuche der Bundesregierung immunisieren.


Uli Cremer:
Positionspapier
Konsequent gegen den Irak-Krieg: Wünschenswert, notwendig und möglich


Am 15.2. hat es mächtige Friedensdemonstrationen in aller Welt gegeben. Trotzdem haben die US-Regierung und die mit ihnen verbündeten Regierungen ihren Kriegskurs nicht aufgegeben. Was ist zu fordern, was ist zu tun? Wie soll sich Deutschland in den nächsten Wochen verhalten? Was sollten wir GRÜNEN tun?

Ein Blick zurück auf die letzten Wochen

Als GRÜNEs Parteimitglied, das in den vergangenen Jahren die Bundesregierung wegen der verschiedenen Kriegsbeteiligungen kritisiert hat, muss ich der Bundesregierung für ihr Anti-Kriegs-Engagement in den letzten Wochen meinen Respekt zollen. Denn nach den irritierenden Äußerungen aus dem Auswärtigen Amt ("Zweite UN-Resolution wünschenswert, aber nicht notwendig") hat die Politik der Bundesregierung seit Januar wieder friedenspolitische Substanz hinzugewonnen, und zwar an zwei zentralen Punkten:

Erstens: In seiner Regierungserklärung vom 13.2. hat Schröder eine andere Auslegung der UN-Resolution 1441 vorgenommen. Er stellt erstens fest, dass "diese Resolution keinen Automatismus zur Anwendung militärischer Gewalt" enthalte und zweitens, dass "das Entscheidungsmonopol auf die Anwendung von Gewalt ... beim Weltsicherheitsrat" bleiben müsse. Kombiniert führen beide Gedanken zu der Notwendigkeit einer zweiten Resolution, will man einen Krieg mit dem Segen der UNO beginnen. Hier ist also zurückgerudert worden. Und das ist gut so.

Zweitens: Zwar ist die u.a. in der breit unterstützten sozialdemokratisch-grünen HAMBURGER ERKLÄRUNG vom 6.1. verlangte Festlegung der deutschen Regierung auf ein NEIN im UN-Sicherheitsrat nicht vollständig erfolgt, aber die Goslarer Rede von Bundeskanzler Schröder war ein mutiger Schritt in diese richtige Richtung. Jedoch ließe sie weiterhin eine Enthaltung zu.

Dass der Schulterschluss mit Frankreich, zu dem der 40.Jahrestag der Elysee-Verträge hervorragend genutzt wurde, zu einem Bündnis mit Russland in der Irak-Frage erweitert wurde, zeigt, dass Deutschland international Verantwortung übernimmt. Dass sich auch China und die Mehrheit der im UN-Sicherheitsrat vertretenen Regierungen der deutsch-französich-russischen Position angeschlossen haben, zeigt, dass das fortgesetzte und nicht nachlassende Gerede über die Isolierung der deutschen Regierung hanebüchener Unsinn ist. Wenn schon gegenwärtig die Isolierung im Gegensatz zu den eigenen Äußerungen nicht eingetreten sei, denken so manche, drohe sie in der Zukunft. Russland und Frankreich seien unsichere Kantonisten. Wenn es ernst würde, wechselten sie die Seite. Dieses ist im Leben immer möglich, aber es gibt keinen Automatismus, dass es so eintritt. Zu Resignation gibt es keinen Anlass. Vielmehr müssen alle an einer friedlichen Lösung der US-Irak-Krise Beteiligten daran arbeiten, dass die internationale Koalition gegen einen Irak-Krieg beisammen bleibt.

Irritierende GRÜNE Stimmen

Leider ist der Friedenskurs der Regierung den letzten Wochen von manchem im Regierungslager nicht konsequent unterstützt worden. In der SPD hat Klose den Dissidenten gegeben, aber auch bei den GRÜNEN gab es kontraproduktive Äußerungen: Kaum war ihre Ministerin zur Demo gegangen, gab Staatssekretärin Uschi Eid dem Frankfurter Allgemeinsamen Sonntagzeitung (16.2.03) ein Interview, in dem sie das NEIN in Zweifel zog. Ein paar Tage vorher hatte MdB Winni Nachtwei ein Positionspapier veröffentlicht. Darin schreibt er: "Tatsache ist aber, dass es für ein Deutschland ... keinen "deutschen Weg" und keinen Alleingang, kein absolutes "Ohne mich" gibt." Anschließend geißelt er einen "deutschen Unilateralismus", der " von den europäischen Nachbarn schnell als bedrohlich empfunden" würde. Diese Formulierungen wurden natürlich als Dolchstoß in den Kanzlerrücken wahrgenommen.

Wie weiter im UN-Sicherheitsrat?

Angesichts der weltweiten Widerstände gibt die Bush-Regierung nicht auf, sondern versucht den Weg in den Krieg freizumachen. Der Entwurf für eine zweite UN-Resolution liegt seit dem 24.2. auf dem Tisch. Aber dieser politische Zug ist kein Zeichen von politischer Stärke: Die Position, dass die Resolution 1441 per se eigentlich schon zum Krieg ermächtige, musste sogar auch von der Bush-Regierung fallengelassen werden. Das ist nicht die erste Position, die von Washington im letzten halben Jahr geräumt wurde; ursprünglich hatte man die Dinge ja ganz aus dem UN-Sicherheitsrat heraushalten wollen.

Ein Grund mehr, die Dinge in aller Ruhe zu analysieren.

Halten wir noch mal die Fakten fest: Die UN-Resolution 1441 enthält an keiner Stelle eine Ermächtigung zur Durchführung von Kampfeinsätzen nach Kapitel VII der UN-Charta. Vielmehr beschließt der Sicherheitsrat, "mit der Angelegenheit befasst zu bleiben". Das bedeutet üblicherweise, dass er sich erneut mit dem Thema befassen wird und dabei selbstverständlich einen neuen Beschluss fassen kann. Der Sicherheitsrat nimmt sich in der Resolution 1441 vor, bei einem mutmaßlichen Bruch der Resolution durch den Irak, das Thema zu behandeln. Dieser würde also politisch bewertet, und es würden Maßnahmen (z.B. kriegerische) beschlossen. Es handelte sich um einen neuen Beschluss, eine Variante der vielzitierten zweiten Resolution.

Fasst der UN-Sicherheitsrat keinen Beschluss, gilt weiter der Status Quo, d.h. es gäbe weiterhin keine UN-Ermächtigung zum Krieg und man hätte sich an das in der UN-Charta verankerte Verbot eines Angriffskrieges zu halten. Vor diesem Hintergrund ist die französisch-russisch-deutsche Position, man brauche keine weitere Resolution, hochsinnvoll. Sie sollte natürlich weiter beibehalten werden, denn mehr Inspekteure kann man auch auf Grundlage der bestehenden Resolution in den Irak schicken.

Wie ist also im Sicherheitsrat ein Mandat für einen Kampfeinsatz nach Kapitel VII der UN-Charta zu verhindern? Offensichtlich muss man nur dafür sorgen, dass es entweder zu keinem neuen Beschluss kommt. Denn es erscheint aktuell höchst unrealistisch, einen neuen Beschluss durchzusetzen, der wiederum ausdrücklich keine Kampfeinsätze nach Kapitel VII vorsieht.

Die US-geführte Koalition der Kriegswilligen setzt jedoch an der bestehenden Fehlinterpretation von Resolution 1441an: Sobald der Sicherheitsrat einen "ernsthaften Verstoß" des Iraks beschlösse, sei automatisch eine Ermächtigung zum Krieg erteilt. Das ist der relevante Inhalt des am 24.2. vorgelegten Beschlussvorschlags.

Das einfache Gegenrezept, um alle Zweifel auszuräumen, bleibt einfach: Jeglicher neuer Beschluss muss verhindert werden. Die entsprechende rechtliche Möglichkeit haben bekanntermaßen die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates Frankreich, Russland und China, indem sie ihr Veto einlegen. Mit diesen befindet sich die Bundesregierung in Kontakt. Nur ist der eng genug? Wird dem Druck der Bush-Regierung genug entgegengesetzt? Andreas Zumach fragt: "Wo bleibt die Offensive? Wann treffen sich die Außenminister Villepin, Fischer und ihre Amtskollegen aus Moskau und Peking endlich mit UNO-Chefinspekteur Blix, um die möglichst baldige Umsetzung der Initiative zur Verstärkung des Inspektionsregimes zu besprechen?" (taz 20.2.03) Immerhin haben sich am 24.2. die deutsche und französische Führung in Berlin getroffen, dabei dem US-/britisch-/spanischem Resolutionsentwurf medial unmittelbar etwas entgegengesetzt und unterstrichen, dass sie keine Notwendigkeit für eine zweite Resolution sähen.

Das Argument: Erst der Militäraufmarsch hat den Irak kooperationswillig gemacht

Wer prinzipiell militärische Gewalt unterstützt, ist üblicherweise im militärischen Abschreckungsdenken befangen. So haben auch manche GRÜNE PolitikerInnen schwer an dem Argument zu schlucken, dass der US-Militäraufmarsch das irakische Regime an den Verhandlungstisch gebracht habe.

Die Frage ist allerdings, ob die Wiederaufnahme der UN-Inspektionen nicht genauso gut ohne den Militäraufmarsch möglich gewesen wäre. Die Antwort ist: Ja - vorausgesetzt es hätte in den letzten Jahren bei USA und Britannien den ernsthaften Willen zu einer Lösung gegeben.

Die Nicht-Kooperation des Irak 1998 hatte durchaus rationale Gründe. Zum einen gab es - wie sich inzwischen herausstellte: berechtigte - Spionagevorwürfe gegen UN-Inspekteure. Diese markierten offenbar die Ziele, die dann Wochen später von britischen und US-amerikanischen Kampfflugzeugen und Cruise Missiles bombardiert wurden. Außerdem wurde dem Irak seit 1991 eine konkrete Perspektive der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen verweigert. Damals wie heute wäre es sinnvoll, die schrittweise Aufhebung der Sanktionen mit attestierter Abrüstung von irakischen Massenvernichtungswaffen zu koppeln. Nach einer entsprechenden Perspektive hatte die irakische Regierung gefragt und diese Forderung durch Nicht-Kooperation mit den Inspekteuren unterstrichen.

Statt ernsthaft nach einer Lösung zu suchen und eine Perspektive in Aussicht zu stellen, wurden die Inspekteure im November 1998 abgezogen. Am 16.12. begannen US- und britische Regierung ihr Bombardement. Russland warf beiden Westmächten vor, die UN-Charta grob verletzt zu haben. Außerdem solle UNSCOM-Chef Butler zurücktreten, da er sein Mandat überschritten habe. Dieser kam der Forderung nicht nach. Sodann erklärte der Irak, dass keine Waffeninspekteure mehr willkommen seien. Auch später war die Dialogbereitschaft der westlichen Mächte nicht sonderlich hoch ausgeprägt: Im März 2002 hatte der Irak 19 Fragen bezüglich der Inspektionen an den Rat gerichtet, die auf Druck der US-Regierung keiner Antwort für würdig befunden wurden.

Das aktuelle irakische Regime hat in den 80er Jahren Massenvernichtungswaffen eingesetzt, gegen die kurdische Bevölkerung und gegen den damaligen Kriegsgegner Iran. Damit unterscheidet sich das Regime von vielen anderen Diktaturen in dieser Welt. Dass der Irak in den gleichen 80er Jahren u.a. von der damaligen US-Regierung mit Satellitenbildern unterstützt und mit Waffen versorgt wurde, kann nicht als Argument gegen ein langfristiges Kontrollregime zur Abrüstung der irakischen Massenvernichtungswaffen herangezogen werden.

Smarte heiße Abrüstung?

Dass diese Abrüstung unbedingt friedlich vor sich gehen muss, ist leider nicht überall Konsens. Der Ruf nach "smarter heißer Abrüstung", d.h. nach gezielter Bombardierung von Orten, an denen Massenvernichtungswaffen vermutet werden, ist allerdings zynisch und menschenverachtend. Wenn tatsächlich solche Waffen / Anlagen getroffen würden, wäre die Wirkung genauso, als wenn der Angreifer selbst Massenvernichtungswaffen gegen die irakische Bevölkerung eingesetzt hätte. Das müsste man dann wohl als Kriegsverbrechen bezeichnen.

Die Annahme "Die US-Regierung beginnt den Krieg doch so oder so!" und die Überflugrechte

Viele sind der Meinung, dass die Bush-Regierung auch ohne UN-Mandat einen Angriffskrieg gegen den Irak beginnen würde. Diese Position übersieht, dass die Bush-Regierung nicht nur Völkerrecht brechen, sondern auch materielle Probleme haben würde (bzw. könnte), den Krieg zu führen. Die für die USA notwendige Gewährung von Unterstützung und Stützpunkten durch die Türkei ist zwar primär mit ökonomischen Forderungen verknüpft, aber in anderen Ländern könnte die logistische Unterstützung bei fehlendem UN-Mandat gefährdet sein. Deswegen sollten wir nicht so tun, als ob es keinen Spielraum gäbe.

Ein wichtiges Land für die US-Kriegsführung ist nach wie vor Deutschland. Da die Regierungsposition zwar grundsätzlich gegen den Irak-Krieg, aber nicht konsequent war, hat Deutschland leider in den vergangenen Monaten die Kriegsvorbereitung der Bush-Regierung unter dem Titel "Bündnisverpflichtungen" ermöglicht. In seiner Regierungserklärung vom 13.2. verteidigte Schröder bedauerlicherweise noch einmal diese Haltung:
"Auch heute bekennen wir uns ausdrücklich zu unseren Bündnisverpflichtungen und nehmen sie entschieden wahr... Den Forderungen, die in der NATO auf dem Tisch liegen, sind wir tatsächlich bereits nachgekommen. So habe ich schon im Dezember öffentlich zugesagt, dass die deutschen AWACS- Besatzungsmitglieder für den Schutz der Türkei zur Verfügung stehen.
Zusammen mit den Niederlanden stellen wir der Türkei das modernste Gerät zur Raketenabwehr zur Verfügung, das in Europa verfügbar ist - die Patriot-Systeme...
Soldaten der Bundeswehr schützen seit Ende Januar amerikanische Kasernen, Flugplätze und Einrichtungen. Etwa 1.000 deutsche Soldaten sind für diese Aufgaben bereits eingesetzt."

Im STERN vom 13.2.03 betonte der Kanzler: "Ich habe immer erklärt, dass wir die Bewegungsfreiheit unserer Verbündeten nicht einschränken werden." (Stern 8/2003, S.46) Angesichts dieser Aussage kann die Bush-Regierung in Deutschland auf Überflugrechte bauen - eine Genehmigung die z.B. Österreich z.Z. verweigert.

Sicherlich wäre es das beste gewesen, die Bundesregierung hätte alle Kriegsvorbereitungsmaßnahmen der Bush-Regierung von vornherein mit Hinweis auf Artikel 26 des Grundgesetzes (Verbot eines Angriffskrieg sowie der Unterstützung dafür) blockiert. Da dies jedoch nicht geschehen ist, müssen - sofern es soweit kommt - anlässlich des Beginns eines Angriffskrieges durch eine US-geführte Militärkoalition sofort die Überflugrechte kassiert werden. Die Bewegungsfreiheit der dann völkerrechtsbrechenden Verbündeten müsste mit allen Mitteln, die Deutschland zur Verfügung stehen, eingeschränkt wird. Um den Krieg noch abzuwenden, wäre es hilfreich, die entsprechenden Maßnahmen vorher anzukündigen. Eventuell ist die Bush-Regierung ja für materielle Kriegsbehinderungen empfänglicher als für rein politischen Widerstand.

Hinsichtlich der Bundeswehr-Beteiligung in Form der AWACS-Besatzungen sind die Forderungen der Bundestags-Opposition nach einem Parlamentsbeschluss völlig richtig. Nachdem die Besatzungen nun schon in der Türkei sind, müssen sie spätestens bei Beginn des möglichen US-Angriffskrieges zurückbeordert werden. Dann ist kein Bundestagsbeschluss fällig, und die Regierung kann den Strafanzeigen und anderen juristischen Initiativen wegen ihrer Unterstützung eines Angriffskrieges gelassener entgegensehen. Bewegungsfreiheit einschränken

Die Bewegungsfreiheit erhalten will auch W. Nachtwei in seinem Positionspapier vom 10.Februar 2003, allerdings für die Bundesregierung, namentlich den Außenminister: "Um auf dem diplomatischen Glatteis gesprächs- und verhandlungsfähig zu sein, braucht die Bundesregierung, braucht der für die operative Umsetzung von Friedenspolitik verantwortliche Außenminister Bewegungsfreiheiten. Deshalb sind detaillierte Festlegungen künftigen Verhaltens angesichts der vielen Unbekannten nicht sinnvoll." Aber auch hier ist es besser, die Bewegungsfreiheit einzuschränken, denn die Freiheit könnte ja nur darin bestehen, statt den Kriegskurs weiterhin abzulehnen, ihn zu dulden oder zu befürworten. In der Gestaltung des deutschen NEINs seien der Regierung selbstverständlich alle Freiheiten zugestanden.

Das Misstrauen der Friedensbewegung

In der Vorbereitung der Friedensdemonstration vom 15.2. wurde seitens vieler GRÜNER als unschön empfunden, dass viele aus der Friedensbewegung die Differenzen mit der Bundesregierung in den Vordergrund rückten und diese wegen der falsch verstandenen "Bündnisverpflichtungen" kritisierten: "Es geht jetzt nicht um die Durchsetzung von Maximalpositionen der Friedensbewegung (z.B. Ausstieg aus Enduring Freedom), nicht um das radikalste Anti-Kriegs- und Ohne-Mich-Bekenntnis..." (Papier W. Nachtwei 10.Febr.03).

Wie können wir als GRÜNE jedoch Friedensengagierten angesichts der Geschichte der letzten Jahre abverlangen, den Regierungskurs vorbehaltlos zu unterstützen? "Vertrauen ist der Anfang von allem" heißt es in einer bekannten Finanzdienstleister-Werbung. Dieses muss mühsam wieder aufgebaut werden, nachdem die rotgrüne Bundesregierung bereits in zwei Fällen völkerrechtswidrige Angriffskriege unterstützt hat.

Wieso zwei? Neben dem Jugoslawien-Krieg 1999 ist auch der "Enduring Freedom-Krieg", damit der Einsatz des Kommandos Spezialkräfte in Afghanistan, so zu werten. Denn der UN-Sicherheitsrat hat kein Mandat für den Krieg gegen Afghanistan erteilt. Am 12.09.01 hat er die Staaten aufgefordert, "dringend zusammenzuarbeiten, um die Täter, Drahtzieher und Förderer dieser terroristischen Anschläge vor Gericht zu bringen, und betont, dass diejenigen, die den Tätern, Drahtziehern und Förderern helfen, sie unterstützen oder ihnen Zuflucht gewähren, zur Rechenschaft gezogen werden." (Resolution 1368 (2001)) Gleichzeitig hat er das Recht auf Selbstverteidigung anerkannt. Dieses gilt jedoch laut UN-Charta Art. 51 nur solange "bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat." Das ist am 28.09.01 geschehen, indem der Sicherheitsrat einen umfangreichen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung des Terrorismus verabschiedete (Resolution 1373 (2001)). Damit ist das Recht auf Selbstverteidigung völkerrechtlich "erloschen". Da von der Ermächtigung zu Militärschlagen in diesem zweiten UN-Sicherheitsratsbeschluss ausdrücklich nicht die Rede ist, ist die völkerrechtliche Grundlage für den Krieg der US-geführten Militärkoalition gegen Afghanistan höchst zweifelhaft.

Andererseits: Wen wundert es angesichts des Jugoslawien-Krieges 1999, dass die Bundesregierung Erklärungen unterschreibt, in denen der Einsatz von Gewalt als letztes Mittel gebilligt wird. Dies entspricht (aus meiner Sicht bedauerlicherweise) der Grundhaltung der Regierung und ihrer Praxis der letzten Jahre (Jugoslawien, Afghanistan, Umrüstung der Bundeswehr zur Angriffsarmee). Nur wer an akutem Gedächtnisschwund leidet, kann hier ein "Einknicken" der Regierung erkennen.

Eine Quelle des Misstrauens gegen die Standfestigkeit der Bundesregierung ist das Hauptargument gegen den Irak-Krieg: Er gefährde den Erfolg im Krieg gegen den Terrorismus, der noch nicht gewonnen sei. Bis heute (seit September 2001) warten wir auf Beweise für die verschiedenen Anschuldigungen, die den Afghanistan-Krieg und die Einschränkung der Bürgerrechte in vielen Ländern rechtfertigen sollten. Das Vertrauensproblem besteht darin, dass 2001 keine gerichtsverwertbaren Beweise vorgelegt wurden, aber dennoch die NATO den Bündnisfall ausrief und sich auch Deutschland am Krieg beteiligte. Bezüglich des Iraks legen US- und britische Regierung wiederum keine Beweise vor. Würden die Beweis-Maßstäbe von 2001 angelegt, würde Deutschland wieder mit in den Krieg ziehen. Eine vertrauensbildende Maßnahme wäre, von der US-Regierung Aufklärung über die Ungereimtheiten hinsichtlich des 11.9. bis hin zur mutmaßlichen Verwicklung US-amerikanischer Stellen zu verlangen.

Bündnispolitik: Mit Gauweiler händchenhaltend über den Alexanderplatz

Das Misstrauen der etablierten Friedensbewegung hat am 15.2. möglicherweise verhindert, dass eine noch größere politische Wirkung in Deutschland entstand. Da Parteien wie SPD und GRÜNE sich weder auf ein konsequentes NEIN im Sicherheitsrat festlegen, noch materiell in die US-Kriegsvorbereitung in Deutschland eingreifen wollten, wurde bewusst auf RednerInnen aus dem Parteienspektrum verzichtet. Das war m.E. die falsche Entscheidung, schließlich hätten auch im Sinne der Kriterien konsequente Repräsentanten aus SPD und GRÜNEN zur Verfügung gestanden.

Darauf sollte jedoch nicht so reagiert werden, dass man nun beginnt, Demonstrationen gegen den Irak-Krieg ohne bzw. gegen diejenigen zu organisieren, die in den letzten Jahren jedem Krieg konsequent ihre Unterstützung verweigert haben. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass alle KriegsgegnerInnen in den Aktionen zusammenfinden. Revanchegelüste sind keine guten Ratgeber. Ausgrenzung ist der falsche Weg.

Das gilt genauso in die andere Richtung: Auch rechts von den GRÜNEN, in der CDU/CSU und den Hierarchien der katholischen Kirche gibt es Widerstand gegen den Irak-Krieg. Das entscheidende Ergebnis der Bundestagssitzung vom 13.2. war doch, dass sich die Unionsparteien sich nicht geschlossen hinter den Kriegskurs der Fraktionsvorsitzenden Merkel gestellt haben. Zahlreiche Abgeordnete der Oppositionsparteien stimmten abweichend ab. Parteiegoismus und Wahlkampftaktik sollte im Anti-Kriegs-Kampf unterbleiben. Genauso wie international mit dem konservativen Chirac eng zusammengearbeitet wird, brauchen wir in der Friedensfrage innenpolitisch den Schulterschluss mit Gauweiler, Geis und Wimmer. Dahinter müssen Entlarvungsgelüste Richtung CDU, gerade angesichts von Merkels US-Reise, zurückstehen. In gemeinsamen Friedensengagement läge doch endlich einmal ein echtes Betätigungsfeld für Schwarz-Grün.

Hamburg, den 25.02.2003


Silke Reinecke:
"Kein Krieg ohne uns!" oder: Was vom deutschen Nein übrig bleibt

Tagtäglich wird über die in der ganzen Republik stattfindenden Friedensdemonstrationen berichtet. Der Tenor in den Massenmedien lautet mehr oder weniger unisono, die Friedensbewegung unterstütze die Bundesregierung in deren Ablehnung des Irak-Krieges. Für die "Mitläufer" des 15. Februar, Herrn Thierse & Co., mag dies vielleicht zutreffen, doch große Teile der Friedensbewegung haben erkannt, dass die Bundesregierung trotz aller Lippenbekenntnisse keineswegs eine konsequente Ablehnung des Irak-Krieges betreibt. Dies lässt sich an zahlreichen Punkten deutlich machen:
  • Deutschland ist eine wichtige Drehscheibe für Truppen- und Materialtransporte der US-Armee in die Krisenregion. Frankfurt Airbase, Ramstein, Spangdahlem, Bremerhaven etc. sind wesentlich für den raschen Aufmarsch am Golf. Damit leistet Deutschland Beihilfe zur Vorbereitung eines Angriffskrieges.
  • Die Bundesrepublik wird den USA im Kriegsfall Überflugrechte gewähren und die Nutzungsrechte der Militärbasen auf deutschem Boden nicht beschränken. Dies sagte Bundeskanzler Schröder bereits beim NATO-Gipfel im November 2002 zu. Zu diesem Schritt gibt es keinerlei rechtliche Verpflichtung, auch nicht aus dem NATO-Truppenstatut. Österreich hingegen hat den US-Truppen Überflugs- und Durchfahrtrechte für deren Aufmarsch entzogen, zumindest bis zu einer neuen UN-Resolution.
  • Auf dem größten US-Truppenübungsplatz in Europa, in Grafenwöhr, wurde von Ende Januar bis Anfang Februar 2003 das groß angelegte virtuelle Manöver "Victory Scrimmage" zur Kriegsvorbereitung durchgeführt. Rund 1000 Offiziere probten mittels computergestützter Simulationen den Angriff auf den Irak, geduldet von der Bundesregierung.
  • Die Bundeswehr entlastet die US-Armee durch Bewachung von rund 95 US-Kasernen und Truppenübungsplätzen auf deutschem Boden (u.a. Grafenwöhr, Vilseck, Hohenfels/Franken, Rhein-Main-Airbase/Frankfurt) und entbindet dafür 7000 ihrer SoldatInnen voraussichtlich für zwei Jahre von anderen Aufgaben. Damit werden mehr US-Soldaten für eine direkte Kriegsbeteiligung frei.
  • Deutschland hat gemeinsam mit den Niederlanden am 10. Februar 2003 die Führungsrolle der ISAF in Afghanistan übernommen und stellt mit bis zu 2500 SoldatInnen das größte Kontingent der gut 4000 Köpfe starken Truppe. Das Kommando Spezialkräfte bleibt weiterhin von der Öffentlichkeit unbeachtet in Afghanistan aktiv, während amerikanische Spezialeinheiten die "Terroristenjagd" aufgegeben haben, um für andere Aufgaben frei zu sein. Bundeskanzler Schröder wird nicht müde, den "Kampf gegen den internationalen Terrorismus" "Seite an Seite mit Amerikanern" (Regierungserklärung vom 13. Februar) zu betonen. Dies bedeutet eine weitere indirekte Unterstützung für die US-Armee, die nun personelle und logistische .Kapazitäten für den Krieg gegen Irak umlenken kennen.
  • Deutschland belässt die rund 50 ABC-Abwehrkräfte mit ihren sechs Spürpanzern Fuchs in Kuwait, statt sie sofort abzuziehen. Stattdessen ist im Falle einer Verschärfung der Lage eine Aufstockung des Kontingents auf 250 Soldaten geplant. Die betroffenen Soldaten des ABC-Abwehrbataillons 7 in Höxter befinden sich gegenwärtig in 60-Stunden-Bereitschaft, müssen also stets mit einer Verlegung in weniger als drei Tagen rechnen.
  • Deutschland stellt Soldaten als Besatzung für AWACS-Flugzeuge zur Verfügung. Diese Flugzeuge dienen im Kriegsfall als militärische Gefechtsstände und werden sich an der Zielplanung für Angriffe auf den Irak beteiligen.
  • Die Bundeswehr hat Personal zu Bedienung der LUNA-Aufklärungsdrohnen zur Verfügung gestellt. Etwa 20 Soldaten werden, offiziell von der Bundeswehr beurlaubt und als UN-Mitarbeiter deklariert, die Waffenkontrolleure im Irak unterstützen. Das Szenario für den Kriegsfall ist ungewiss. Möglicherweise müsste das KSK der Bundeswehr diese Personen evakuieren und wäre damit direkt in den Krieg verwickelt.
  • Deutschland hat am 17. Februar 2003 einer Erklärung der Europäischen Union zum Irak zugestimmt. In dieser Erklärung wird der Gebrauch von Gewalt als letztes Mittel gerechtfertigt. Noch problematischer ist ein in der Öffentlichkeit wenig beachteter Satz, mit dem die zunehmende Eskalation der Kriegsgefahr gerechtfertigt wird: "Wir erkennen an, dass (...) der militärische Aufmarsch wesentlich gewesen (...)(ist), um die Rückkehr der Inspektoren zu erreichen. Die Faktoren bleiben wesentlich, wenn wir die gewünschte volle Kooperation erreichen wollen." Mit anderen Worten: Der massive Militäraufmarsch, wesentlich von deutschem Boden aus, wird nicht nur hingenommen, sondern bewusst und gewollt weiterbetrieben!
  • Deutschland hat einem Grundsatzbeschluss der NATO für Hilfe für die Türkei, im Besonderen der Lieferung von Patriot-Luftabwehrraketen und ABC-Spezialeinheiten zugestimmt, ohne dass die Türkei angegriffen wurde. Eine Bedrohung der Türkei wird lediglich als Reaktion auf einen Angriff auf den Irak vermutet, den die Bundesregierung doch angeblich mit allen Mitteln verhindern will und die daher gar nicht eintreten dürfte.
  • Deutschland hält weiterhin am Embargo gegen den Irak fest, das bereits jetzt zu einer massiven Verelendung des Landes geführt hat und einen Großteil der Infrastruktur des Iraks zerstört hat. Das Embargo stellt einen nicht-militärischen Krieg gegen die Zivilbevölkerung des Landes dar und fördert die Diktatur Saddam Husseins, indem es eine oppositionelle, gebildete Mittelschicht zerstört. Außerdem stellt das Embargo eine indirekte Vorbereitung des militärischen Angriffs dar, da es den Irak weitgehend geschwächt und massive Gegenwehr unrealistisch gemacht hat.
  • Die Bundesregierung lehnt es ab, Deserteuren der US-Armee politisches Asyl zu gewähren, obwohl sie vielfach Repressionen und staatlicher Verfolgung seitens der USA ausgesetzt sind.
  • In Deutschland werden konsequente Kriegsgegner, die die Lippenbekenntnisse der Bundesregierung als Lügen entlarven, eingeschüchtert und einer ungerechtfertigen strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt. Prominente Beispiele sind Tobias Pflüger und Konstantin Wecker, die sich wegen ihres Aufrufes an die deutsche AWACS-Besatzung, unrechtmäßige Befehle nicht zu befolgen, sondern zu desertieren, mit der Staatsanwaltschaft auseinandersetzen müssen.
  • Die Haltung im Sicherheitsrat der UN wird sich bei dem von den USA einzubringenden Resolutionsentwurf noch beweisen müssen. Die Vorankündigungen sind äußerst vage, ein klares Nein zu einem militärischen Angriff auf den Irak notfalls auch im Alleingang eher unwahrscheinlich.
Es bleibt angesichts dieser überwältigenden Fülle von Tatsachen nur festzustellen, dass vom deutschen "Nein zum Krieg!" leider nur wenig übrig bleibt. Selbst wenn keine deutschen SoldatInnen Jagdbomber fliegen, hat die Bundesregierung den geplanten Krieg gegen den Irak wesentlich ermöglicht und unterstützt. Von einer Friedenspolitik ist deutsche Politik selbst in Sachen Irak weit entfernt. Aufgabe der Friedensbewegung bleibt es, dies auch in das Bewusstsein der öffentlichen Meinung zu tragen.

Göttingen, den 24. Februar 2003


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