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Bushs napoleonische Torheit

Von Juan Cole *

Das französische Ägypten und der amerikanische Irak können als Buchstützen der Geschichte des modernen Imperialismus im Nahen und mittleren Osten angesehen werden. Die bereits gescheiterte Version der Bush-Regierung von der Eroberung des Irak ist natürlich jedem präsent; an die französische Eroberung Ägyptens, die nun mehr als zwei Jahrhunderte her ist, wird dagegen viel zu wenig gedacht - obwohl sie von Napoleon angeführt wurde, dessen Karriere sich ansonsten kaum in Unklarheiten erschöpfte. Es gibt viele unheimlich vertraute Ähnlichkeiten zwischen den beiden Missgeschicken, nicht zuletzt, dass beide mit überragender Arroganz begonnen und als Fiasko endeten. Vor allem gebrauchten die Anführer beider Besatzungen das gleiche grundlegende politische Vokabular und rhetorische Schwindelei, den Geist der Freiheit, Sicherheit und Demokratie beschwörend, während sie die Substanz dieser Konzepte weitgehend ignorierten.

Der französische General und der amerikanische Präsident ähneln sich kaum – abgesehen vielleicht von der Art, wie die Aussicht auf die Eroberung des Nahen und Mittleren Ostens sie entflammt zu haben scheint und ihre unsympathische Tendenz, ihrer eigenen Propaganda zu glauben (oder sie zumindest lange nachdem sie vollkommen unglaubwürdig geworden ist, weiterhin zu wiederholen). Beide Anführer griffen ein wesentliches arabischsprachiges, muslimisches Land an und besetzten es; beide träumten von einem „Größeren Mittleren Osten“; beide waren überrascht, sich in lange, bittere, lähmende Guerilla-Kriege verwickelt wiederzufinden. Keinem von ihnen lag ehrlich an einer Basisdemokratie, aber beide fanden es einfach, deren Symbole für eine leichtgläubige innerstaatliche Öffentlichkeit heraufzubeschwören. Eine bedeutende Anzahl ihrer neuen Untertanen begriff allerdings schnell, dass sie einer Besatzung gegenüberstanden, keiner Befreiung.

Meine eigene Arbeit über Napoleons verlorenes Jahr in Ägypten begann in der Mitte der 1990er und ich hatte etwa die Hälfte von „Napoleon's Egypt: Invading the Middle East“ vor dem 11. September fertiggestellt. Ich konnte damals nicht wissen, dass ein Buch über solch ein entferntes, wissenschaftliches Thema sich als Allegorie für Bushs Irakkrieg herausstellen würde. Genauso wenig vermutete ich, dass die Vereinigten Staaten den Kolonialismus des alten Stils im Nahen und Mittleren Osten ein letztes Mal versuchen würden – trotz klarer Anzeichen, dass die früher Kolonialisierten sich solche Taten nicht länger gefallen lassen würden und in den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg die Mittel erlangt hatten, sich ihnen zu widersetzen.

Der republikanische Militant zieht in den Krieg

Als seine riesige Flotte – 36.000 Soldaten, tausende von Seeleuten und hunderte Wissenschaftler auf zwölf Kriegsschiffen – im Juni 1798 unaufhaltsam auf die ägyptische Küste zufuhr, verkündete der junge General seinen verwirrten und seekranken Truppen, die er Kochgeschirr oder angemessene Wasservorräte in die Wüste marschieren lassen würde, eine grandiose Nachricht. Er verkündete: „Soldaten! Ihr steht davor, eine Eroberung zu unternehmen, deren Auswirkungen auf Zivilisation und Handel unschätzbar sind.“

Diese Vorhersage war auf ihre Art genauso tragisch fehlerhaft wie die Behauptung, die George W. Bush ungefähr zwei Jahrhunderte später am 1. Mai 2003 aufstellt, ebenfalls auf dem Deck eines großen Kriegsschiffes, dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln. „Heute“, sagte er, “haben wir die größere Macht, eine Nation zu befreien, indem wir ein gefährliches und aggressives Regime zerbrechen. Mit neuen Taktiken und Präzisionswaffen können wir militärische Ziele erreichen, ohne Gewalt gegen Zivilisten anzuwenden.“

Beide Männer waren überzeugt, dass ihre Angriffe neue Epochen in der menschlichen Geschichte ankündigten. Den militärischen Vasallen des Ottomanischen Reiches, die damals Ägypten regierten, prophezeite Bonaparte: „Die Beis der Mameluken, die den englischen Handel exklusiv bevorzugen, deren Wucher unsere Kaufleute unterdrückt und die die unglücklichen Anwohner des Nils tyrannisieren, werden einige Tage nach unserer Ankunft nicht mehr existieren.“

Bonapartes Waschzettel von Klagen über sie bestand aus drei Anschuldigungen. Erstens waren die Beis im Wesentlichen Unterstützer von Frankreichs Hauptfeind zu jener Zeit, der britischen Monarchie, die die junge französische Republik in ihrer Wiege erwürgen wollte. Zweitens schadeten die Herrscher Ägyptens Frankreichs eigenem Handel, indem sie in Kairo und Alexandrien Steuern und Bestechungsgelder von französischen Kaufleuten forderten. Drittens herrschten die Mameluken tyrannisch, waren nie gewählt worden und unterdrückten ihre Untertanen, die Bonaparte befreien wollte.

Diese heilige Dreifaltigkeit der Rechtfertigungen für Imperialismus – dass der ins Visier genommene Staat mit einem Feind der Republik zusammenarbeite, die positiven Interessen der Nation gefährde und aufgrund von despotischer Herrschaft illegitim sei – würde über die folgenden zwei Jahrhunderte von einer Reihe europäischer und amerikanischer Anführer wiederholt werden, wann immer sie zum Angriff übergehen wollten. Eine Implikation dieser vertrauten rhetorischen Phrasen ist stets gewesen, dass Demokratien eine Lizenz haben, jedes Land anzugreifen, das sie angreifen wollten - vorausgesetzt, es hat das Unglück, ein autoritäres Regime zu haben.

George W. Bush traf bei seiner Rede von der “mission accomplished” (Mission erfüllt) natürlich dieselben Glanzpunkte, als er auf der Abraham Lincoln ankündigte, dass die „Hauptkampfhandlungen“ im Irak „abgeschlossen waren“. „Die Befreiung des Irak“, verkündete er, “ist ein entscheidender Fortschritt in der Kampagne gegen den Terror. Wir haben einen Verbündeten von al-Quaida beseitigt und eine Quelle terroristischer Finanzierung abgeschnitten.“ Er stellte Saddam Husseins säkulares, arabisch-nationalistisches Baath-Regime und die radikalen muslimischen Terroristen von al-Quaida unter das Zeichen des 11. September, womit er andeutete, der Irak sei mit einem Hauptfeind der Vereinigten Staaten verbündet und stelle so eine dringende Bedrohung ihrer Sicherheit dar. (Tatsächlich zeigen Dokumente der Baath-Partei, dass Saddams besorgte Sicherheitskräfte, nachdem sie gehört hatten, dass Abu Musab al-Zarqawi den Irak betreten hatte, einen lückenlosen Bericht über ihn erstellten, da sie – nicht ganz korrekt – vermuteten, er habe Verbindungen zu al-Quaida.) Ebenso versprach Bush, dass Iraks angebliche „Massenvernichtungswaffen“ (die nur in seiner fiebrigen Phantasie existierten) gesucht und gefunden werden würden, womit er wieder andeutete, der Irak sei eine Bedrohung der Interessen und der Sicherheit der USA, genau wie Bonaparte behauptet hatte, die Mameluken würden Frankreich bedrohen.

Dem Präsidenten zufolge hatte es Saddams gestürzter Regierung an Legitimität gemangelt, während die neue irakische Regierung, die von einer auswärtigen Macht eingesetzt werden würde, die besiegte Bevölkerung wirklich repräsentieren würde. „Wir helfen dabei, den Irak wieder aufzubauen, in dem der Diktator für sich Paläste gebaut hat anstatt Krankenhäuser und Schulen. Und wir werden den neuen Anführern des Irak zur Seite stehen“, versprach Bush, “während sie eine Regierung aus dem und für das irakische Volk einsetzen.“ Auch Bonaparte setzte auf Landesebene und nationaler Ebene regierende Gremien ein, die er hauptsächlich mit sunnitischen Geistlichen besetzte, von denen er verkündete, sie würden das ägyptische Volk besser repräsentieren als die Beis und Emire des Sklavenmilitärs, das diese Provinz des Ottomanischen Reiches vorher regiert hatte.

Freiheit als Tyrannei

Eine brutale militärische Besatzung eines anderen Landes im Namen der Freiheit durchzuführen, scheint an sich für eine Demokratie zu widersprüchlich, als dass sie mehr als verächtliches Gejohle angesichts der Scheinheiligkeit hervorrufen würde. Dennoch taucht die militante Republik, bereit, einen Angriffskrieg im Namen der „Demokratie“ zu beginnen, überall in der modernen Geschichte auf, trotz des Mythos, dass Demokratien typischerweise keine Angriffskriege führen würden. Ironischerweise waren einige absolutistische Regime - wie die des modernen Iran – bemerkenswert friedlich, wenn sie von ihren Nachbarn in Ruhe gelassen wurden. Das republikanische Frankreich dagegen marschierte in seiner ersten Dekade in Belgien, Holland, Spanien, Deutschland, Italien und Ägypten ein (auch wenn es teilweise als Antwort auf österreichische und preußische Pläne, in Frankreich einzumarschieren, in die Offensive ging.) Die Vereinigten Staaten überfielen Mexico, die Semiolen und andere Gemeinschaften der Eingeborenen, Hawai, das spanische Reich, die Philippinen, Haiti und die Dominikanische Republik in den kaum mehr als sieben Dekaden von 1845 und dem Vorabend des US-Eintritts in den Ersten Weltkrieg.

Freiheit und Autoritarismus werden heutzutage als ausgeprägte Gegensätze wahrgenommen, die Provinzen der Helden und Monster. Diejenigen, die die Geburt moderner Republiken miterlebten, wurden von keiner derartigen moralischen Klarheit getröstet. In Dantons Tod stellte der junge romantische Schriftsteller Georg Büchner den radikalen französischen Revolutionär und Befürworter der Hinrichtung von Feinden der Republik, Maximilian Robespierre, dar, wie er eine parisische Menge aufpeitschte mit den Worten: “Die revolutionäre Herrschaft ist der Despotismus der Freiheit gegen Tyrannei.“ Und nie war Freiheit repressiver als dann, wenn sie gegen eine ausländische Diktatur eingesetzt wurde; denn, wie Büchner den berühmten „unbestechlichen“ Anhänger staatlichen Terrors bemerken ließ: „In einer Republik sind nur Republikaner Bürger; Royalisten und Fremde sind Feinde.“

An jenem sonnigen Mainachmittag unterstützte Präsident Bush Büchners Robespierre auf der Abraham Lincoln. „Wegen euch“, erinnerte er die zuhörende Besatzung eines Flugzeugträgers, dessen Flugzeuge gerade 1,6 Millionen Pfund Munition auf den Irak fallen gelassen hatten, „ist unsere Nation sicherer. Wegen euch ist der Tyrann gestürzt und der Irak frei.“

Sicherheit für die Republik war bereits eine problemlos ausreichende Rechtfertigung gewesen, um im vorangegangenen März einen Krieg anzufangen, obwohl der Irak ein armes, schwaches, marodes Land der Dritten Welt war, geschwächt von einer Dekade der von den Vereinten Nationen und den Vereinigten Staaten verhängten Sanktionen, ohne auch nur ausreichendes Trinkwasser oder eine Luftwaffe. Ebenso hatten die Mameluken Ägyptens – trotz der himmelhohen Steuern und Bestechungsgelder, die sie von einigen französischen Händlern verlangten – kaum eine Gefahr für Frankreichs Sicherheit dargestellt.

Der Sturz eines tyrannischen Regimes und die Befreiung der unterdrückten Bevölkerung waren konstante Wiederholungen in den Schiffsreden sowohl des Generals als auch des Präsidenten, die der Meinung waren, die Unterdrückten würden ihnen Dankbarkeit schulden. Bonaparte beklagte, dass die Beis „die unglücklichen Anwohner des Nils tyrannisieren“; oder, wie einer seiner Offiziere, Captain Horace Say, meinte: „Das Volk Ägyptens war höchst bemitleidenswert. Wie könnten sie nicht die Freiheit schätzen, die wir ihnen bringen?“ Ähnlich dazu bestand Bush darauf:“ Männer und Frauen in jeder Kultur brauchen Freiheit, genau wie sie Nahrung, Wasser und Luft brauchen. Überall, wo die Freiheit ankommt, frohlockt die Menschheit; und überall, wo Freiheit sich regt, lasst die Tyrannen sich fürchten.“

Nicht überraschend traten Erwartungen, dass die gerade Besiegten ihren ausländischen Besatzern Dankbarkeit zeigen würden, wiederholt in Meldungen und Briefen der Männer vor Ort, die eine kolonialistische Zukunftspolitik befürworteten. Präsident Bush formulierte das drastisch 2007, lange nachdem die Dinge nicht so gelaufen waren wie erwartet: “Wir haben das Land von einem Tyrannen befreit. Ich denke, das irakische Volk schuldet dem amerikanischen Volk eine große Dankesschuld. Das ist das Problem hier in America: Sie fragen sich, ob es ein Maß an Dankbarkeit gibt, das im Irak bedeuten genug ist.“

Darüber hinaus war Freiheit in dieser zwei Jahrhunderte alten rhetorischen Tradition mehr als nur eine Frage von Rechten und Rechtsstaatlichkeit. Anhänger diverser Formen von liberalem Imperialismus sahen Tyrannei als Quelle der Armut, da willkürliche Herrscher Eigentum nach Belieben an sich reißen konnten und dadurch wirtschaftliche Tätigkeiten risikoreich machten, wie sie auch die Öffentlichkeit mit den hohen und willkürlichen Steuern belegen konnten, die den Handel zurückhielten. Der französische Quartiermeister Francois Bernoyer schrieb über die ägyptischen Bauern: „Ihre Wohnungen sind Hütten aus Lehmziegeln, die zu verlassen Prosperität, die Tochter der Freiheit, ihnen nicht erlaubt.“ Bush nahm dasselbe Thema auf der Abraham Lincoln auf: „Wo sich Freiheit durchsetzt, weicht Hass der Hoffnung. Wo sich Freiheit durchsetzt, wenden sich Männer und Frauen dem friedlichen Streben nach einem besseren Leben zu.“

„Köpfe müssen rollen“

Im Ägypten den achtzehnten Jahrhunderts und im Irak des einundzwanzigsten Jahrhunderts war die trostlosen Realität vor Ort wie ein Vorwurf gegen – wenn nicht eine boshafte Satire über – diese edlen Verkündungen. Die Franzosen landeten im Hafen von Alexandria am 1. Juli 1798. Zweieinhalb Wochen später, als die französische Armee am Nil entlang auf Kairo zumarschierte, traf eine Einheit von General Jean Reynier auf Widerstand – von 1.800 Dörflern, viele von ihnen mit Musketen bewaffnet. Sergeant Charles Francois erinnerte sich an eine typische Szene. Nachdem sie über den Dorfwall geklettert waren und „in diese Menschenmengen geschossen“ hatten, wobei sie „ungefähr 600 Männer“ töteten, konfiszierten die Franzosen das Vieh der Bauern – Kamele, Esel, Pferde, Eier, Kühe, Schafe – und „verbrannten den Rest der Häuser, oder eher der Hütten, um diesen halb wilden und barbarischen Menschen einen furchtbaren Denkzettel zu verpassen.“

Am 24. Juli betrat Bonapartes Armee des Orients Kairo und er begann damit, seine neuen Untertanen neu zu organisieren. Er richtete pompös ein „Egyptian Institute for the advancement of science“ ein und überlegte, die Polizei, die Justiz und die Gesetze zu reformieren. Aber Terror lauerte hinter allem, was er tat. Er schrieb General Jacques Menou, der die Garrison am Mittelmeerhafen Rosetta kommandierte: „Die Türken [Ägypter] können nur durch größte Strenge geführt werden. Jeden Tag schlage ich fünf oder sechs Köpfe in den Straßen Kairos ab… [Zu] gehorchen bedeutet für sie zu fürchten.“ (Abgeschlagene Köpfe auf Stangen aufzuspießen, damit entsetzte Passante sie sahen, war eine andere Methode, die die Franzosen in Ägypten anwandten.)

Im August erhob sich die im Delta gelegene Stadt Mansura gegen die kleine französische Garrison von etwa 120 Mann, jagte sie aus der Stadt, verfolgte die blauen Jacken und tötete methodisch alle außer zwei von ihnen. Im frühen September erhob sich auch das im Delta gelegene Dorf Sonbat, das teilweise von Beduinen des westlichen Stammes Dirn bewohnt wurde, gegen die Europäer. Bonaparte instruierte einen seiner Generäle: „Verbrennt das Dorf! Macht ein abschreckendes Beispiel daraus.” Nachdem die französische Armee die rebellischen Bauern tatsächlich vernichtend geschlagen und die Beduinen weggejagt hatte, berichtete General Jean-Antoine Verdier Bonaparte in Bezug auf Sonbat: „Sie haben mir befohlen, dieses Nest zu vernichten. Sehr gut, es existiert nicht mehr.“

Die gefährlichsten Aufstände, mit denen die Franzosen konfrontiert wurden, waren aber in Kairo. Im Oktober mobilisierte sich ein großer Teil der Stadt, um die über 20.000 Mann starken französischen Truppen anzugreifen, die die Hauptstadt besetzten. Besonders heftig war der Aufstand in dem Viertel al-Husayn, in dem die uralte al-Azhar Madrassa (oder Bildungsanstalt) 14.000 Studenten ausbildete, in dem die heiligste Moschee der Stadt stand und in dem der Reichtum bei den Kaufleuten und Gilden des Bazars Khan al-Khalili konzentrierte. Zur gleichen Zeit erhoben sich die Bauern und Beduinen des Landes rund um Kairo gegen die Franzosen und griffen die kleinen Garnisonen, die sie befrieden sollten, an.

Bonaparte warf diese ägyptische „Rebellion“ mit größtmöglicher Brutalität nieder; er setzte städtische Menschenmengen dem Trommelfeuer der Artillerie aus. Er hat danach vielleicht so viele Rebellen, wie bei den Kämpfen getötet worden waren, hinrichten lassen. Auf dem Land begannen seine Offiziere mit koordinierten Kampagnen, um aufständische Dörfer zu dezimieren. Einmal haben die Franzosen angeblich 900 Köpfe erschlagener Rebellen in Beuteln nach Kairo gebracht und sie demonstrativ vor einer Menschenmenge auf einem der größten Plätze der Stadt ausgeleert, um der Bevölkerung Angst einzuflößen. (Zwei Jahrhunderte später würde die amerikanische Öffentlichkeit beginnen, von muslimischen Terroristen im Irak durchgeführte Enthauptungen mit ultimativer Barbarei gleichzusetzten, aber selbst dann wurden hunderte solcher Enthauptungen nicht auf einmal durchgeführt.)

Der amerikanische Einsatz von Terror gegen die irakische Bevölkerung hat natürlich von der Größenordnung her alles in den Schatten gestellt, was die Franzosen in Ägypten erreicht haben. Nachdem vier Söldner, einer ein Südafrikaner, im März 2004 in Falludscha getötet und ihre Körper geschändet worden waren, sagte Präsident Bush angeblich, dass als Vergeltung „Köpfe rollen müssen“.

Ein anfänglicher Angriff auf die Stadt stockte, als ein Großteil der irakischen Regierung mit dem Rücktritt drohte und es klar war, dass daraus hohe Opferzahlen von Zivilisten resultieren würden. Die Vernichtung der Stadt wurde aber einfach bis nach den amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November aufgeschoben. Als der Angriff - auch mit Luftwaffe und Artillerie – durchgeführt wurde, war er verheerend. Zwei Drittel der Gebäude der Stadt wurden beschädigt, ein Großteil der Bevölkerung wurde zu Flüchtlingen. (Als Folge davon leben Tausende der ehemaligen Bewohner Falludschas immer noch in Zeltdörfern in der Wüste, ohne Zugang zu sauberem Wasser.)

Bush musste zufrieden gewesen sein. Köpfe waren gerollt. Häufiger allerdings bombardierte die US-Luftwaffe angesichts von Opposition bereits besetzte Städte, eine Technologie, über die Bonaparte (gnädigerweise) nicht verfügte. Die Strategie, mit Hilfe von Terror und schnellen, drakonischen Strafen für Widerstand zu herrschen, war aber in beiden Fällen dieselbe.

Die Briten versenkten einen Großteil der französischen Flotte am 1. August 1798, sodass Bonaparte und seine Truppen in ihrem neu eroberten Land im Stich gelassen wurden. Im Frühjahr 1799 versuchte – und scheiterte – die französische Armee, durch Syrien auszubrechen; danach wählte Bonaparte selbst Nachsicht. Spät in dem Sommer schlich er aus Ägypten und kehrte nach Frankreich zurück. Dort würde er rasch einen Staatstreich in die Wege leiten und als Erster Konsul an die Macht kommen, die ihm die Möglichkeit geben würde, seine Praxis, anderen Ländern die Freiheit zu bringen, zu verfeinern – diesmal in Europa. 1801 hatten die vereinigten britisch-ottomanischen Streitkräfte die Franzosen in Ägypten besiegt und auf britischen Schiffen zurück in ihre Heimat transportiert. Der erste Einmarsch des Westens in den Nahen Osten hatte in einer Serie von Desastern geendet, die Bonaparte der französischen Öffentlichkeit als Serie glorreicher Triumphe falsch darstellen würde.

Die Ära des liberalen Imperialismus beenden

Zwischen 1801 und 2003 erstreckten sich endlose Dekaden, in denen Kolonialismus sich als plausible Strategie europäischer Mächte im Nahen und mittleren Osten herausstellte, auch in dem französischen Unternehmen in Algerien (1830-1962) und der Errichtung eines indirekten britischen Protektorats in Ägypten (1882-1922). In diesen Jahren war das europäische Militär und ihre Bewaffnung so fortschrittlich und die Möglichkeiten, Widerstand zu leisten, zu denen arabische Bauern Zugang hatten, so begrenzt, dass koloniale Regierungen aufgezwungen werden konnten.

Dieser imperiale Zeitpunkt verging schnell nach dem Zweiten Weltkrieg, teilweise, weil die Massen der Dritten Welt politischen Parteien beitraten, lesen lernten und – mit Beispielen für die Vorgehensweise überall um sie herum – begannen damit, politischen Widerstand gegen jede Art ausländischer Besatzung ins Leben zu rufen. Während das amerikanische Arsenal des 21. Jahrhunderts über viele extravagante, überaus zerstörerische Spielzeuge verfügt, hat sich nicht geändert in Bezug auf die Fähigkeit kolonialisierter Menschen, soziale Netzwerke aufzubauen und früher oder später jede Besatzungsmacht zum Rückzug zu zwingen.

Bonaparte und Bush sind gescheitert, weil beide ihre Angriffe zu einem Zeitpunkt durchführten, an dem die militärische und technologische Überlegenheit des Westens nicht sichergestellt war. Während Bonapartes Armee die bessere Artillerie und Musketen hatten, verfügten die Ägypter über eine hervorragende Kavallerie und ihre alten Musketen waren ausreichend, um aus dem Hinterhalt heraus auf ihre Feinde zu schießen. Sie hatten auch einen Verbündeten mit fortschrittlicher Bewaffnung und dem Willen, sie einzusetzen – die britische Marine.

2007 ist das hoch technologisierte US-Militär – wie es in Vietnam in dem 1960ern und den 1970ern wahr gewesen war, wie es wahr gewesen war für die Sowjets in Afghanistan in den 1980ern – immer noch verwundbar gegenüber Guerillataktiken und effektiven, simplen Waffen des Widerstands wie versteckten Sprengbomben am Straßenrand. Sogar noch effektiver war die soziale Kriegsführung der Guerillas, ihr Erfolg darin, den Irak unregierbar zu machen, indem sie Klanfehden und konfessionsgebundene Fehden förderten, gezielte Bombenanschläge und andere Angriffe durchführten und die irakische Infrastruktur sabotierten.

Von der Zeit Bonapartes zu der von Bush scheint der Gebrauch der Rhetorik von Freiheit gegen Tyrannei, von Aufstieg gegen Dekadenz eine Konstante unter den Imperialisten der Republiken gewesen zu sein – und ist innenpolitisch effektiv geblieben, um Unterstützung für kolonialistische Kriege zu gewinnen. Der Despotismus (aber auch die Schwäche) der Mameluken und Saddam Husseins bestätigte Sirenen, praktisch um eine westliche Intervention zu bitten. Der Rhetorik des liberalen Imperialismus zufolge sind tyrannische Regime immer zumindest potentielle Bedrohungen der Republik und können so stets nutzbringend und zu Gunsten der Herrschaft eines westlichen Militärs gestürzt werden. Schließlich wird das Militär ausnahmslos als dichter an der Freiheit gesehen, da es ja einer gewählten Regierung dient. (Eine Intervention ist sogar noch einfacher zu rechtfertigen, wenn die Despoten - ganz gleich wie unglaubwürdig – als Verbündete eines Feindes der Republik dargestellt werden können.)

Für sowohl Bush als auch Bonaparte diente die elegante Wortwahl von Befreiung, Rechten und Erfolg zur Verschleierung oder Rechtfertigung eines groß angelegten Einmarsches und einer Besatzung eines Landes im Nahen und Mittleren Osten, inklusive der Entfesselung der Metzeleien und des Terrors gegen seine Bevölkerung. Militärische Maßnahmen hatten zerstörte Städte, vertriebene Familien und zahllose Tote zurückgelassen. Angesichts des fortlaufenden Blutbads im Irak scheint Präsident Bushs Prahlerei, wir könnten mit „neuen Taktiken und Präzisionswaffen … militärische Ziele erreichen, ohne Gewalt gegen Zivilisten anzuwenden“, nun nicht nur hohl, sondern makaber. Die Gleichsetzung der Besatzung durch ein ausländisches Militär mit Freiheit und Wohlstand ist bei Licht besehen nicht weniger bizarr als das Versprechen eines Krieges mit praktischen keinen zivilen Opfern.

Es ist kein Zufall, dass viele der rhetorischen Strategien, die George W. Bush benutzt, von Napoleon Bonaparte stammen, einem notorischen Tatsachenverdreher und Optimisten. Wenigstens dachte Bonaparte an die Zukunft, erkannte den kommenden Zerfall des Ottomanische Reiches und die Wahrscheinlichkeit, dass europäische Mächte alle ihre Provinzen kolonialisieren könnten. Bonapartes Scheitern in Ägypten verhinderte nicht die Dekaden des französischen kolonialen Erfolgs in Algerien und Indochina, auch wenn diese Ära des imperialen Triumphs am Ende nicht gegen das politische und soziale Erwachen der Kolonialisierten aufrechterhalten werden konnte. Bushs Neokolonialismus allerdings schwamm gegen die Strömung der Geschichte und sein Scheitern ist umso krimineller, da es vorhersagbar war.

Übersetzung aus dem Englischen: Lena Jöst

* Juan Cole ist Professor für Neuere Geschichte des Nahen/Mittleren Ostens und Südasiens am Historischen Institut der Universität von Michigan. Autor des Bestsellers: Napoleon's Egypt: Invading the Middle East, Palgrave Macmillan: 2007

Originaltext: "Bush's Napoleonic Folly", in: The Nation (online seit 24. August 2007)
www.thenation.com



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