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Ein Land im Chaos

Irak: Al-Maliki versucht, den Eindruck von Normalität zu vermitteln, aber es gelingt ihm nicht. Versöhnung und Wiederaufbau weit entfernt

Von Karin Leukefeld *

Sechs Jahre nach dem Sturz der Statue von Saddam Hussein auf dem Ferdos-Platz in Bagdad soll der Eindruck vermittelt werden, in Irak herrsche Normalität. Die USA wollen in naher Zukunft ihre Truppen aus den Städten und zum größten Teil auch aus dem ganzen Land abziehen. Die Iraker müßten ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen, forderte US-Präsident Barack Obama bei seinem Überraschungsbesuch am Dinstag in Bagdad. Ministerpräsident Nuri Al-Maliki tut alles, um zu zeigen, daß der »Sturm über dem Irak« sich verzogen hat und den Irakern eine prachtvolle Zukunft bevorsteht. Um das zu unterstreichen eröffnete Maliki kürzlich das Irakische Nationalmuseum. Dabei wurde er zwar nicht von vielen Einheimischen, wohl aber von zahlreichen Medienvertretern begleitet, die die wertvollen Artefakte und Sicherheitsvorkehrungen dokumentierten. Nicht berichtet wurde, daß das Museum bereits am folgenden Tag wieder geschlossen war, wie Dony George, der frühere Direktor des Museums in einem Interview mit dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira International kritisch anmerkte. Ein Museum sei für die Menschen da, um etwas über die eigene Geschichte zu lernen, so George, der heute als Gastprofessor in New York im Exil lebt. Für Maliki sei die Eröffnung nicht mehr als ein Wahlkampfauftritt gewesen, denn bei den Parlamentswahlen im Dezember wolle er gewinnen.

Dafür streckt Maliki die Hände in alle Richtungen aus und versucht sogar, Bündnisse mit denen zu schmieden, die seine amerikanischen Schutzherren vor sechs Jahren von der Macht vertrieben, mit der Baath-Partei. Es sei Zeit für Versöhnung, so Maliki, denen, die unter Zwang mit der Baath-Partei gearbeitet und keine Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung verübt hätten, müsse vergeben werden. Viele Iraker sehen die Annäherung weniger als Zeichen einer Versöhnung, als vielmehr als Wahlkampfstrategie, um sich möglichst viele Stimmen bei den nächsten Wahlen zu sichern. Besonders unter den Kurden und bei vielen Schiiten ist das Mißtrauen groß, daß die Baath-Partei sich nicht wirklich erneuert hat, wie ihre Anhänger versichern. Die Zunahme von Bombenanschlägen in den letzten Wochen besonders in schiitisch bewohnten Vierteln lasten viele der Baath-Partei an, die mit Verhandlungen einerseits und Terror andererseits die Iraker in ihre Richtung drängen wolle. Die US-Armee und Vertreter der irakischen Regierung machen Al-Qaida verantwortlich, eine Erklärung die in der irakischen Bevölkerung noch nie ernst genommen wurde.

Auch der politische Analyst Burhan Al-Chalabi vom Königlichen Institut für Auswärtige Angelegenheiten (Chatam House) in London reagiert kritisch auf Malikis Versöhnungsinitiative. Er frage sich, wer sich mit wem versöhnen solle im Irak. Die mehr als eine Million Witwen im Land, die fünf Millionen Waisenkinder mit denjenigen, die den Krieg der Amerikaner unterstützt hätten? Hamid Al-Bayati, irakischer Botschafter bei den Vereinten Nationen hält Versöhnung nur mit denen für möglich, die ihre Waffen niederlegten. Die Baath-Partei müsse zudem erst ihren Namen ändern.

Saleh Al-Mutlaq von der Nationalen Front für Versöhnung in Irak betont derweil, daß die Baathisten auch Iraker seien, von denen die meisten 35 Jahre lang das Land aufgebaut hätten. Maliki gehe es nicht um Versöhnung, sondern um staatsmännischen Pragmatismus. »Er braucht gutausgebildete und erfahrene Leute, die das Land wiederaufbauen können.« Die meisten seien im Ausland, und Maliki bemühe sich, einige von diesen zurückzuholen. Nach sechs Jahren sei es zwar gelungen, eine Regierung in Irak zu bilden, doch vom Wiederaufbau des Staates sei die Regierung weit entfernt.

* Aus: junge Welt, 9. April 2009

Kriegsfolgen

Übersät mit Minen und Munition **

Der Irak gilt als eines der am stärksten mit Minen und nicht explodierter Munition verseuchten Länder weltweit. Es handelt sich dabei um die Folgen verschiedener Kriege seit den 1960iger Jahren, als die irakische Armee Landminen einsetzte, um die aufständischen Kurden im Norden zu stoppen. Während des Iran-Irak-Krieges (1980–1988) nahm die Zahl von Minen zu, vor allem entlang der Grenze zum Iran. In den von den USA gegen Irak geführten Kriegen wurden ebenfalls Minen eingesetzt: 117634 Landminen, davon 27967 Antipersonenminen und 89667 Minen gegen Fahrzeuge, soll die US-Armee allein während des Krieges 1991 verlegt haben. Hinzu kamen Streubomben der US-Luftwaffe, Marine und von Spezialeinheiten. Gefahr geht auch von einer Reihe unkontrollierter Munitionslager aus.

Eine Untersuchung von UN-Organisationen und des irakischen Verteidigungsministeriums (2006) kam zu dem Ergebnis, daß es in 13 der 18 Provinzen etwa 4000 verseuchte Gebiete wgibt. Am meisten betroffen sind landwirtschaftliche Nutzgebiete und die Dattelpalmenhaine entlang den Grenzen zu Iran und Saudi-Arabien, sowie die Ölfelder im Süden und Norden des Landes. Das irakische Verteidigungsministerium geht von etwa 20 Millionen Minen und mehr als 50 Millionen Streubomben aus, die geräumt werden müssen. Wieviel davon Uranmunition ist, die das Land auf Dauer verseucht und schwere gesundheitliche Schäden verursacht, ist nicht bekannt. Rund 1,6 Millionen Iraker leben in den betroffenen Gebieten, etwa ein Drittel davon sind Kinder.

Im Februar 2008 unterzeichnete die irakische Regierung den Ottawa-Vertrag zum Verbot von Landminen, seitdem wurden nach offiziellen Angaben 20 Quadratkilometer von Minen geräumt, und 276658 Personen nahmen an Aufklärungsprogrammen teil. Im kurdischen Nordirak gab es schon zur Zeit der UN-Sanktionen (1991–2003) umfangreiche Aufklärungs- und Räumprogramme internationaler Hilfsorganisationen. In den übrigen Landesteilen war ihnen die Arbeit untersagt, weil die irakische Regierung ein Einschleusen von ausländischen Agenten fürchtete. Nach dem Sturz von Saddam Hussein begannen Räumung und Aufklärung im ganzen Land. Wegen der anhaltenden Gewalt gibt es allerdings kaum Fortschritte. Eine zuverlässige Opferstatistik gibt es nicht. Die irakische Regierung geht von bis zu 8000 Personen aus, die seit 1991 durch Minen getötet oder verstümmelt wurden, mehr als 2000 von ihnen sind Kinder. Die Zahl des durch Minen getöteten Nutzviehs wird auf 24000 Tiere geschätzt.

(kl)

** Aus: junge Welt, 9. April 2009




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