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Der Tod ist steuerfrei

IRAK-KRIEG

Von Wolfgang Gehrcke *

Embedded – eingebaut, verankert. Das ist offensichtlich der moderne Begriff für das, was früher »Kriegsberichterstatter« hieß. Dies ist gewöhnungsbedürftig. Nick McDonell schildert seinen Alltag als »embedded journalist« in Irak. Er tut dies in nüchternen, teilweise dürftigen Worten. Eigentlich erinnert sein Buch mehr an ein Kriegstagebuch.

Der Irak-Krieg zieht seine Fäden bis in alle Lebensbereiche; auch die Wohnung ist »embedded«: Jedes Mal, so ist zu lesen, »wenn die Sicherheitsleute hereinkamen, war für Sekunden ein metallisches Klicken zu hören, wenn sie die Munition aus ihren Pistolen nahmen ... Das Haus war voller Waffen.« Hier gleichen sich das Haus und das Land: Waffen, Vernichtung und Tod sind überall eingezogen.

Bei Nick McDonell lerne ich etwas über den Preis des Todes: »Wenn ein amerikanischer Soldat im Einsatz stirbt, erhalten seine nächsten Verwandten vom amerikanischen Militär hunderttausend Dollar, steuerfrei.« Der Autor fügt hinzu, dies sei viel Geld – in Irak. Und er lässt wissen, dass man sich in der irakischen Armee für 50 000 Dollar den Rang eines Majors kaufen kann. Ich sinniere dahingegen darüber nach, was wohl die etwa eine Million in diesem Krieg im Zweistromland getöteten Irakerinnen und Iraker kosten würden, gelte für deren Angehörige das Gleiche wie für jene der in diesem schmutzigen Krieg gestorbenen US-Soldaten. Und mit welchem Preis kann ein durch das einstige westliche Embargo in Irak verhungertes Kind aufgewogen werden?

Der Krieg wird von Experten mit mehr als drei Billionen US-Dollar taxiert. Getötete oder heimatlos gewordene Iraker sind in dieser Rechnung nicht berücksichtigt.

McDonell informiert darüber, dass über 4000 US-Soldaten in Irak ums Leben gekommen und bis dato 50 Milliarden Dollar ausgegeben worden sind. Irak ist – dank George W. Bush jun. – zu einem Friedhof geworden. Über das leidvolle und noch längst nicht sichere, keinesfalls friedliche Leben der irakischen Zivilbevölkerung erfährt man in diesem Buch weniger. Es ist auf den Soldatenalltag fokussiert. Der Autor berichtet über die Standardausrüstung der GIs und argumentiert, warum eine Privatausrüstung besser sei. Der Leser erfährt, was ein Muchtar ist und wie ein Soldat ruht. Und was ein Soldat macht, wenn er nicht gerade in einem Kampfeinsatz ist. »Immer, wenn ich Soldaten in ihren Quartieren besuchte, sah ich sie in dieser Position: im Bett beim Skypen oder Chatten mit ihren Frauen, Freundinnen, Familien oder Freunden daheim. Im Bett, tausende Meilen entfernt. Zumindest die Soldaten, die einen Laptop hatten. Der Krieg ist Tristesse – trostlos und anödend.«

Dieses Buch ist kein »klassisches« Antikriegsbuch. Die Hintergründe des Krieges werden nicht benannt. aber es erhellt die Psychogramme der Krieger.

Nick McDonell: Das Ende aller Kampfhandlungen. Aus dem Amerikanischen von Heike Schlatterer. Berlin Verlag: Berlin 2011, 189 S., geb., 18,95 €.; ISBN-10: 3827010101

* Aus: Neues Deutschland, 16. März 2011


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