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Britische Wähler lehnen Beteiligung an Irak-Krieg ab

Eine neue Umfrage signalisiert einen totalen Meinungsumschwung

Die britische Tageszeitung The Guardian veröffentlichte am 19. März 2002 Ergebnisse einer Umfrage, die sich mit der möglichen Unterstützung des geplanten US-Krieges gegen den Irak befasste. Danach würde zur Zeit (die Umfrage fand vom 15. bis 17. März statt) eine Mehrheit der Wähler eine britische Beteiligung daran ablehnen. Während 35 Prozent der Befragten für eine britische Kriegsunterstützung sind, votieren 51 Prozent dagegen (15 % sind unentschieden). Dieses Ergebnis stärkt der Labour-Ministerin Clare Short den Rücken, die erst vor wenigen Tagen ihre Opposition gegen den Kurs des Premierministers Tony Blair kundtat und darauf hinwies, dass sie im Falle eines "blinden Militärangriffs auf den Irak" ihren Kabinettsposten verlassen würde. Die Umfrage stärkt aber auch altgediente Kabinettsmitgliedern wie dem Innenminister David Blunkett den Rücken, der im privaten Kreis seine Ministerkollegen davor gewarnt hatte, dass in Großbritannien ein ernsthafter Anstieg rassischer Spannungen zu erwarten sei, wenn sich das Land dem Krieg gegen Saddam anschlösse.

Interessant an der vom Guardian in Auftrag gegebenen Umfrage (durchgeführt von ICM Research) ist auch, dass die Mehrheit von 51 Prozent einen Krieg gegen den Irak auch dann ablehnt, wenn er ohne Beteiligung der Briten stattfände. Interessant ist weiter, dass die Opposition gegen den Krieg ausgerechnet bei den Anhängern der Labour-Party am geringsten ist. Von ihnen sagen nur 46 Prozent, sie würden den Krieg ablehnen, während 43 Prozent der Meinung sind, Großbritannien sollte die Amerikaner unterstützen. (11 Prozent haben keine Meinung). Prozentual mehr Kriegsgegner in ihren Reihen haben erstaunlicherweise die Konservativen. Von ihnen sprechen sich 48 Prozent gegen und nur 41 Prozent für einen Krieg aus. Das muss dem konservativen Parteiführer Iain Duncan Smith wehtun, hatte er doch gerade noch die europäischen Regierungen aufgerufen, die USA solange zu unterstützen, bis sie ihr "unerledigtes Geschäft mit den irakischen Führern" beendet haben. Die Liberaldemokraten - zahlenmäßig natürlich nur die dritte Partei - schießen den Vogel ab und entscheiden sich mit einer Zweidrittelmehrheit (67 %) gegen den Krieg (21 % dafür und 12 % unentschieden).

Der beim Guardian verantwortliche Ressortchef für Innenpolitik, Alan Travis, stellt diesen Umfrageergebnissen genüsslich den Hinweis gegenüber, dass die Regierungen und Parlamente in Deutschland und Frankreich in größerer Übereinstimmung mit den britischen Wählern seien als die eigene Regierung. So wird etwa auf Rudolf Scharping verwiesen, der am 18. März klargestellt hätte, dass es im Bundestag keine Mehrheit für eine Intervention im Irak gäbe. Die ablehnende Haltung von Védrine und Jospin in Paris ist ohnehin bekannt.

Die Opposition gegen einen neuerlichen Krieg gegen den Irak markiert nach Auffassung von Alan Travis einen radikalen Stimmungsumschwung in der britischen Öffentlichkeit der letzten Monate. Im vergangenen Oktober sprachen sich noch 74 Prozent der Bürger für die US-amerikanischen und britischen Militäraktionen gegen Afghanistan aus. Und was den Irak betrifft, so waren - ebenfalls nach einer ICM-Umfrage - im Februar 1998 noch 56 Prozent für die Bombardierung irakischer Stellungen, 1991 waren es gar 80 Prozent gewesen, die den Krieg der Alliierten gegen den Irak unterstützt hatten.

Für Blair muss das eine Warnung sein, schreibt der "Guardian" im Leitartikel zu diesem Thema. "Die Zeiten ändern sich" und Blair habe nicht mehr den "Finger am Puls der Nation", wie das früher der Fall war. Die Öffentlichkeit macht einen entscheidenden Unterschied zwischen der militärischen Reaktion der USA nach dem 11 September, die mehrheitlich für notwendig erachtet und unterstützt wurde, und dem Krieg gegen den Irak. Die Menschen argwöhnen offenbar, dass die Kampagne gegen Saddam Hussein inszeniert wird von den rechtsgerichteten US-Kriegstreibern, die dafür auch keinerlei Beweises für Saddams Komplizenschaft mit den Terroristen vom 11. September benötigen. Offenbar spielt auch die Furcht davor eine Rolle, dass ein Krieg gegen den Irak mehr Probleme mit sich bringen würde, als er zu lösen vorgibt. Schließlich ist die britische Öffentlichkeit nach Meinung des Guardian nicht bereit einen Angriff auf den Irak zu tolerieren, während die USA Israel erlauben, die Bevölkerung, das Land und das Eigentum der Palästinenser zu zerstören.

Die ICM-Umfrage ist nicht das einzige Anzeichen für die politische Isolierung Blairs in der Irak-Frage. Die Kabinettsmitglieder Clare Short und Robin Cook, die "prominentesten Zweifler", haben mittlerweile auch David Blunkett auf ihrer Seite. Und mehrere weitere Minister haben nach Information des Guardian in privaten Gesprächen angedeutet, dass sie nicht Politiker geworden sind, um einen solchen Krieg gegen den Irak zu unterstützen, es sei denn alle Alternativen seien erschöpft. 130 Labour-Abgeordnete haben einen Initiativantrag gegen den Irak-Krieg unterschrieben. Und es gibt auch viele Skeptiker in den anderen Parteien. Von den Konservativen hat sich sogar der frühere Außenminister Douglas Hogg als Kritiker des US-Kurses geoutet. In diesem Punkt drücken sie alle nur die Meinung der Bevölkerung aus. Tony Blair dagegen hat die Unterstützung der Bevölkerung verloren.

Möglicherweise verliert er die Unterstützung auch noch für den Afghanistan-Einsatz. Am selben Tag, als die Umfrageergebnisse veröffentlicht wurden, gab die Regierung bekannt, dass sie auf Bitten der US-Administration 1.700 zusätzliche britische Soldaten nach Afghanistan schicken werde. Der vorgesehene Einsatz der Marinesoldate, Artillerieverbände, Ingenieurtruppe und Logistikkommandos ist zeitlich nicht befristet. Die Soldaten sollen in den schwer zugänglichen Bergregionen Taliban-Nester ausheben - ein gefährlicher Job, bei dem es, wie Verteidigungsminister Geoff Hoon sagte, "womöglich auch auf unserer Seite Tote geben" werde. Die Zahl der britischen Soldaten in Afghanistan wächst somit auf 6.100. Insgesamt hat das Vereinigte Königreich jenseits der britischen Küsten mehr als 30.000 Soldaten stationiert, davon 13.500 in Nordirland, weitere in Zypern, Kosovo, Bosnien, Falkland-Inseln und in der Golf-Region. Geoff Hoon sagte auch, die Spezial-Truppen würden so lange in Afghanistan bleiben, "wie sie zur Ausmerzung der Taliban dort gebraucht werden." Peter Kilfoyle, ehemaliger Staatssekrtetär im Verteidigungsministerium appellierte dagegen an die Bevölkerung, sich nicht auf etwas einzulassen, "was eine moderne Version Vietnams werden könnte". Immerhin gehen britische Militärexperten davon aus, dass in den afghanischen Bergen immer noch etwa 10.000 Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer verborgen sind. Es ist nicht auszuschließen, dass die britische Öffentlichkeit der Regierung auch bald die Unterstützung für den Afghanistan-Einsatz entzieht.

Peter Strutynski

Quellen: The Guardian, 19.03.2002; Artikel "Voters say no to Iraq attack" (S. 1) und Leitartikel "The message for Blair" (S. 9); diverse Tageszeitungen vom 20.03.2002



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