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Irak und falsche Bilder

Von Karin Leukefeld

Endlich, darauf haben alle gewartet: Bilder vom Frieden in Irak! Der SPIEGEL präsentiert sie in einer Reportage seiner Fotografin Tina Hager und seines Reporters Ullrich Fichtner live aus Irak. Fichtner, der mehrfache Träger verschiedener Preise, und Tina Hager, die frühere »White House«-Fotografin, reisten drei Wochen lang mit dem US-Militär durch Irak. Es war Fichtners vierte Irak-Reise seit 2003, und nicht das Militär wählte die Reiseroute, schreibt er, »es folgte den Wünschen des SPIEGEL«. Zensur gab es nicht, laut Fichtner, das dürfte auch kaum nötig gewesen sein. Reporter und Fotografin zeigen – der US-Armee-Sender Fox könnte es nicht besser machen – »heimliche Bilder vom Frieden« der US-Armee. Die Welt sei »taub geworden für dieses Wort, Frieden«, wenn es um Irak geht, erläutert Fichtner das Anliegen seiner Reportage. Die Lage an Euphrat und Tigris ließe sich »noch anders zeigen« als durch Schreckensbilder »brennender Tatorte« oder »Body Counts« der Toten. Der »Krieg um Bilder« scheine »die Mühen des US-Militärs lächerlich zu machen«.

Fichtner und Hager halten dagegen und inszenieren einen Irak mit Kindern, die sich »wie Trauben an die US-Soldaten« hängen, die »buhlen um Aufmerksamkeit, einen Blick, eine Süßigkeit, einen Dollar«, die »zu den großen Fremden wie zu Göttern« aufschauen. Die Bilder zur Reportage zeigen fast ausschließlich US-Soldaten, im Einsatz, auf der Patrouille, beim Telefonieren, auf dem Operationstisch. Die Reportage porträtiert sympathisierend gefällig Wirken und Sein des US-Militärs in Irak, wohl genau so, wie es in der Welt gesehen werden möchte. Und doch zeigt sie nicht mehr als »große Fremde«, die sich aufspielen, als seien sie Götter in ihrer selbst erschaffenen Realität, weit entfernt von dem »Land zwischen den Strömen«, das Iraker einst ihre Heimat nannten.

Jenseits der »heimlichen Bilder des Friedens« und jenseits der nüchternen Todesstatistik von »Iraq Body Count« gibt es Geschichten und Bilder, die nur selten den Weg in westliche Medien finden. Zu finden sind sie bei irakischen Journalisten, Hausfrauen, Ärzten, Geschäftsleuten, Jugendlichen, bei traurigen, gedemütigten, kranken, verstörten und wütenden Menschen. Manche leben in Irak, andere trifft man auf der Flucht in Damaskus, Amman, Beirut ...

Omar, ein irakischer Freund, hat mit seinem Handy fotografiert, was er auf den Straßen seines fast – im wörtlichen Sinne – ausgestorbenen Stadtteils Hay Jamia gesehen hat. Dort herrscht auch eine Art von Frieden, es herrscht Totenstille. Da liegt ein Leichnam am Straßenrand, ein Mann. Er liegt auf dem Rücken, die Schlappen an den erstarrten Füßen, ein Arm ausgestreckt, von dem nur noch der Oberarmknochen geblieben ist, Hunde haben den Rest abgenagt. Der Brustkorb ist aufgerissen, vertrocknete Gedärme quellen heraus, der Kopf sieht aus wie verkohlt, verformt, der rechte Arm fehlt. Dann ein anderer Leichnam, ein Mann, er liegt auf dem Bauch, als wolle er sich abstützen, erstarrt. Auch ihm sind die Arme abgenagt, bis auf die Knochen. Hinter ihm türmen sich Müllberge an einer Hauswand. Ein drittes Bild zeigt einen vom Unterleib abgerissenen Oberkörper und so weiter und so fort.

»Kennen Sie den Irak von früher«, wird Fichtner im Chat bei SPIEGEL-Online gefragt. Die Antwort bleibt er schuldig, wahrscheinlich nicht. In westlichen Medien gab es vor dem Krieg 2003 nur Diktatur in Irak, und heute? Liest man Sätze wie den, dass »die Lage in Irak ein Rennen im Gang« sei und der Kalender nur noch »historische Tage« kenne (Fichtner im SPIEGEL 32/2007).

Preisverdächtig, oder? Omar schreibt nur von Benzin-, Strom- und Wassermangel, von den Toten vor seinem Haus, die seine Kinder nicht sehen sollen und dass er hoffe, »dass die Menschen wissen, wie die Lage im Irak ist.«

* Aus: Neues Deutschland, 13. August 2007


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