Mehr Flüchtlinge, mehr Armut
Trotz positiv gefärbter Bilanzen geht es Irakern immer schlechter
Von Karin Leukefeld *
Seit fast fünf Jahren sind US-amerikanische Truppen in Irak. Das einstige Invasionsbündnis bröckelt,
nach Großbritannien werden auch Polen und Australien ihre Soldaten im kommenden Jahr aus dem
Zweistromland abziehen. Mauern trennen heute das irakische Mosaik aus Religionen und Nationen,
Frieden gibt es nicht.
2007 war das Jahr der irakischen Flüchtlinge. Offiziell spricht das UN-Flüchtlingskommissariat
UNHCR von 2,5 Millionen irakischen Flüchtlingen und 2 Millionen Inlandsvertriebenen. Etwa 1 Million Iraker zog es nach Syrien, wo bis Anfang Dezember die Einreise ohne Visum möglich war.
Jordanien, wo nach UNHCR-Angaben etwa 750 000 irakische Flüchtlinge leben, schloss seine
Grenzen schon im vergangenen Frühjahr. Zu den großen Verlierern unter den Inlandsvertriebenen in
Irak gehören die irakischen Palästinenser, die heute in provisorischen Wüstenlagern an der irakischsyrischen
Grenze ausharren.
Die Situation der irakischen Zivilbevölkerung hat sich 2007 weiter verschärft. Die Leidtragenden sind
vor allem Kinder und Frauen. Eine offizielle Regierungsstatistik geht davon aus, dass es in Irak etwa
fünf Millionen Waisenkinder gibt. Auch die Zahl der Witwen ist rapide gestiegen. Schlecht bleibt die
Versorgung mit Strom und sauberem Wasser, mit Medizin und Bildung in allen größeren Städten.
Steigende Preise für Gas, Benzin und Grundnahrungsmittel stürzen die Menschen in Armut. Kurz
vor dem islamischen Opferfest verkündete die Regierung, die Essensrationen würden zu Beginn des
neuen Jahres halbiert. Von den bisher zehn Produkten soll es dann nur noch Mehl, Zucker, Reis, Öl
und Milchpulver für Kinder geben. Grund für die Kürzung sei, dass sich die Preise für Nahrungsmittel
2007 verdoppelt hätten, so das Handelsministerium. Von acht Millionen Irakern, die auf die
Essensrationen angewiesen sind, lebt die Hälfte unter der Armutsgrenze von 100 US-Dollar pro
Monat.
Weiterhin ist Irak für Journalisten das gefährlichste Land, wie der Jahresbericht des Komitees zum
Schutz von Journalisten (CPJ) zeigt. Von den 32 im vergangenen Jahr getöteten Journalisten waren
31 Iraker.
Ministerpräsident Nuri al-Maliki verlor 2007 fast die Hälfte der Minister seiner Einheitsregierung.
Umstritten ist weiterhin das neue Ölgesetz, das eine Privatisierung von Förderung und Exporten
vorsieht. Eine breite irakische Ablehnungsfront sorgte dafür, dass der Entwurf, der sowohl in
Washington als auch in Bagdad Anfang des Jahres abgesegnet worden war, inzwischen auf Eis
liegt. Die kurdische Regionalregierung verabschiedete daraufhin nicht nur ein eigenes Ölgesetz,
sondern schloss auch ein gutes Dutzend Verträge mit internationalen Ölfirmen ab.
Während der Kontakt zum einflussreichen Nachbarn Iran sehr eng ist, befinden sich die
Beziehungen zum nördlichen Nachbarn Türkei auf dem Tiefpunkt. Seit Weihnachten bombardiert die
türkische Luftwaffe Lager der PKK in den nordirakischen Kandilbergen, türkische Truppen
marschierten kurzfristig sogar in Nordirak ein. Wie wenig souverän Irak tatsächlich ist, zeigt sich
nicht zuletzt daran, dass es die US-Armee war, die den Türken den irakischen Luftraum freigab,
während die irakische Regierung protestierte.
Die Optimismus verbreitenden Berichte der US-Armee und westlicher Medien, wonach die
Sicherheit in Bagdad Ende 2007 besser sei als zu Beginn des Jahres, kommentierte die »Los
Angeles Times« bissig: »Wenn aber die Stabilität in Irak von kilometerlangen Betonmauern und
einer endlosen US-Besatzung abhängt, dann ist das kein ›Sieg‹, sondern eine Niederlage.«
* Aus: Neues Deutschland, 31. Dezember 2007
Zurück zur Irak-Seite
Zurück zur Homepage