Neue Attentate erschüttern Irak
Mindestens 46 Menschen sterben bei Selbstmordanschlägen
Bei zwei Selbstmordattentaten sind in Irak am Sonntag (18. Juli) mindestens 46 Menschen getötet worden. Unterdessen erhob die irakische Justiz weitere Anschuldigungen gegen den ehemaligen irakischen Vizepremier Tarik Asis.
Nahe der Hauptstadt Bagdad sprengten sich am Sonntag (18. Juli) Attentäter
inmitten von Mitgliedern der Sahwa-Miliz in die Luft, teilten die Behörden mit. Auch ein weiterer
Anschlag an der Grenze zu Syrien richtete sich gegen die Miliz, die seit dem Jahr 2006 gegen das
Terrornetzwerk Al Qaida kämpft.
Der erste Anschlag wurde am Morgen vor dem Haupteingang einer Militärbasis in Radwanija verübt,
rund 25 Kilometer von Bagdad entfernt. Zu diesem Zeitpunkt standen dort Mitglieder der
sunnitischen Sahwa-Miliz an, um sich ihren Lohn auszahlen zu lassen. Nach Angaben der Polizei
hatten sich zwei Männer mit Down-Syndrom unter die Milizionäre gemischt. Durch die Explosion
ihrer Sprengstoffgürtel wurden 43 Menschen getötet und 40 weitere verletzt, verlautete aus Innenund
Verteidigungsministerium.
Auch der zweite Anschlag in El Kaim an der Grenze zu Syrien galt Angehörigen der Sahwa-Miliz:
Ein Selbstmordattentäter sprengte sich vor einem Büro der Miliz in die Luft, teilte die Polizei mit.
Zwei Milizionäre und ein Polizist wurden dabei getötet, drei weitere Menschen verletzt.
Die Sahwa-Brigaden, auch als »Söhne Iraks« bekannt, bestehen überwiegend aus ehemaligen
sunnitischen Aufständischen. Auf Initiative örtlicher Stammesführer nahmen sie im Sommer 2006
ihren Kampf gegen Al Qaida auf und spielten eine wichtige Rolle in der Strategie der USA. Sie
trugen zu einer Verringerung der Angriffe von Aufständischen bei, wurden aber immer wieder auch
selbst zum Ziel von Anschlägen.
Seit Oktober 2008 stehen die Milizionäre unter irakischem Kommando. Obwohl die Führung in
Bagdad zugesagt hatte, ein Fünftel der Milizionäre in die regulären Truppen des Landes
einzugliedern und weitere in öffentliche Ämter zu bringen, verläuft dieser Prozess nur schleppend.
Viele Milizionäre befürchten, dass sie nicht nur im Fadenkreuz des Al-Qaida-Terrornetzwerks
stehen, sondern auch von der Regierung mit Misstrauen betrachtet werden. Unter USA-Führung
sollen sie für ihre Dienste monatlich rund 300 Dollar bekommen haben, von der schiitisch geführten
irakischen Regierung hingegen nur 100 Dollar. Im vergangenen halben Jahr wurden immer wieder
Sahwa-Kämpfer getötet, auch viele Angehörige fielen Racheakten zum Opfer.
Viele Iraker schreiben die Zunahme der Angriffe auf Milizionäre und Angehörige der
Sicherheitskräfte in den sunnitischen Städten und Wohnbezirken den Parteien zu, denen es seit der
Parlamentswahl am 7. März nicht gelungen ist, eine Regierung zu bilden. Dadurch sei ein
Machtvakuum entstanden, das von Al-Qaida-Terroristen ausgenutzt wird.
Der Anwalt des früheren stellvertretenden irakischen Regierungschefs Tarik Asis, der am Mittwoch (14. Juli) von einem Gefängnis unter US-amerikanischer Verwaltung an die irakischen Behörden überstellt
worden war, teilte unterdessen mit, dass die irakische Justiz gegen seinen Mandanten weitere
Vorwürfe erhoben habe. Er sei darüber informiert worden, dass Asis und 15 weitere Beschuldigte
am Sonnabend vor Gericht gestellt wurden, um sich wegen »Verschwendung öffentlicher Gelder« zu
verantworten, sagte Badih Aref am Sonntag (18. Juli).
Die US-Armee hatte die Kontrolle über ihr letztes Gefangenenlager in Irak, Camp Cropper, am
Donnerstag den örtlichen Behörden übergeben. Bei den meisten Insassen handelt es sich um
Führungsmitglieder der verbotenen Baath-Partei Saddam Husseins. Asis hatte sich im April 2003
der US-Armee ergeben und war in Camp Cropper inhaftiert worden. Wegen »Verbrechen gegen die
Menschlichkeit« im Zusammenhang mit der Hinrichtung von 42 Kaufleuten im Jahr 1992 hatte ein
irakisches Gericht Asis 2009 zu 15 Jahren Haft verurteilt.
* Aus: Neues Deutschland, 19. Juli 2010
Ex-Vizepremier Asis an Irak übergeben
Anwalt sieht Mandanten in Lebensgefahr
Der frühere irakische Vizepremier Tarik Asis ist von einem US-Gefängnis nahe Bagdad in ein Gefängnis der irakischen Behörden überstellt worden, so dass ihm nach Angaben seines Anwalts nun die Todesstrafe droht.
Asis habe ihm telefonisch mitgeteilt, dass die US-Armee ihn an die irakischen Behörden übergeben habe, sagte der Anwalt Badih Aref am Mittwoch in der jordanischen Hauptstadt Amman der Nachrichtenagentur AFP. Sein Mandant, der unter Saddam Hussein stellvertretender Ministerpräsident sowie Außen- und Informationsminister war, sei nun im Kasemieh-Gefängnis in Bagdad. Aref kritisierte, der Vorgang verstoße gegen die Charta des Roten Kreuzes, wonach ein Gefangener »nicht an seine Feinde ausgeliefert« werden dürfe. Asis befinde sich nun »in Gefahr, denn er ist in den Händen seiner Feinde, die ihm die Todesstrafe auferlegen könnten, um ihn loszuwerden«.
Asis hatte sich im April 2003 nach dem US-Einmarsch in Irak der US-Armee ergeben und war in Camp Cropper, einem Gefangenenlager der Armee nahe Bagdad, inhaftiert worden. Seine Familie forderte wegen gesundheitlicher Probleme, insbesondere Herzbeschwerden, wiederholt die Freilassung des 1936 geborenen Asis.
Ein irakisches Gericht hatte Asis im März 2009 wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« im Zusammenhang mit der Hinrichtung von 42 Kaufleuten im Jahr 1992 zu 15 Jahren Haft verurteilt, im August desselben Jahres wurde er wegen der Verfolgung irakischer Kurden in den 80ern zu weiteren sieben Jahren Gefängnis verurteilt.
Unterdessen verstärkt die türkische Armee im Kampf gegen die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK die Grenze zu Irak. Um neue Militärposten zu errichten und bestehende Stellungen auszubauen, seien derzeit 5000 Mann im Einsatz, berichteten türkische Medien am Mittwoch. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan habe in Gesprächen mit Politikern anderer Parteien angekündigt, 150 neue Militärposten in den Kurdengebieten errichten zu wollen.
Aus: Neues Deutschland, 15. Juli 2010
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