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Zur Erinnerung: "Iraqgate"

Was die Welt über den Golfkrieg schon 1994 erfuhr

Dieser Tage schickte der Autor des folgenden Beitrags seinen Text, den er 1994 in der "Wochenzeitung" veröffentlicht hatte, per e-mail an zahlreiche Empfänger. Es lohnt sich in der Tat, sich diesen, gerade einmal drei Jahre nach dem Golfkrieg geschriebenen Artikel heute im Lichte neuerlicher Vorbereitungen zu einem Krieg gegen Irak vorzunehmen. Wenn im Folgenden von George Bush die Rede ist, dann ist damit der Vater des jetzigen Präsidenten gemeint.


Architektur der Spinnen

Drei Jahre nach Ausbruch des Golfkriegs: Wie es dazu kam

Von Shraga Elam

Drei Jahre nach Ausbruch des «Wüstensturms» ist ernsthaft nicht mehr zu bestreiten, was damals eine machtlose Antikriegsbewegung nur vermutete: dass die Administration George Bushs sich ihren Kriegsgegner Irak planmässig geschaffen hat. Die prominenten Ermittler von «Iraqgate» stören sich allerdings weniger an der infamen Kriegsvorbereitung als an dem nach ihrer Ansicht oberfaulen Kriegsausgang.

Was heute in den USA «Iraqgate» genannt wird, ist die bewusste und gezielte Finanzierung der irakischen Militärmacht durch Kreise um den damaligen Präsidenten George Bush. Es geht dabei um Beträge in der Höhe von mehreren Milliarden US-Dollar, um Kredite bzw. Kreditgarantien des US-Landwirtschaftsministeriums und um die Finanzierung von Waffenprogrammen. Angesichts dessen, was schon lange an Einzelheiten durchsickerte, war es auffällig, dass die neue Administration offiziell keinerlei Anstalten unternahm, die ganze Geschichte aufzudecken. Nach Ansicht William Safires, des bekannten Kolumnisten der «New York Times», erklärt sich diese Zurückhaltung mit einem Stillhalteabkommen zwischen Bush und Clinton. Bush vermied Kritik an seinem Nachfolger, Clinton beteiligte sich im Gegenzug, unter Bruch eines seiner Wahlversprechen, an der Unterdrückung der Affäre. Anfang November letzten Jahres brachte der Wirtschaftsjournalist Alan Friedman die Geheimniskrämer dann allerdings in neue Schwierigkeiten. Sein neues Buch «Das Spinnennetz. Die geheime Geschichte der illegalen Aufrüstung des Irak durch das Weisse Haus», die «Bibel» (Safire) für diejenigen, die auf eine Aufklärung der Angelegenheit drängen, präsentiert eine Fülle von Einzelheiten zu den Machenschaften der Bush-Administration bei der Aufrüstung Iraks. So gründlich Friedman die US-amerikanische und, wenn auch weniger ausführlich, die britische Beteiligung aufrollt, so systematisch blendet er die israelische Seite der Affäre aus. Dies ist wohl kein Zufall, denn Alan Friedman, William Safire und viele andere derjenigen, die sich um eine Aufdeckung von «Iraqgate» bemühen, gehören zum rechten Flügel der Israel-Lobby in den USA.

Dass auch Israel seinen Part spielte, hatte Saddam Hussein in seiner berühmt-berüchtigten Rede vom 2. April 1990 behauptet: Sowohl der britische und der amerikanische als auch der israelische Geheimdienst hätten im Verlaufe der letzten fünf bis sechs Jahre laufend versucht, dem Irak angereichertes Uran für den Bau einer Atombombe anzudrehen (BBC Summary of World Broadcasts, 4.4.1990). Haarsträubende US-amerikanische und britische Aktionen zur Aufrüstung Bagdads sind mittlerweile hinlänglich bekannt, insofern ist auch Saddam Husseins Aussage, der israelische Geheimdienst habe ihm ebenfalls angereichertes Uran angeboten, ernst zu nehmen.

Friedman führt den israelischen Geheimdienst Mossad nur einmal in seinem Buch an: Gerüchteweise wird dessen mögliche Rolle in der Affäre um die Atlanta-Filiale der italienischen Banca Nazionale del Lavoro (BNL) kolportiert, die eine zentrale Rolle bei den Finanztransfers im Rahmen von «Iraqgate» gespielt hatte. Zwei Kaderleute, die mit ihren Hinweisen 1989 die zwielichtigen Geschäfte des Unternehmens bekanntmachten, sollen auf Initiative des Mossad an die Öffentlichkeit gegangen sein (S. 122). Das soll schon alles gewesen sein, was Israels berühmter Dienst beizutragen hatte? - Es fällt schwer zu glauben, dass vor der Nase des Mossad jahrelang riesige geheime Operationen abliefen und er davon nichts gewusst haben soll. Und gar nicht mehr vorstellbar ist die Annahme, der Dienst habe erst Anfang 1990 Kenntnis von den Aktivitäten seines ehemaligen Mitarbeiters Gerald Bull erhalten, der, finanziert über die BNL, für den Irak eine «Superkanone» zu bauen versuchte. Weit weniger märchenhaft wäre da die Überlegung, dass der Kanonennarr direkt im Auftrag seiner alten Partner (USA, Südafrika, Israel) nach Irak geschickt worden war.

Der Aufbau des Bildes eines Feindes der gesamten Menschheit im arabischen Raum könnte aus einer israelischen Schule stammen. Tatsächlich kam auch die Gleichsetzung zwischen Saddam Hussein und Hitler ursprünglich aus Israel. Als die Kriegsbereitschaft im Herbst 1990 nicht richtig um sich greifen wollte und in sämtlichen wichtigen US-amerikanischen Medien nach einem «pretext» (Vorwand) verlangt wurde, geschah etwas in Israel, das nur allzusehr wie ein Versuch anmutet, die gewünschte Ware zu liefern. Am 8.10.1990 schoss die israelische Polizei zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte der Besatzung und entgegen dem Reglement mit Seriefeuer an der Al-Aqsa-Moschee, dem drittheiligsten Ort des Islam, in eine aufgebrachte palästinensische Menge. Eine israelische Untersuchungskommission liess später nur die Möglichkeit offen, dass der Befehl zu diesem Massaker von oben kam. Wenn es denn als Provokation gedacht war, dürften die Verantwortlichen von den Reaktionen eher enttäuscht gewesen sein, nur vereinzelte islamische Fundamentalisten reagierten wie erwartet. Es kam nicht zu den erhofften massiven Vergeltungsschlägen, die den Weg in den Krieg hätten ebnen können.

Während des Krieges bekam Israel nach eigener Ansicht eine viel zu passive Rolle. Lautstark forderten israelische Generäle, Nuklearwaffen gegen den Irak einsetzen zu können, und tatsächlich waren diese Waffen auch abschussbereit. Bekanntlich setzten sich jedoch diejenigen durch, die, wie Israels konservative Anhänger in den USA kritisierten, auf halbem Wege den Krieg beendeten. Die Enttäuschung über die magere Beute für Israel bewog die rechten Kritiker unter Führung William Safires zur Eröffnung ihrer Anti-Bush-Kampagne: einer Medienkampagne, die aus Ärger über den Kriegsausgang aufdeckte, dass der Irak in den Krieg getrieben wurde. Die Kritik richtet sich also nicht gegen die Kriegsvorbereitung selbst, und der eigentlich zentrale Aspekt der Affäre verlangt noch gründlicher Recherchen. Die bereits jetzt reichliche Literatur gibt aber immerhin bereits die Konturen einer der grössten Infamien der jüngeren Geschichte preis.

Eine Betrachtung der Irakpolitik Bushs zeigt eine eindeutige Wende seit 1989. Nach jahrelanger unzweifelhafter Iraklastigkeit (bei gleichzeitiger heimlicher Unterstützung auch des Iran) kommen zum Ende des ersten Golfkrieges Misstöne auf. Plötzlich fahren die USA auf zwei Schienen, nach einem bekannten «good cop - bad cop»-Spielchen. Die Aufdeckung der BNL-Affäre am 29. Juli 1989 erschwerte nicht nur die weitere finanzielle Unterstützung der irakischen Kriegsmaschine, sie muss auch als Signal für die Änderung der Spielregeln genommen werden. Die wirtschaftliche Kriegsführung gegen den hochverschuldeten Irak war zu dem Zeitpunkt und mit der aktiven Hilfe Kuwaits bereits voll im Gange. Die weiteren Schritte zum zweiten Golfkrieg:
  • 2.10.1989: Präsident Bush unterzeichnet die Nationale Sicherheitsdirektive 26, in der Richtlinien für die finanzielle Unterstützung Iraks festgelegt werden.
  • 22.11.1989: In einem Memorandum von Fahd Ahmad el-Fahd, dem kuwaitischen Direktor der Staatssicherheit, an den Innenminister heisst es: «Wir stimmen mit der amerikanischen Seite in der Einschätzung überein, dass es wichtig ist, von der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Irak zu profitieren, um Druck auf dieses Land auszuüben, mit dem Ziel, Auseinandersetzungen über den Grenzverlauf zu provozieren. Die CIA hat uns ihren Standpunkt über die geeigneten Mittel vorgetragen, diesen Druck aufrechtzuerhalten.» (Pierre Salinger und Eric Laurent: «Krieg am Golf. Das Geheimdossier», München [Hanser] 1991. S. 48)
  • Januar 1990: «Ein führender US-amerikanischer Mittelost-Experte - ein ehemaliger Botschafter, der von der Bush-Administration immer noch in aussenpolitischer Mission eingesetzt wird - trifft sich insgeheim mit einem irakischen Minister in New York. Dem Minister wird erklärt, der Irak solle sich für eine Erhöhung der Ölpreise stark machen, damit er aus seiner schrecklichen ökonomischen Lage herauskommt. (...) Eine Denkfabrik aus Washington schlug vor, der Irak solle auf einen Ölpreis von 25 Dollar pro Barrel drängen und die Preiserhöhung in der Opec durchsetzen.» (Helga Graham: «Exposed: Washington's role in Saddam's oil plot». «The Observer» [London], 21.10.90)
  • Im Februar 1990 wird Saddam Hussein in einem Beitrag der «Stimme Amerikas» und in Artikeln der «Financial Times» angegriffen. Im Gegenzug verlangt der Irak erstmals öffentlich eine Aufhebung des wirtschaftlichen Drucks gegen sein Land.
  • Im gleichen Monat wird ein britischer Journalist (ausgerechnet mit iranischer Abstammung) nach Irak geschickt, um in diesem streng kontrollierten Land nach so etwas Harmlosem wie Atomwaffen zu forschen. Die Verhaftung und Hinrichtung von Fazard Bazoft am 15.3.1990 erregt internationale Empörung.
  • Am 28.3.1990 fangen Zollbeamte am Londoner Flughafen Heathrow eine für Bagdad bestimmte Ladung aus Kalifornien mit Zündvorrichtungen für Atombomben ab. Damit beenden sie erfolgreich eine achtzehnmonatige anglo-amerikanische Operation, in der der Irak geködert werden sollte. Acht Tage später wird in einem geheimen Memorandum zu Handen der US-amerikanischen Bankenaufsicht eine Verbindung zwischen dem Geschäft mit den Atomzündern und der BNL bestätigt. (Friedman, S.158)
  • Am 10.4.1990 beschlagnahmt der britische Zoll in den Docks von Teesside acht Riesenstahlrohre (Kaliber 1000 mm), die in den Irak verschifft werden sollten, als Bestandteile von Dr. Gerald Bulls Superkanone. (Friedman, S. 168)
  • 12.4.1990: Während Saddam Husseins Drohungen (in seiner bereits erwähnten Ansprache vom 2.April), chemische Waffen gegen Israel einzusetzen, massive politische Reaktionen des Weissen Hauses hervorriefen, bemühten sich sowohl Bush als auch Aussenminister James Baker in privaten Botschaften, Saddam Hussein in Sicherheit zu wiegen. Die erste Botschaft des Präsidenten wurde von Senator Robert Dole, der eine Senatsdelegation in den Irak leitete, am 12.April Saddam Hussein während einer zweistündigen Audienz übergeben. (Friedman, S. 160)
  • Während dieser Zeit laufen mit grossem Aufwand Bemühungen, Kuwait von seiner hartnäckigen antiirakischen Position abzubringen. Die PLO und Jordanien versuchen, zeitweilig mit Unterstützung Saudi-Arabiens, intensiv, aber vergeblich, in der irakisch-kuwaitischen Auseinandersetzung zu vermitteln. (Arafat werden seine den US-Interessen widersprechenden Vermittlungsversuche später als Parteinahme für Saddam Hussein ausgelegt, seine PLO wird zur grossen Verliererin des Krieges - im Gegensatz zu Jordanien, das den Irak zwar tatkräftig unterstützte, wundersamerweise aber später nicht bestraft wurde, es hatte offenbar keine mächtigen Interessen verletzt. Vgl. Pierre Salinger und Eric Laurent, 1991)
  • Am 25.7.1990, einen Tag nachdem die CIA irakische Truppenverschiebungen an der kuwaitischen Grenze gemeldet hatte, erklärte die US-amerikanische Botschafterin April Glaspie Saddam Hussein laut einem nie dementierten irakischen Gesprächsprotokoll: «Wir wollen zu den innerarabischen Konflikten keine Position beziehen, beispielweise zu Ihrem Konflikt mit Kuwait.» (Salinger, Laurent, S. 63)
  • Am 2.8.1990 besetzten irakische Truppen Kuwait. Innerhalb von einigen Stunden erhielten daraufhin 40000 US-amerikanische Soldaten den Marschbefehl.
Der US-amerikanische Zickzackkurs wird in der Regel als Konsequenz einer Fehlkalkulation der Bush-Administration in ihrer Irakpolitik erklärt. Die Aufdeckung von «Iraqgate» lieferte nun allerdings den fast schon lückenlosen Beweis dafür, dass die USA planmässig die Aufrüstung Iraks unterstützten, um einen Krieg herbeizuführen, dessen Ziel offensichtlich nicht die Vernichtung des «Neo-Hitlers» Saddam Hussein war. Auch ein «Kampf um die Kontrolle der grössten Erdölvorräte der Welt» erklärt in diesem Falle nichts: Zu keinem Zeitpunkt war die US-amerikanische Hegemonie ernsthaft in Frage gestellt, der Irak hatte sich seine Forderung nach höheren Ölpreisen in Washington zumindest absegnen, wenn nicht diktieren lassen.

Aufschlussreicher als derartige Spekulationen über den Sinn des Krieges ist ein Blick auf die Konjunkturdaten der direkt und indirekt Beteiligten. Offensichtlich setzte in den USA schon im März 1991 eine konjunkturelle Erholung ein. Genauso offensichtlich ging es nach dem Krieg in Saudi-Arabien, der BRD und Japan, die neben Kuwait im wesentlichen für die Kosten des «Wüstensturms» aufkamen, wirtschaftlich bergab. Das zumindest hat «Iraqgate» also erreicht: die Schwächung der grössten US-amerikanischen Handelskonkurrenten. Die Schüsse am Golf wären damit nichts anderes gewesen als die Eröffnung eines Handelskriegs, der «Dollar-Diplomatie», die, so der damalige stellvertretende Aussenminister Lawrence Eagleburger im Dezember 1989, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus zum Gebot der Stunde wurde.

Aus: Wochenzeitung, 14. Januar 1994


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