Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Die Friedensbewegung ist nicht tot"

Peter Strutynski über konjunkturelle Flauten, den Iran-Konflikt und das Menschenrechts-Argument

Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das am 17. März 2006, einen Tag vor dem weltweiten Aktionstag gegen den Irakkrieg, in der Tageszeitung "Neues Deutschland" erschien.


Neues Deutschland: Friedensgruppen rufen für morgen zu Protesten gegen »Krieg und Besatzung« auf. Drei Jahre nach Beginn des Irakkriegs scheint die Bewegung aber in einer konjunkturellen Flaute zu stecken. Sie selbst haben unlängst von einem »merklichen Rückgang der öffentlichen Resonanz« gesprochen. Mit welcher Beteiligung rechnen Sie?

Strutynski: Die morgigen Aktionen sind zumindest hier zu Lande nicht darauf angelegt, große Massen zu mobilisieren. Es finden zwar Demonstrationen und Kundgebungen statt. Aber die werden über einen begrenzten Teilnehmerkreis nicht hinauskommen. Man muss ganz nüchtern einschätzen, dass die Friedensbewegung heute in einer ganz anderen Situation ist als noch vor drei Jahren, als es mit den Protesten gegen den Irakkrieg einen ganz außergewöhnlichen Aufschwung gegeben hatte.

Warum ist der verebbt?

Wenn ein Krieg drei Jahre dauert und sich derart in einer Gewaltspirale festgefahren hat wie in Irak, wo sich legitimer Widerstand, terroristische Akte, Kriminalität und vieles andere vermischen, werden die Vorgänge für Außenstehende immer undurchsichtiger. Zudem lässt sich eine Bewegung nicht ohne Weiteres über Jahre auf einem hohen Niveau halten. Die Friedensbewegung ist deswegen aber weder tot noch scheintot und auch nicht inaktiv. Wir konzentrieren uns derzeit vor allem darauf, über die Wirklichkeit in Irak aufzuklären.

Das öffentliche Interesse hat sich von Irak in Richtung Iran verschoben. Es hat den Anschein, in der Bevölkerung würden mögliche Militärmaßnahmen in diesem Fall eher akzeptiert, wohl auch wegen des von Irans Präsident Ahmadinedschad aufgebauten Bedrohungsszenarios gegen Israel. Ist es für die Friedensbewegung diesmal schwerer, Rückhalt zu finden?

Umfragen zufolge lehnen zwischen 60 und 70 Prozent der Bevölkerung ein militärisches Vorgehen gegen den Iran ab, insbesondere auch eine mögliche deutsche Beteiligung daran. Wenn sich nicht viel oder besser: noch nicht so viel sichtbarer Protest regt, darf das nicht fälschlicherweise als Zustimmung gewertet werden. Hinzu kommt, dass die Regierungen – ob nun der USA oder europäischer Staaten – erhebliche Mühe aufwenden, den Iran zu dämonisieren. Ahmadinedschad hat dafür allerdings auch Vorlagen geliefert, die von den Kriegsbefürwortern propagandistisch genutzt wurden.

Wie erklärt man der Öffentlichkeit, dass man immer gegen Atomkraft war – nun aber für das Recht Irans auf deren Nutzung eintritt?

Es ist richtig, viele in der Friedensbewegung treten für einen Ausstieg aus der Atomenergie ein. Auch, weil die Trennung zwischen ziviler und militärischer Nutzung eine willkürliche ist und in der Praxis nicht aufrechtzuerhalten ist. Ganz abgesehen davon, dass auch die zivile Nutzung erhebliche Risiken in sich birgt. Aber: Das Völkerrecht und das Prinzip der Vereinten Nationen beruhen auf der Gleichheit aller ihrer Mitglieder. Man kann nicht in einem Land den Bau von Atomkraftwerken zulassen oder gar unterstützen – und in einem anderen nicht. Warum fordert niemand zum Beispiel von Frankreich, auf seine zivile Atomkraft zu verzichten? An Iran werden besondere Maßstäbe angelegt, das ist das Problem.

Aber es war nicht zuletzt die iranische Opposition, die vor den Atomplänen im eigenen Land gewarnt hat. In Teheran geht die Regierung massiv gegen Streikende vor. Demokratische Rechte werden nicht gewährt. Hat die Friedensbewegung keine Angst vor falschen Freunden?

Wer sich nicht angewöhnt, zwischen dem inneren Zustand eines Landes, dem Völkerrecht und den internationalen Beziehungen zu unterscheiden, wird schnell in ein Fahrwasser geraten, wo er Kriege für gerechtfertigt hält, wenn in einem Staat Menschenrechte massiv verletzt werden. Das halte ich für eine große Gefahr. Der Krieg selbst ist die schlimmste Menschenrechtsverletzung. Übrigens: War Saddam Hussein besser oder schlechter als Ahmadinedschad? War Milosevic besser oder schlechter als Ahmadinedschad oder als Saddam Hussein? Alle drei wurden als »Hitler« des Nahen Ostens oder des Balkans dämonisiert. Trotzdem hat sich die Friedensbewegung sowohl im Fall Jugoslawien als auch im Fall Irak eindeutig auf den Standpunkt gestellt, hier werde internationales Recht verletzt. Abgesehen davon: Wir alle wissen, dass es den USA und den anderen Kriegsbefürwortern nicht um Menschenrechte geht – sondern um andere Ziele.

Die Formel vom Blut für Öl ...

Genau. Das war in Irak so und ist auch in Iran der Fall. Das Land war schon im Visier der USA, bevor der Irakkrieg begonnen wurde. Iran ist geostrategisch das Verbindungsglied, das den USA bzw. den Westmächten noch fehlt, um die Verbindung zwischen dem Nahen Osten und Zentralasien bis an die Grenze Chinas herzustellen. Außerdem verfügt Iran über noch größere Rohölreserven als Irak, ist also ein glänzendes Objekt der Begierde für die nach Öl dürstenden westlichen Industriestaaten. Ich glaube, dass das der Hauptpunkt ist.

* Peter Strutynski, 60, ist einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, eines Zusammenschlusses von zahlreichen Basis-Friedensinitiativen und Einzelpersonen. Über die für Samstag geplanten Aktionen drei Jahre nach Beginn des Irakkrieges und den heutigen Stand der Friedensbewegung sprach Tom Strohschneider mit ihm.

Aus: Neues Deutschland, 17. März 2006



Zurück zur Irak-Seite

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zur Iran-Seite

Zur Seite "Stimmen gegen den Krieg"

Zur Seite "Stimmen gegen den Irakkrieg"

Zurück zur Homepage