Indonesien: Der Druck auf Präsident Wahid wächst
Bewegung und Unsicherheit im Militär - Eine Analyse von Watch Indonesia!
Von "Watch Indonesia!" erhielten wir folgende "kurze Analyse der militärinternen Vorgänge der beiden vergangenen Wochen" von Ingo Wandelt.
Abdurrahman Wahid hat in den beiden vergangenen Wochen ein sehr
geschicktes Spiel mit der ihm zunehmend distanziert gegenüber stehenden
Militärführung gespielt. Die offenen Andeutungen einer Parlamentsauflösung
und einer anschließenden Sicherheitslage, in der die TNI (indon. Militär)
Farbe
bekennen müsste, hätte die TNI vor schwierige Probleme gestellt. Einerseits
hätte sie in einem solchen Fall den verfassungsgemäß gegebenen Gehorsam
zum Präsidenten und Oberbefehlshaber Gus Dur demonstrieren müssen, indem
sie die danach angeheizte Sicherheitslage militärisch hätte absichern
müssen, und andererseits hätte sie auf ihre selbst formulierte neue
Position, keine Rolle in der "praktischen Politik" mehr spielen zu wollen
und
stattdessen eine abgehobene, quasi neutrale Rolle im innenpolitischen
Geplänkel des Inselstaates zu spielen, verzichten und sich damit auch
politisch hinter den Präsidenten stellen müssen. Die TNI hätte sich nach
einer Auflösung des Parlaments als reines Instrument der Wünsche Gus Durs
zeigen müssen. Der damit verbundene Verlust an militärischer Ehre wäre
für die sich gerade regenerierende Seele der TNI vernichtend gewesen.
Doch dazu wird es, zumindest auf die von Wahid geplante Weise, sicherlich
nicht kommen. Wahids stärkster Hebel in seinem politischen Ränkespiel mit der TNI ist in
einer momentanen strukturellen Schwäche des Militärs begründet.
Die zuletzt vorgenommene interne Postenverschiebung (Mutasi) geschah im
April 2000. Damals wurden an die zweihundert Stellen führender Offiziere
und Generäle in den drei Teilstreitkräften neu vergeben.
Die TNI benötigt mittlerweile den raschen Durchlauf ihrer führenden
Kommandeure durch die Ränge und Positionen. Der Sessel eines Generals darf
nicht warm werden. Nach spätestens einem Jahr muss sein Nachfolger
nachrücken. Entsprechendes gilt auch für die Stühle der untergeordneten Offiziere.
Wenn die Generäle nicht wegrücken, müssen sie auf ihren Plätzen verharren.
Das führt zu einer Vielzahl von Frustrationen, funktionalem
Kompetenzwirrwarr und zu einer gespannten Stimmung in den Rängen.
Gus Dur blockiert offenkundig seit Wochen die notwendige Neubesetzung der
Position des Heeresstabschefs (Kasad oder KSAD). Zwar besagen Berichte (und
Gerüchte), dass er den jetzigen Positionsinhaber Endriartono Sutarto nicht
besonders schätzt - über die Gründe wurde in der Presse berichtet - und ihn
gerne absetzen würde. Aber gerade das bietet ihm den Anlass, Sutarto in Amt
und Würden zu behalten: der militärinterne Druck setzt zuallererst Sutarto
zu, und nicht dem Präsidenten.
Der Versetzungsdruck betrifft nicht die führenden Positionen im Heer.
Endriartono wurde Kasad im Oktober 2000, sein Stellvertreter Kiki Syahnakri
wurde im November ernannt. Kostrad-Chef Ryamizard (Kostrad = strategische
Heeresreserve, eine Elitetruppe der TNI) sitzt neun Monate auf
seinem Sessel. Auf der Top-Ebene besteht somit kein akuter Handlungsbedarf.
Wohl aber auf der Ebene der Kodam (Wehrbereichskommandos) mit ihren
Zwei-Sterne Generälen und ebenso auf all den Posten der mittleren
Führungsetage. Dort schmoren seit über einem Jahr viele Top-Leute als Pati
Mabes (hoher Offizier im Hauptquartier) im eigenen Saft. Zum Beispiel
Tyasno
Sudarto, Suaidi Marasabessy, Sugiono, Kivlan Zein. Und nicht zuletzt Agus
Wirahadikusumah, der höchste Drei-Sternler unter den Park-Generälen.
Die Zwei-Sternler können aber nur dann aufrücken, wenn ihre Vorgesetzten
ebenfalls nach oben rücken. Dort aber blockiert Endriartono die Spitze.
Er muss weg, die sich ergebenden Fragen sind, wohin? und wann?
Gus Durs Problem ist der Mangel an ihm loyal gesonnenen Generälen.
TNI-Befehlshaber Widodo, ein Mann der Marine, ist ihm nicht mehr so
wohlgesonnen wie einst. Er sucht die Nähe zum Heer, auch um
seinen Posten zu sichern. Auch die drei Stabschefs der Teilstreitkräfte
haben sich von Wahid distanziert. Einzig verbliebener Wahid-Loyalist
scheint Agus Wirahadikusumah zu sein.
Widodo hat sich seit einem Jahr als unfähiger Panglima (Oberbefehlshaber)
erwiesen. Er hat nichts bewirkt und die Führungsspitze der TNI in ein
Vakuum verwandelt. Die TNI muss bemüht sein, an Stelle dieser Leernummer
einen fähigen Mann zu setzen, vorzugsweise aus dem Heer. Endriartono ist
der einzig geeignete Mann dafür. Er besitzt bereits vier Sterne und ist
damit
der zur Zeit einzige geeignete Kandidat. Indem ihn Wahid auf seinem Posten
als Kasad belässt, hält er das Heer an seiner Kandare.
Sollte es Wahid gelingen, die Rundum-Mutasi noch drei Monate
hinauszuzögern, wird die TNI ihre nach außen gezeigte gelassene Ruhe
verlieren
und schwach werden. Sein Risiko besteht darin, dass Megawati als
Ersatzkandidatin für das Präsidentenamt ihre Amtsübernahme mit dem
Versprechen an die TNI verbindet, die Mutasi schnellstmöglich
durchzuführen.
Das sich daraus ergebende Problem betrifft die innere Balance der TNI.
Es ist keineswegs als gesichert anzunehmen, dass alle Teilstreitkräfte mit
der führenden Rolle der Kostrad Boys und ihrem Übervater Wiranto
einverstanden sind. Die Kostrad Boys stehen dem Wohlwollen der USA
entgegen,
den Boykott ihrer Rüstungslieferungen aufzuheben. Solange Wirantos Schatten
allzu präsent ist, kommen erneute Rüstungslieferungen - die sicher kommen
werden!! - einem Gesichtsverlust der USA gleich. Ein Endriartono als
Panglima TNI schadet der TNI selbst.
Die gerüchteweise ins Spiel gebrachte Alternative Agus Wirahadikusumah
macht Sinn. Er ist als Drei-Sternler bestens geeignet, sowohl Kasad als
auch
Panglima TNI zu werden. Er ist auch den USA genehm und seine Ernennung
würde in Washington sicherlich begrüßt werden.
Eine wichtige Zwischenposition stellt Ryamizard Ryacudu, der Chef der
Kostrad dar. Auch er wäre für einen Aufstieg geeignet. Allerdings ist er
einziger Vertreter der Abschlussklasse 1974 der Militärakademie und seine
Ernennung würde seiner Altersklasse der in den Startlöchern stehenden
Klassen
von ´72 und ´73 einen Vorrang geben. Sein Aufstieg brächte Verbitterung
bei
den übergangenen Generälen der Jahre ´72 und ´73, was sich die TNI zur
Zeit
nicht leisten kann und darf.
Der gestern als Ersatz für Ryamizard ins Spiel gebrachte Kivlan Zein (nicht
"Zen", wie berichtet) ist eine interessante, aber eigentlich abwegige
Figur. Sollte er Ryamizard tatsächlich ersetzen, wäre die "grüne"
(islamische)
Fraktion der TNI wieder im Spiel. Zein steht nicht nur Prabowo Subianto
nah, sondern ist einer der Hardliner-Generäle, die Indonesiens Heil in
reformislamischem Gedankengut und der Hinwendung zu Gruppen wie Laskar
Jihad usw. sehen. Zein und die ihm nahe stehenden Generäle sind, wie er,
zur
Zeit geparkt und somit machtlos.
In einer kurzfristigen (und kurzsichtigen) Perspektive machte Zein für
Wahid durchaus einen Sinn: Mit Agus Wirahadikusumah als Reformgeneral (ein
vorsichtig zu bewertender Begriff!) und Zein als "Grünem" wären die
Kostrad Boys in der Zange. Zumal Zein selbst ein Kostrad-Mann ist und also
kein Außenseiter, was dem Eindruck einer Zurückstufung des
Kostrad-Netzwerkes entgegenwirken könnte. Dennoch wären mit einem solchen
Führungsduett die
Spannungen zwischen Wahid und dem Heer keineswegs beendet.
So bleibt die vorläufige Schlussfolgerung, dass Abdurrahman Wahid keine
realistische Chance auf Unterstützung durch die TNI mehr besitzt. Was immer
er tun wird, wird ihn in noch größere Opposition zur TNI bringen.
Ingo Wandelt, Hürth, 19. Mai 2001
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