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Noch mehr deutsche Panzer für Indonesien

Von Alex Flor, Watch Indonesia! *

Während sich die Bundesregierung über den geplanten Export von Leopard-Panzern nach Indonesien weiterhin bedeckt hält, berichten indonesische Medien bereits freimütig von einem weiteren Rüstungsgeschäft: demnach sollen noch im September die Verträge über den Kauf von 50 Schützenpanzern des Typs Marder 1A3 sowie 10 weiterer „supporting tanks“ ungenannten Typs unterzeichnet werden.

Übereinstimmend berichteten indonesische Tageszeitungen wie Kompas, Suara Karya sowie die englischsprachige Jakarta Post am 13. September über das bevorstehende Geschäft mit der deutschen Firma Rheinmetall. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Jakarta empfing Vizeverteidigunsminister Sjafrie Sjamsoeddin nebst anderen hochrangigen Vertretern seines Hauses Heidrun Tempel, die deutsche Gesandte an der Botschaft Jakarta. Frau Tempel habe die Unterstützung der Bundesregierung für ein von Sjafrie Sjamsoeddin angeführtes „High Level Committee“ nach Deutschland zugesagt. Die Reise soll diese Woche stattfinden. Genaue Daten liegen Watch Indonesia! leider nicht vor.

Eine ebenfalls von Sjamsoeddin geleitete Delegation hatte bereits Ende Februar Deutschland besucht. Ihr gehörte auch der Stabschef des Heeres, General Pramono Edhie Wibowo an. Er ist ein Schwager des Staatspräsidenten Susilo Bambang Yudhoyono und Sohn des als „Kommunistenschlächters“ bekannt gewordenen Sarwo Edhie Wibowo, unter dessen Kommando in den Jahren nach 1965 nach eigenen Angaben „vielleicht drei Millionen“ tatsächliche und vermeintliche Kommunisten umgebracht wurden. Bis heute warten überlebende Opfer auf eine förmliche Entschuldigung und Reparationen seitens des Staates. Erst kürzlich hat die nationale Menschenrechtskommission Komnas HAM eine umfangreiche Studie vorgelegt, welche der Generalstaatsanwaltschaft eine Ermittlung wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen empfiehlt.

Auf dem Programm der Reise im Februar standen Gespräche mit dem Rüstungskonzern Krauss-Maffei-Wegmann über die Lieferung von 103 (nicht wie bisher berichtet 100) Kampfpanzern des Typs Leopard 2A4. Des weiteren wurde am 27. Februar 2012 eine Vereinbarung mit dem deutschen Verteidigungsministerium über die rüstungs- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit beider Staaten abgeschlossen, deren konkreter Inhalt der Öffentlichkeit bisher aber noch nicht bekannt ist.

Bis zum Besuch von Kanzlerin Merkel in Jakarta, versteckte sich die Bundesregierung hinter Floskeln: es liege kein formelles Kaufgesuch vor, Gespräche über Rüstungslieferungen stünden nicht auf der Agenda der Besuchsreise und im Übrigen beteilige sich die Bundesregierung nicht an Spekulationen über mögliche Waffengeschäfte. Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono brüskierte die Kanzlerin, indem er sich nicht an diese Sprachregelung hielt, sondern das Thema Waffenlieferungen in einer gemeinsamen Pressekonferenz freimütig ansprach.

In der Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag vom 23.08.2012 (BT-Drucksache 17/10520) wurde immerhin zugegeben, dass der Bundesregierung seit 23. Juli 2012 ein Antrag auf Genehmigung der vorübergehenden Ausfuhr von vier Leopard 2A4-Kampfpanzern und vier Schützenpanzern Marder 1A3 zur Vorführung in Indonesien vorliege.

Die nun durch die Medien verbreitete offene Berichterstattung seitens des indonesischen Verteidigungsministeriums bezüglich des Kaufs von 50 Schützenpanzern des Typs Marder ist eine weitere schallende Ohrfeige für die Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung. Den Berichten zufolge hätte Indonesien die ersten Exemplare der beiden neuen Panzer gerne bereits am 5. Oktober, dem Tag der Streitkräfte (in Indonesien ein nationaler Feiertag), der Öffentlichkeit vorgeführt. Aufgrund logistischer Probleme sei eine Vorführung der ersten Exemplare realistischerweise aber erst im November anlässlich der Rüstungsmesse „Indo Defence 2012“ möglich.

Weiterhin heißt es, die Marder sollten einen Beitrag dazu leisten, dass die indonesische Rüstungsindustrie künftig selbst in der Lage sei, Panzer dieser Größenordnung zu produzieren. Stehen also neben dem reinen Export von Hardware möglicherweise auch Verträge über eine Lizenzfertigung an?

Stehen auch deutsche Militärflugzeuge auf der Einkaufsliste?

Die Medienberichte lassen darauf schließen, dass noch weitere Rüstungsgeschäfte zwischen Deutschland und Indonesien anstehen. Das „High Level Committee“ wolle neben der Unternehmensspitze von Rheinmetall und Vertretern der Bundesregierung auch die Firma Grob besuchen, heißt es dort. Handelt es sich hierbei um die Grob Aircraft AG, einem Hersteller von zivilen Kleinflugzeugen und militärischen Trainingsflugzeugen mit Sitz in Tussenhausen im Allgäu? Steht demnach also auch ein Export von Trainingsflugzeugen unmittelbar bevor?

Die Menschenrechtslage

Die Menschenrechtssituation im Empfängerland ist ein zentrales Kriterium für die Genehmigung von Rüstungsexporten. So steht es zumindest auf dem Papier.

Vor Jahren war Indonesiens Militär wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen in Osttimor mit einem Embargo belegt. Osttimor ist mittlerweile seit 10 Jahren ein unabhängiger Staat. Aber bis heute wurde keiner der verantwortlichen indonesischen Militärs wegen der damals begangenen Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Mutmaßliche Täter wie General Wiranto und der – wegen des Auffahrens von Panzern (!) auf den Regierungspalast im Mai 1998 – unehrenhaft aus der Armee entlassene ehemalige General Prabowo sind heute Vorsitzende populärer politischer Parteien. Wiranto kandidierte vor drei Jahren für das Amt des Vizepräsidenten und Prabowo gilt gar als aussichtsreicher Kandidat für die anstehenden Präsidentschaftswahlen.

Wie Wiranto und Prabowo sind zahlreiche andere mutmaßliche Täter aus den Reihen des Militärs nach wie vor in Amt und Würden – sei es in den Streitkräften oder in der Politik. Keiner der mutmaßlich verantwortlichen Militärs für die schweren Menschenrechtsverletzungen von 1965, für das Massaker von Tanjung Priok 1984, für die „mysteriösen“ Morde an mutmaßlichen Kleinkriminellen („Petrus“), für die Entführung und das Verschwindenlassen von Aktivisten 1997/98, für die Erschießung von Demonstranten und die anti-chinesischen Pogrome von 1998 sowie für zahlreiche andere Fälle Verantwortliche wurde jemals wegen dieser Taten verurteilt.

In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage vom 23.08.2012 heißt es jedoch:
"Menschenrechtsverletzungen, die zu einer Einstellung der Kooperation mit Teilen der indonesischen Streitkräfte führten, liegen mehr als zehn Jahre zurück. Inzwischen ist Indonesien eine gefestigte Demokratie, in der die Regierung sich nicht nur offen zur Wahrung der Menschenrechte bekennt, sondern deren Einhaltung sich auch in den Streitkräften durchsetzt. Insbesondere bei den indonesischen Spezialkräften nimmt das Thema 'Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen im Einsatz' in der Ausbildung inzwischen breiten Raum ein.
Die Bundeswehr unterstützt die Kooperationen mit den indonesischen Streitkräften in diesem Jahr mit unterschiedlichen Programmen, z. B. zu den Themen Innere Führung und Wehrrecht."


Tatsächlich fanden und finden schwere Menschenrechtsverletzungen auch in den zurückliegenden zehn Jahren bis zum heutigen Tage statt: 2004 erlag der prominente Menschenrechtsanwalt Munir auf einem Flug nach Amsterdam einer Arsenvergiftung. Die Gerichte sahen sich außerstande, mutmaßlich verantwortliche Täter aus den oberen Rängen des Geheimdienstes zu überführen.

Bis zum 26. Dezember 1994, als ein gewaltiger Tsunami dafür sorgte, dass die Karten neu gemischt werden mussten, herrschte in der Provinz Aceh der militärische Ausnahmezustand – zu gut Deutsch: Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Einer Aufarbeitung der damaligen Ereignisse durch eine Wahrheitskommission wurde erst vor wenigen Tage eine Absage erteilt.

Bis zum heutigen Tage leidet die Bevölkerung der beiden östlichsten Provinzen, Papua und West-Papua, unter der Repression des Militärs. Extralegale Hinrichtungen stehen auf der Tagesordnung. Weltweit verbreitete Videos zeigen erschütternde Szenen von Folterpraktiken durch Angehörige des Militärs.

Was bewirken deutsche Rüstungslieferungen?

Reflexartig versuchen MenschenrechtlerInnen, RüstungskritikerInnen und politische GegnerInnen des indonesischen Militärs, einen direkten Zusammenhang zwischen Rüstungslieferungen und Menschenrechtsverletzungen herzustellen: Leopard-Panzer bedrohen die Menschen in Papua!

Manche werden sich darüber wundern, dass diese Sichtweise selbst auf Seiten der Betroffenen nicht immer geteilt wird.

Denn deutsche Panzer („panser Jerman“) haben in Indonesien ein durchaus positives Image. Die Mehrzahl des fußballbegeisterten Volkes assoziiert mit diesem Begriff nämlich die Spielweise der deutschen Nationalmannschaft in Zeiten vor Bundestrainer Löw: nicht schön, aber effektiv! So was kommt an in Indonesien.

Wer im Internet nach kritischeren Stimmen bezüglich der Leopard- und Marder-Panzer suchen möchte, sollte anstatt „panser Jerman“ lieber „tank Jerman“ eingeben. Unter diesem Suchbegriff finden sich zahlreiche kritische Stimmen. Aber auch diese Kritik geht nicht immer konform mit den Ansichten westlicher RüstungskritikerInnen: da wird dann schon mal argumentiert, dass man das Geld lieber in die Anschaffung von Drohnen, anstatt in Panzer investieren solle. Vielleicht schon interessanter: selbst für solche Äußerungen wurde Al Araf, ein Dozent an der „Indonesian Defense University“ , bereits seines Jobs enthoben.

ExpertInnen in Deutschland sind sich weit gehend darüber einig, dass die unmittelbar drohende Gefahr einer Lieferung von Leopard-Kampfpanzern eher theoretischer Natur ist. Diese großen und schweren Panzer sind angesichts der topografischen Bedingungen Indonesiens kaum einsetzbar. Fast jede Straßenbrücke würde unter der Last eines Leoparden zusammenbrechen. Das Kaufgesuch nach Kampfpanzern dieser Größenordnung muss in erster Linie dem Geltungsbewusstsein der indonesischen Streitkräfte im Kontext des allgemeinen Wettrüstens in Südostasien zugeschrieben werden.

Eine mehr als nur symbolische Gefahr wäre allerdings gegeben, wenn Deutschland tatsächlich kleinere, gut bewegliche Schützenpanzer wie den Marder nach Indonesien liefern würde: es bedarf keiner großen Fantasie, um sich ausmalen zu können, wie diese Panzer gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden können.

* Quelle: Watch Indonesia!, Information und Analyse, 20. September 2012

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