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Vorauskommando

Deutsches Aufsichtspersonal in der indonesischen Provinz Aceh

BANDA ACEH/COLOMBO/BERLIN (Eigener Bericht) - Deutsche Soldaten werden nach Indonesien entsandt und als militärisches Aufsichtspersonal in der Separatistenprovinz Aceh tätig. Weitgehend unbemerkt traf ein zivil-militärisches Vorauskommando bereits vor mehreren Tagen im Einsatzgebiet ein. Dies bestätigt das Auswärtige Amt (AA) auf Anfrage von german-foreign-policy.com. Die Entsendung ist Bestandteil der in Helsinki ausgehandelten Vereinbarungen zur Beendigung des jahrzehntelangen Sezessionskrieges um Aceh und lässt die EU-Kernstaaten in Indonesien als Vermittler auftreten. Dabei bedient sich das Auswärtige Amt einer Vorfeldorganisation, die es als "Zentrum für Internationale Friedenseinsätze" (ZIF) bezeichnet. Die deutsche Präsenz folgt den Bundeswehr-Aktivitäten nach der Tsunami-Katastrophe im Januar 2005 und stärkt die Berliner Position in Südostasien. Dort finden erbitterte Einflusskämpfe um Ausgangspositionen für die erwartete Konfrontation zwischen der Volksrepublik China und den Vereinigten Staaten statt. Das unter deutsch-europäischem Druck ausgehandelte Autonomieabkommen für Aceh beflügelt Sezessionsbestrebungen in weiteren umkämpften Regionen, so in der ostindonesischen Provinz Papua. Auch in Sri Lanka führt ein von Berlin forciertes Abkommen über die Verteilung von Hilfsgeldern zu einer Verschärfung der inneren Spannungen.

Wie das Auswärtige Amt (AA) einräumt, sind fünf vom ZIF entsandte "Experten" bereits in Aceh im Einsatz und werden als Teil einer EU-geführten Beobachtermission ausgewiesen. Das ZIF, das 2002 von Bundesregierung und Bundestag gegründet wurde, verfügt nach Auskunft des AA über einen Pool von Fachleuten, die "Erfahrung auf diesem Gebiet mitbringen, etwa aus dem Bereich der Wahlbeobachtung". Im Windschatten des ZIF-Kommandos ist ein Vertreter der deutschen Botschaft tätig, der über interessierende Details aus der bisher schwer zugänglichen Provinz Aceh nach Berlin berichtet. Der deutschen ZIF-Gruppe werden bis zum offiziellen Arbeitsbeginn der "Aceh Monitoring Mission" (15. September) fünf Bundeswehrsoldaten folgen, die vorläufig ohne Uniform auftreten und der tatsächlichen Militärmission einen zivilen Anstrich geben sollen. Der Einsatz wird von der EU angeführt und umfasst auf Verlangen der indonesischen Regierung auch Personal aus fünf südostasiatischen Staaten (Brunei, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand). Die USA sind nicht vertreten.

Bedeutender Schritt

Die Mission, die von ihrem Leiter Pieter Feith als "bedeutende(r) Schritt für die EU-Sicherheitspolitik" gewertet wird [1], folgt dem fast dreimonatigen Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Rahmen der Tsunami-Nothilfe. Am 1. Januar hatte Berlin das erste Erkundungskommando nach Indonesien entsandt, am 20. Januar vermeldete das Verteidigungsministerium: "An Land und auf See umfasst das deutsche Kontingent rund 380 Soldatinnen und Soldaten."[2] Unter den ersten auf Aceh tätigen deutschen Militärs befand sich ein Einsatz-Kamera-Team des "Zentrum Operative Information", das unmittelbar damit begann, Bildinformationen über die Lage in der Krisenregion via Satellit an die militärische Führung in Deutschland zu übertragen.[3] Die deutschen Militärbewegungen erweckten damals den Anschein, eine langfristige Präsenz in der Region vorzubereiten, mussten aber wegen zahlreicher Proteste am 18. März vorläufig beendet werden.[4]

Pazifisches Jahrhundert

In Berlin wird seit geraumer Zeit geäußert, Deutschland und die EU sollten sich auch militärisch in Ost- und Südostasien engagieren. Europa müsse sich dort zu einem "wichtigen regionalen Akteur" entwickeln und dazu "militärische Kapazitäten zur Förderung seiner fernöstlichen Interessen bereitstellen", heißt es bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.[5] Die Forderung, die deutsche Außenpolitik müsse sich "de(r) vergessenen Konflikte(...)" in Asien annehmen, wurde bereits 2002 in das Asien-Konzept des AA aufgenommen.[6] Die zunehmenden Berliner Aktivitäten in Ost- und Südostasien tragen der weltpolitischen Bedeutung der Region Rechnung, in der die Volksrepublik China und die Vereinigten Staaten um Einfluss ringen. Angesichts des Aufsehen erregenden Aufstiegs Beijings hat US-Präsident Bush die kommenden Jahrzehnte zum "pazifischen Jahrhundert" erklärt.[7]

Ruf nach Intervention

Das auf deutsch-europäischen Druck ausgehandelte Autonomieabkommen für Aceh beflügelt Sezessionsbestrebungen in anderen Teilen Indonesiens. In der ostindonesischen Provinz Papua hat eine Zusammenkunft von Vertretern indigener Stämme ("Dewan Adat Papua") die so genannte Sonderautonomie "zurückgegeben", die seit dem 1. Januar 2002 der Provinzbevölkerung eine größere Unabhängigkeit von Jakarta verlieh. Mit der provokativen Aktion verbänden sich Hoffnungen auf eine Intervention fremder Staaten und auf eine anschließende Loslösung der Provinz aus dem indonesischen Staat, berichten Beobachter.[8] Der Präsident Indonesiens hat inzwischen ausländische Einmischungsversuche scharf zurückgewiesen.

Neuer Tiefpunkt

Auch in Sri Lanka, dem zweiten Schauplatz deutscher Tsunami-Hilfsmaßnahmen, verschäft sich seit Beginn der deutschen Regionalaktivitäten der Sezessionskonflikt. Dort hat Berlin die Regierung gedrängt, in einem Abkommen über die Verteilung der Hilfsgelder die Rebellenorganisation LTTE als Vertragspartner anzuerkennen und sie bei der Mittelvergabe den hoheitlichen Repräsentanten faktisch gleichzustellen. Die Aushöhlung der Souveränität Sri Lankas führte im Juni zum Bruch der Regierungskoalition [9] und heizt die gewalttätigen Spannungen im Land erneut an. Beobachter berichten von LTTE-Plänen, mittels einer militärischen Eskalation ein Eingreifen des Westens zu erzwingen und damit die eigene Verhandlungsposition weiter zu stärken. Der Friedensprozess hat in dem südasiatischen Staat inzwischen einen neuen Tiefpunkt erreicht.[10]

Fußnoten
  1. Friedensvertrag für Aceh unterzeichnet; Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.08.2005
  2. Chronologie der Hilfeleistungen; www.bundeswehr.de/C1256EF4002AED30/CurrentBaseLink/N268SEB4168MMISDE
  3. s. dazu "Langfristiger Einsatz" (Siehe unten im Anhang)
  4. s. dazu "Langfristiger Einsatz" (Siehe unten im Anhang)
  5. Für eine europäische Fernostpolitik. Stand und langfristige Perspektiven, SWP-Studie 2004/S 41, November 2004; www.swp-berlin.org
  6. s. dazu Auswärtiges Amt: "Schwarze Löcher der Ordnungslosigkeit" (Siehe unten im Anhang)
  7. Bush befiehlt, Europa folgt; Welt am Sonntag 24.02.2002
  8. Appell: Drohender Gewalteskalation in Papua besonnen entgegen treten!; Watch Indonesia! 05.08.2005
  9. s. dazu "Teile und herrsche" und "Die Macht der 'Hilfe'" (Siehe unten im Anhang)
  10. Keine offenen Kampfhandlungen, aber von Frieden keine Spur; Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.08.2005
19.08.2005

Quelle: www.german-foreign-policy.com

Anhang

Langfristiger Einsatz
14.01.2005

BERLIN/JAKARTA - Berlin fordert die von der Flutkatastrophe getroffenen Staaten in Asien zur Aufgabe wichtiger Souveränitätsrechte auf. Die dortigen Regierungen müssten die Kontrolle über den Wiederaufbau der verwüsteten Gebiete den Geberstaaten überlassen, heißt es in der deutschen Hauptstadt. Gegen den Widerstand der indonesischen Regierung hat die Bundeswehr zudem militärische Bewegungen in Gang gesetzt, die Befürchtungen nähren, die deutsche Armee könne sich langfristig in der Region festsetzen. Deutschland und die Europäische Union konkurrieren in Süd- und Südostasien mit den USA, während Japan und China sich die Rolle als regionale Führungsmacht streitig machen.

Quelle: Auszug aus: http://www.german-foreign-policy.com/de/news/art/2005/50321.php

Auswärtiges Amt: "Schwarze Löcher der Ordnungslosigkeit"
03.07.2002

BERLIN - Die deutsche Außenpolitik hat in Asien "vergessene Konflikte" entdeckt und will sich den "fehlgeschlagenen Staaten" der Region fürsorglich widmen. Dies geht aus dem neuen Asien-Konzept des Auswärtigen Amtes hervor. Die "globale Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands und der EU" müsse sich "mit den vergessenen Konflikten, den fehlgeschlagenen Staaten und den schwarzen Löchern der Ordnungslosigkeit" in Asien befassen, heißt es. "Nation-building" sei auch dort eine "strategische Aufgabe" für Deutschland, behauptet der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Volmer, und kündigte eine "Neuordnungspolitik" wie auf dem Balkan an. Das neue Asien-Konzept, das vom Auswärtigen Amt am 25. Juni vorgestellt wurde, löst das Asien-Konzept von 1993 ab und erkennt im Unterschied zu diesem in Asien nicht nur wirtschaftliche, sondern auch außen- und sicherheitspolitische Interessen Deutschlands. Besondere Bedeutung misst das Auswärtige Amt Ostasien zu, dem "dritte(n) wirtschaftliche(n) Wachstumspol der Welt" . Japan, Südkorea und - nach seinem WTO-Beitritt - besonders China seien "lukrative Märkte" , in denen Deutschland seine "Präsenz" ausbauen wolle. "Die deutsche Ostasienpolitik" , heißt es in dem Dokument, müsse sogar "ein zentrales Element der globalen Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands und der EU sein".

Quelle: Auszug aus: http://www.german-foreign-policy.com/de/news/art/2002/24407.phpe

Teile und herrsche
19.03.2005

BERLIN/COLOMBO/JAFFNA - Die Regierung Sri Lankas soll mit aufständischen Separatisten verhandeln und die bewaffneten Rebellen in die Verteilung von Hilfsgeldern einbeziehen. Dies fordert die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul anlässlich eines Berlin-Besuchs von Delegierten der südasiatischen Abspaltungsfront ("Liberation Tigers of Tamil Eelam" /LTTE). Die Separatisten unterhalten eine eigene Armee und wollen das Territorium Sri Lankas teilen. Anlass der deutschen Forderung, die sich gegen die Zentralregierung in Colombo richtet, sind Unstimmigkeiten bei der Versorgung von Flutopfern in dem schwer betroffenen Inselstaat. Während mehrere Länder (darunter die USA und Großbritannien) die Sezessionsarmee LTTE als "terroristische Organisation" einstufen, nutzt die Bundesregierung die westliche Nothilfe für eine in Sri Lanka heftig umstrittene Aufwertung der Organisation und der ihr nahestehenden Vereinigungen. Berliner Politikberater verlangen, "Deutschland und Europa" müssten angesichts umfangreicher Hilfszusagen größeren Einfluss auf die "süd- und südostasiatische(...) Kräftedynamik" erhalten. Die Regierung Sri Lankas und die LTTE hätten "gemeinsam die Entscheidungen darüber (zu) treffen, wie der Wiederaufbau gestaltet werden und in welchen Regionen welche Mittel eingesetzt werden" sollten, forderte Wieczorek-Zeul nach einem Gespräch mit dem Leiter der politischen Abteilung der LTTE, Paramu Tamilshevan.1) Die Einführung eines "gemeinsamen Entscheidungsmechanismus" würde die Sezessionsarmee nicht nur aufwerten, sondern sie der legalen Regierung faktisch gleichstellen. Die Konsequenzen der Berliner Forderung liefen auf eine Staatskrise hinaus und könnten Sri Lanka in weitere Unruhen stürzen. Wichtige Geberstaaten wie etwa Japan bestehen darauf, ihre Hilfslieferungen über die zentralen Verwaltungsbehörden in Colombo abzuwickeln. Dabei entstehen Komplikationen, weil die von der LTTE kontrollierten Gebiete im Nordosten des Landes am stärksten von der Flutkatastrophe betroffen sind.

Quelle: Auszug aus: http://www.german-foreign-policy.com/de/news/art/2005/51860.php

Die Macht der "Hilfe"
27.06.2005

COLOMBO/BERLIN - (Eigener Bericht) Die Regierung Sri Lankas gibt einer deutschen Forderung nach und bezieht die Separatistenorganisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) in die Verteilung internationaler Tsunami-Hilfsgelder ein. Unmittelbare Folge der auf Berliner Druck zustande gekommenen Vereinbarung ist der Bruch der Regierungskoalition in Colombo, deren bisherige Mitgliedspartei Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) gegen die Aushöhlung der Souveränität des Landes protestiert. Mit dem Abkommen zwischenRegierung und Separatisten verschärft sich zugleich die internationale Mächtekonkurrenz um den südasiatischen Inselstaat. Während die LTTE von Washington und London weiterhin als "terroristische Organisation" eingestuft werden, sucht Berlin den Kontakt zu der Sezessionsarmee und ihr nahe stehenden Vereinigungen. Für ihre Einflussnahme in Sri Lanka bedient sich die Bundesregierung auch der in Deutschland lebenden tamilischen Diaspora.
In der vergangenen Woche haben die Regierung Sri Lankas sowie die LTTE eine Vereinbarung unterzeichnet, die die Separatisten an der Verteilung der internationalen Tsunami-Hilfsgelder in Höhe von rund drei Milliarden US-Dollar beteiligt. Das Abkommen wertet die Aufständischen, denen zahlreiche Verstöße gegen die Waffenstillstandsbestimmungen von 2002 vorgeworfen werden, zur Vertragspartei auf und stellt sie bei der Mittelvergabe der legalen Regierung faktisch gleich. Die bisherige Regierungspartei JVP protestiert gegen die Aufwertung der Sezessionisten und warnt vor einer Aushöhlung der Souveränität Sri Lankas, in dessen nordöstlichen Gebieten die LTTE einen eigenen Staat errichten wollen. Wegen der Unterzeichnung des Abkommens hat sie die Regierungskoalition inzwischen verlassen, die innenpolitische Krise im Land hat sich dadurch weiter verschärft.

Quelle: Auszug aus: http://www.german-foreign-policy.com/de/news/art/2005/54260.php




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