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Atomdeal mit Indien: George W. Bush in Südasien

USA und Indien beerdigen den Atomwaffensperrvertrag - Massenproteste in Delhi - Autobombenanschlag in Karatschi (Pakistan)

Im Folgenden dokumentieren wir Berichte und Kommentare über die Südasienreise des US-Präsidenten George W. Bush. Im Mittelpunkt steht dabei das Nukleargeschäft zwischen Washington und Delhi. Karl Grobe sieht in der Frankfurter Rundschau das "Ende des Atomsperrvertrags" gekommen. Die Frage wird sein: Welche Lehren zieht der Iran daraus?



Roter Teppich und rote Fahnen für ungeliebten Gast

Südasientour von USA-Präsident George W. Bush auf heißem Pflaster / Autobomben im pakistanischen Karatschi und zehntausende Demonstranten auf den Straßen von Delhi

Von Hilmar König, Delhi*

Obwohl die Indien-Visite von USA-Präsident George W. Bush noch im vollen Gange ist, steht angeblich bereits fest: »Wir haben Geschichte gemacht.« So jedenfalls schätzte Premier Manmohan Singh das Treffen ein – während auf den Straßen Delhis und in anderen indischen Großstädten unübersehbare Menschenmengen gegen den Staatsbesuch protestierten und im pakistanischen Karatschi zwei Autobomben mindestens fünf Menschen getötet haben.

Das Bild am Donnerstag hätte widersprüchlicher nicht sein können: roter Teppich beim Empfangszeremoniell für Bush im Hof des Präsidentenpalastes und ein paar Kilometer entfernt ein Meer von roten Fahnen, unter denen sich zehntausende Inder auf dem Ramlila Ground zur Protestkundgebung versammeln. »Wir fordern die Abreise von Bush, weil er der größte Killer im 21. Jahrhundert ist. Er hat in Afghanistan und in Irak getötet. Und jetzt ist er darauf aus, Iraner zu töten«, begründet Hannah Mollah von der KPI(Marxistisch) die Teilnahme an der Kundgebung. Usha Verma von der Samajwadi Party glaubt: »All die Jahre war Indien stolz auf seine unabhängige Außenpolitik. Jetzt verkaufen wir unser Land an die USA.« KPI(M)-Führer Prakash Karat erklärt, dass es bis zur Weiterreise Bushs am späten Freitag nach Pakistan landesweit rund 1000 Protestaktionen geben werde, »die größten in Indiens Geschichte gegen einen Staatsbesuch«. Der Grund: die völkerrechtswidrige, imperialistische Gewaltpolitik der Administration in Washington.

Die nächste Station des Präsidenten wird Pakistan sein. Im Vorfeld seines Besuchs explodierten am Donnerstag zwei Autobomben ganz in der Nähe des USA-Konsulats in Karatschi. Fünf Menschen, darunter ein US-amerikanischer Diplomat, wurden getötet und über 40 verletzt; 15 Autos wurden zerstört, zehn brannten aus. Am Vortag waren im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet von Wasiristan 30 Mitglieder einer Rebellengruppe eliminiert worden. Vermutungen kursieren, die Anschläge in Karatschi könnten eine Antwort darauf gewesen sein. Den heutigen Freitag hat die islamische Opposition zum nationalen Protesttag gegen die Bush-Regierung und gegen den prowestlichen Kurs von General Musharraf ausgerufen.

Vor der Presse in Delhi machte Bush klar, dass »Terroristen und Killer« ihn von der Reise nach Pakistan nicht abhalten könnten. »Man kann mit ihnen nicht verhandeln. Wir müssen den Kampf gegen die Geißel des Terrorismus fortsetzen. Der Krieg gegen den Terror geht weiter«, versicherte er. Damit wiederholte Bush, was er schon am Vortag bei seinem bis zum letzten Augenblick geheim gehaltenen Blitzbesuch in Afghanistan betont hatte.

Mit Spannung war erwartet worden, ob Indien und die USA in der Kernfrage ziviler nuklearer Zusammenarbeit auf einen Nenner kommen würden. Ein Abkommen darüber war schließlich das Hauptziel für Bushs ersten Besuch in Indien. Über Monate gab es ein Tauziehen, wie viele der indischen Atomanlagen unter zivil und welche unter militärisch zu registrieren seien. Die von Delhi vorgelegte Liste fand zunächst keine Akzeptanz in Washington. Aber erst eine Einigung darüber ebnet den Weg für westliche Uranlieferungen an indische Atomreaktoren und für den Transfer moderner Nukleartechnologie. Auf indischer Seite schlug dem Regierungschef vehementer Widerstand des Atomestablishments entgegen, das die Trennung von militärischem und zivilem Sektor und die permanente Kontrolle der zivilen Anlagen durch die Internationaler Atomenergiebehörde (IAEA) als empfindliche Bedrohung der nationalen Sicherheit bewertet.

Am Ende kam es am Donnerstag trotz aller Bedenken zu einem Abkommen über zivile nukleare Kooperation, dessen Details allerdings noch nicht bekannt waren und das vom indischen Parlament wie vom USA-Kongress erst noch bestätigt werden muss. Angesichts dieses »historischen Abkommens« pries Bush die »lang währende strategische Partnerschaft, die gemeinsamen Werte, wie Demokratie und religiösen Pluralismus, die Kooperation im Handel, bei den Investitionen, in der Landwirtschaft und an der militärischen Front«. Diese Zusammenarbeit, so behauptete er, werde »die Welt sicherer machen«. Zugleich appellierte der USA-Präsident an Indien und Pakistan, die einmalige Chance zu nutzen und jetzt alle bilateralen Probleme, inklusive des Kaschmir-Konflikts, zu lösen.

Auch Premier Singh war des Lobes voll und glaubt, er habe mit seinem Gast heute »Geschichte geschrieben«. Er sprach von einer »sehr herzlichen und produktiven Diskussion« mit Präsident Bush über bilaterale und globale Fragen, vor allem zum gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus. Während er »keine Grenzen für die indisch-amerikanische Partnerschaft« sah, mahnte auf dem Ramlila Ground das rote Fahnenmeer, dass viele seiner Landsleute anderer Meinung sind.

* Aus: Neues Deutschland, 3. März 2006

Hintergrund

Im Juli vorigen Jahres, beim USA-Besuch von Premier Manmohan Singh, wurde das so genannte Nukleargeschäft unterzeichnet. Es stellt Indien garantierte Uranlieferungen für seine zivilen Reaktoren, USA-Know-how zur Energiegewinnung aus Atomkraft sowie Technologietransfer für sauberere Verkohlung und für Hydrogenbrennstoffzellen in Aussicht. Dieses lukrative Paket ließe sich trefflich für die Fortsetzung der stürmischen Wirtschaftsentwicklung Indiens nutzen. Allerdings ist der Preis dafür gepfeffert: Der bislang klammheimlich operierende Atomsektor muss erstens seine zivilen von den militärischen Anlagen trennen und zweitens die zivilen Nukleareinrichtungen der Kontrolle der IAEA unterstellen.

Indiens Atomenergie-Kommissionschef Anil Kakodkar etwa meint, dass beide Bereiche viel zu sehr miteinander verquickt seien, als dass man sie über Nacht trennen könne. Und vor allem müsse man die Forderung der USA energisch ablehnen, das Programm zur Entwicklung Schneller Brüterreaktoren auf die zivile Liste setzen zu lassen. Die Gewährleistung langfristiger Energiesicherheit und die Aufrechterhaltung einer minimalen glaubwürdigen nuklearen Abschreckung würden sonst in Frage gestellt. Während Premier Singh den aufmüpfigen Beamten zum Rapport einbestellte, erklärte KPI-Generalsekretär Bardhan, Kakodkars Befürchtungen seien nicht persönlicher Art, sondern nationale Bedenken.

Angeblich stehen die rund 40.000 Beschäftigten im Nuklear-Establishment hinter ihrem Chef. Auch acht ehemalige Diplomaten stimmten in den Chor der Zweifler ein. Indien gingen unschätzbare Vorteile verloren, monierte ein Insider in der »Times of India«: Die Verschmelzung von zivilen und militärischen Nukleareinrichtungen habe nicht nur Verunsicherung beim Gegner geschaffen, sondern erleichtere, wenn erforderlich, auch den schnellen Fluss von Informationen und Technologie zwischen beiden Bereichen. Washingtons und Delhis Chefunterhändler glaubten schließlich, einen Kompromiss gefunden zu haben. Da das Schnelle-Brüter-Programm nicht vor 2010 komplett sein werde, sollte es bis dahin auch nicht unter IAEA-Kontrolle kommen. Auch dagegen gab es sofort Protest. »Wenn wir in dieser wichtigen strategischen Frage amerikanischem Druck nachgeben, wird Indien auf die gleiche Art behandelt werden wie Irak und Iran«, befürchtet der ehemalige Atomkommissionsvorsitzende P.K. Yyenger.

In der Vereinbarung ist von reziproken Schritten die Rede. Doch während Delhi einen Plan über die Teilung seiner Atomanlagen vorgelegt hat, wartete man bisher vergeblich auf einen Aktionsplan darüber, wie die Bush-Administration den USA-Kongress zur Zustimmung des Nukleargeschäfts bringen will. Obwohl dort die enormen Geschäftsmöglichkeiten für die heimische Atomindustrie durchaus in Rechnung gestellt werden, befürchtet man weiter, Bush könne Indien, das weder den Atomwaffensperrvertrag noch das Teststoppabkommen unterzeichnet hat, eine Hintertür zum »Atomklub« öffnen. Er würde mithelfen, Indiens Kernwaffenprogramm zu expandieren, monierte eine Gruppe einflussreicher Atomexperten in einem warnenden Brief an den Kongress. Andere verweisen darauf, dass Pakistan nun gleichfalls ein solches Geschäft verlangt.

Hilmar König



Kommentare

Das Ende des Atomsperrvertrags

VON KARL GROBE

Manmohan Singh, der indische Regierungschef, und sein Gast George W. Bush haben den politischen Bund fürs Leben geschlossen, wenn man den freudig-erregten Kommentaren der großen indischen Zeitungen glauben darf. Eine neue Ära breche da an, und ohne das Wort "historisch" kommt kein Kommentator aus.

Ja, Geschichte ist in Neu-Delhi gemacht worden. Das Hauptkapitel handelt von der Zusammenarbeit in Atomfragen. Eine schöne Geschichte. Dem Atomwaffensperrvertrag ist Indien nie beigetreten und scheint auch keinen Gedanken darauf zu verschwenden. Dieser Vertrag sollte den Kreis der Atomwaffenmächte auf die fünf damals, vor 36 Jahren, als solche anerkannten Staaten USA, Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien und China begrenzen. Die derzeit 187 Unterzeichner haben das Recht, unter internationaler Kontrolle die Nukleartechnik friedlich zu nutzen; die Kontrollen sollen die nukleare Aufrüstung verhindern.

Die Rechte darf Indien mit Washingtoner Segen fortan wahrnehmen; den Verboten ist es ohnehin entgangen. Damit hat Bush den Sperrvertrag mit dem Siegel des Weißen Hauses zu Altpapier gestempelt. Dass der US-Kongress das präsidiale Gütezeichen wieder entfernt, ist ebenso wenig zu erwarten wie ein parlamentarisches Nein in Indiens Lok Sabha. Dort wird eher Freude darüber ausbrechen, dass die seit 30 Jahren bestehenden Sanktionen - die internationale Strafe für die Nuklearrüstung - faktisch fallen. Am Rosenmontag erst versicherte Regierungschef Manmohan Singh, Indien werde keinerlei Vorbehalte gegen den von eigenen hervorragenden Wissenschaftlern geschaffenen Schnellen Brütern zulassen. Das Können der indischen Wissenschaftler steht außer Zweifel; die Funktion des Schnellen Brüters ebenso wenig. Der produziert ja nicht Reisbrei, sondern Plutonium; es ist Illusion zu glauben, das Zeug könne man den Nuklearmilitärs vorenthalten.

Dies alles ist eine exquisite Sammlung ermutigender Signale für die so genannten nuklearen Habenichtse. Auch für jene, die dem Sperrvertrag beigetreten sind und dennoch unter Argwohn stehen. Iran und Nordkorea zum Beispiel dürfen sich ermuntert sehen: Zuckerbrot bekommt, wer das Verbotene dennoch tut; wer aber Vertragstreue vorgibt, bekommt dann die Peitsche, wenn der Hauptmieter im Weißen Haus ihm nicht glaubt.

Der wähnt sich über internationales Recht und geltende Verträge erhaben, sofern es den Interessen dient, die er vertritt. Alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher als die anderen, schrieb George Orwell vor 61 Jahren. Der gewählte Präsident der USA bestimmt, wer zur Achse des Bösen gehört und wer nicht. Das ist weltpolitisches Kalkül; darin ist Indien nützlich als Gegengewicht zu China, Iran aber schädlich wegen der schiitischen Diktatur und des Gleichgewichts in der nahöstlichen Ölpolitik.

Irans Ayatollahs zur Aufgabe ihres - mit Gründen vermuteten, aber unbewiesenen - Atomrüstungsprogramms zu bewegen wird nun schwieriger als zuvor. Wer da Böses plant, darf zufrieden sein.

Aus: Frankfurter Rundschau, 3. März 2006


Lektion für Teheran

Von Olaf Standke

An Krisentreffen ist kein Mangel vor den entscheidenden Beratungen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) über das umstrittene iranische Atomprojekt. Am kommenden Montag soll der IAEA-Gouverneursrat in Wien über den Verweis des Konflikts an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen debattieren, und wird er dort erst einmal Thema, ist alles möglich, wie man aus den irakischen Erfahrungen weiß. Die gestrigen Gespräche in Moskau brachten keinen Durchbruch, und die von Teheran gewünschten heutigen mit der EU-Troika lassen die überraschende Wende auch nicht erwarten. Neue Ideen der Europäischen Union gibt es nicht, und Iran wiederum gedenkt nicht, auf sein »unveräußerliches Recht« auf ein eigenes ziviles Nuklearprogramm zu verzichten.

Zugleich wirft Teheran der Bush-Regierung vor, durch ihr Beharren auf eine Erörterung des Atomstreits vor dem UN-Sicherheitsrat den Moskauer Kompromissvorschlag zu torpedieren. Der sieht vor, Uran für Iran in Russland anzureichern. So soll dem möglichen Bau einer iranischen Atombombe der technologische Boden entzogen werden – was ja angeblich das alleinige Ziel Washingtons ist. Dass es auch ganz anders geht, wurde zeitgleich in Delhi demonstriert, wo die USA ein Abkommen mit Indien über die nukleare Zusammenarbeit unterschrieben, obwohl das Land sich der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags von 1972 verweigert. Indien wird von der Supermacht aber nicht nur als potenzieller strategischer Partner in Asien gehandelt, es hat zudem vollzogen, was man Iran als Ziel unterstellt: die Entwicklung von Kernwaffen. Auch das eine Lektion für die Führung in Teheran.

Aus: Neues Deutschland, 3. März 2006


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