Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Indiens Atomdeal

Debatte über Nuklearabkommen mit den USA hat begonnen. Warnung vor strategischer Umarmung

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Indien dürfe nicht zulassen, daß es durch den Nukleardeal mit den USA tiefer in Washingtons »strategische Umarmung, besonders in der militärischen und politischen Sphäre« gezogen wird. Diese Warnung enthält am Montag (6. Aug.) ein Leitartikel der Zeitung The Hindu. Er signalisiert den Beginn der Debatte zum am Freitag (3. Aug.) veröffentlichten Text des Vertragsentwurfs über nukleare Kooperation im zivilen Sektor zwischen den USA und Indien.

Die Regierung der Vereinten Progressiven Allianz gibt sich überzeugt davon, in den langwierigen Verhandlungen mit den USA das Bestmögliche für Indien herausgeholt zu haben. Zur Erinnerung: Neu-Delhi hat weder den Atomwaffensperrvertrag, noch das Teststoppabkommen unterzeichnet und bereits zweimal Atombombenversuche durchgeführt.

Mit einem cleveren Schachzug integrierte die Regierung jetzt wissenschaftliche Vertreter des Atomsektors, die sich bisher kritisch, wenn nicht gar ablehnend geäußert hatten, in das letzte Verhandlungsteam. Das traf sich im Juli in Washington mit den dortigen Experten. Die indischen Atomspezialisten nahmen jedes Detail der komplizierten Fragen unter die Lupe, klopften es auf Verträglichkeit mit Indiens »Atomsouveränität« ab und schlugen Kompromißformulierungen vor. Am Ende der Verhandlungen wollten sie zwar nicht von einem Sieg sprechen, aber doch davon, daß Indien gegenüber dem mächtigen Partner nicht einknickte, sondern in den wesentlichen Punkten unnachgiebig blieb.

Das Abkommen basiert auf Indiens Bereitschaft, seine militärischen von den zivilen Nuklearanlagen zu trennen, den zivilen Bereich regelmäßigen Inspektionen der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) zu unterstellen. Im Gegenzug soll das Land von den USA moderne Reaktorausrüstungen bekommen, die zur Erhöhung der indischen Energieproduktion beitragen sollen. Darüber bestand Einverständnis. Bis zur letzten Runde jedoch blieben entscheidende Einzelfragen offen: Indiens Recht, von den USA gelieferten Brennstoff wiederaufzubereiten; eine US-Garantie für ununterbrochenen Betrieb der Kernreaktoren sowie die Gewißheit, daß außer den IAEA-Inspektoren nicht auch noch US-Kontrolleure auf der Bildfläche erscheinen würden. Diese Fragen scheinen im indischen Sinne beantwortet worden zu sein. Von den Atomwissenschaftlern ist jedenfalls keine Opposition mehr zu vernehmen.

Bereits einen Tag nach Veröffentlichung des Vertragstextes reagierte jedoch die rechte Indische Volkspartei (BJP) ablehnend. Wenn sie wieder an die Macht käme, so der frühere Außenminister Yashwant Sinha, würde sie definitv eine Überprüfung des Abkommens anstreben. In der jetzigen Form sei es ein »Angriff auf unsere nukleare Souveränität und Außenpolitik«, befand Sinha. Er schlug vor, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zu bilden, für dessen Bericht die Regierung die Genehmigung des Parlaments einholen sollte. Laut indischer Verfassung muß ein solcher Vertrag nicht vom Parlament ratifiziert werden. Auch das will die BJP geändert haben. Sie wirft dem Kabinett von Premier Manmohan Singh zugleich vor, das Abkommen im Alleingang angepackt und sich nicht um politischen Konsens bemüht zu haben.

Der ehemalige Premier Vishwanath Pratab Singh glaubt, der Kontrakt »ignoriert vitale nationale Interessen und verstärkt die Abhängigkeit von den USA«. Zustimmung kommt hingegen von ehemaligen Außenpolitikern und Diplomaten. Sie meinen, daß Indien genügend Spielraum für seine militärischen wie zivilen atomaren Pläne bewahrt hat. Die Linken äußerten sich bislang nicht. Sie wollen das Dokument Punkt für Punkt studieren, ehe sie zu einer Bewertung kommen.

Als nächste Schritte, die weitere intensive Verhandlungen erfordern, sind Konsultationen mit der IAEA zum »indienspezifischen« Kontrollregime sowie Beratungen mit den Ländern der sogenannten nuklearen Liefergruppe (NSG) vorgesehen. Diese spielt eine Rolle für den Import von Komponenten für Indiens zivilen Atomsektor.

Aus: junge Welt, 7. August 2007


Zurück zur Indien-Seite

Zur Atomwaffen-Seite

Zurück zur Homepage