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"Indien in der Nuklear-Liga"

Ausnahmeregelung für Pakt mit Washington

Von Hilmar König, Delhi *

Gegen beträchtlichen Widerstand aus der Gruppe der 45 Staaten, die den zivilen Nuklearhandel im Sinne des Atomwaffensperrvertrages und des Teststoppabkommens reguliert (NSG), haben die USA bei NSG-Verhandlungen in Wien am Sonnabend ihren Atompakt mit Indien durchgeboxt.

Indische Politiker und Medien feierten das nach erbittertem Ringen erreichte Ergebnis als »historische Errungenschaft«. Die Opposition sprach von einem »schwarzen Tag«. Euphorische Schlagzeilen, wie sie die indischen Medien am Sonntag lieferten, finden sich wahrlich nicht alle Tage im hiesigen Blätterwald: »Einzigartige Entscheidung; Historischer Sieg; Indien in der Nuklear-Liga; Status einer Nuklearmacht; Triumphaler Tag; Größtes Ereignis im 21. Jahrhundert; Indiens Zeit ist gekommen.« Die überschwänglichen Vokabeln waren meistens den Stellungnahmen von Politikern der Kongresspartei und ihrer Partner in der regierenden Vereinten Progressiven Allianz entnommen. Sie hatten den Atompakt mit den USA auf den Weg gebracht und gegen die vehemente Opposition verteidigt.

Das Abkommen verpflichtet Indien, seine militärischen von den zivilen Nuklearanlagen zu trennen und die zivilen unter Kontrolle der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) zu stellen. Im Gegenzug werden die Sanktionen gegen Indien im Handel mit Nukleartechnologie inklusive Lieferungen von Kernbrennstoff und Bau von Atommeilern aufgehoben. Sie wurden nach den indischen Atomtests von 1974 verhängt und 1998 noch verstärkt.

Die Regierung in Delhi argumentiert, sie werde jetzt mit dem verstärkten Einsatz von Atomstrom einen Riesenschritt zur Bewältigung der Energieprobleme einleiten können. Für die USA ist der Pakt, abgesehen von einem zu erwartenden Millliarden-Dollar-Geschäft, aus strategischer Sicht ein Bombenerfolg. Sie brauchen in Asien einen »verantwortungsbewussten Stellvertreter« zur Durchsetzung ihrer globalen Hegemonialansprüche. Mit dem Deal köderten sie Indien. So meinen jedenfalls die indischen Linken und lehnen den Pakt deshalb strikt ab. Die KP Indiens sprach von einer »Übergabe all unserer souveränen Rechte« und deshalb von einem »schwarzen Tag«. Und die KPI (Marxistisch) äußerte, die Inder hätten ihre Autorität den USA ausgehändigt. Die rechte Opposition hingegen glaubt, Delhi habe seine »nukleare Souveränität« (auch den militärischen Teil betreffend) verloren.

Das Problem in Wien bestand nun darin, dass die NSG mit Indien, das weder den Atomwaffensperrvertrag noch das Teststoppabkommen unterzeichnete, eine Ausnahme von den Regeln machen sollte. Das fiel einigen Staaten, namentlich Österreich, Irland und Neuseeland besonders schwer, aber auch der Schweiz, den Niederlanden, Norwegen und China nicht leicht. Sie wollten in die Ausnahmeregelungen zumindest eine Bedingung formulieren, dass der Handel sofort beendet wird, sollte Indien Atomtests durchführen. Wasser auf ihre Mühlen bekamen sie noch durch die Veröffentlichung eines bis jetzt geheim gehaltenen Briefes, in dem die USA der indischen Führung zusätzlich zu dem offiziellen Deal Bedingungen stellen, unter denen das Abkommen gegenstandslos wird.

In Indien brach damit eine neue Welle des Protestes gegen den Pakt los. Außenminister Pranab Mukherjee hielt es deshalb und angesichts eines möglichen Scheiterns der NSG-Verhandlungen in Wien für geraten, nochmals eine »Ehrenerklärung« im Namen der Regierung abzugeben: Delhi werde sich an das Regime des Atomwaffensperrvertrags halten und zu seinem »freiwillig und einseitig verkündeten Moratorium von Nukleartests stehen.« Damit baute er den unter massivem USA-Druck stehenden NSG-Opponenten eine Brücke. Seine Erklärung soll irgendwie (der Text der Vereinbarungen ist noch nicht bekannt) in die Ausnahmeregelung eingeflossen sein. Das letzte Wort hat nun der USA-Kongress, der den Pakt absegnen muss. Auch hier gibt es nicht nur begeisterte Befürworter.

* Aus: Neues Deutschland, 8. September 2008

Kommentar (Auszug)

In der taz vom 8. September findet der Auslands-Redakteur Bernd Pickert klare Worte für das Ereignis: Es sei ein "fataler Beschluss" der Nuklearen Lieferstaaten (NSG) in Wien gewesen, Indien in den Club der legitimen Atommächte aufzunehmen. Seine Befürchtung: Nuklearwaffen könnten sich jetzt noch leichter verbreiten als vorher. Bernd Pickert schreibt in seinem Kommentar u.a.:

(...) Indien ist eines von nur vier Ländern, die den Atomwaffensperrvertrag noch immer nicht unterzeichnet haben, der verhindern soll, dass Nuklearmaterial in falsche Hände gerät. Es wäre eine Mindestvoraussetzung gewesen, dass Indien sich zu diesem Vertrag bekennt, bevor es in den Club der legitimen Atommächte aufgenommen wird. Stattdessen: Selbstverpflichtungen und Erklärungen, deren Gültigkeit die indische Regierung im eigenen Land selbst öffentlich in Zweifel zieht, um dem lautstark erhobenen Vorwurf der Opposition zu entgehen, man verkaufe in Wien seine Souveränität.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier behauptet zwar freudig, bei der Wiener Sitzung unter deutschem Vorsitz hätten Indien bedeutsame Zugeständnisse abgerungen werden können. Doch dieses Selbstlob ist völlig deplatziert. Stattdessen wurden wesentliche Grundsätze der Nuklearkontrolle geopfert, weil die US-Regierung an einer strategischen Allianz mit Indien gegen China interessiert ist. Das Abkommen mit Indien bestätigt all jene, die dem Westen vorwerfen, mit zweierlei Maß zu messen. Wie soll dem Iran die atomare Aufbereitung glaubwürdig verwehrt werden, die dem Land als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages sogar zusteht - wenn gleichzeitig Indien erlaubt wird, was ihm eigentlich verwehrt bleiben muss?

(...) Nur wenig Zeit bleibt dem US-Kongress noch vor der Wahlpause, um das Abkommen zu ratifizieren; geschieht das nicht, muss sich die nächste Regierung neu verhalten. Der Republikaner John McCain hat bereits seine volle Unterstützung erklärt, von Barack Obama war zunächst nichts zu hören.
Es wäre ein erstes Zeichen von "change", Veränderung, würden sich die Parlamentarier im demokratisch geführten Kongress verweigern. Dass die deutsche Bundesregierung trotz ihres Vorsitzes in Wien nicht verhindert hat, dass der Atomwaffensperrvertrag aufgeweicht wird - das bleibt als Makel an ihr kleben.

** Auszug aus einem Kommentar von Bernd Pickert: "Nuklearwaffen könnten sich verbreiten", in: taz, 8. September 2008




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