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Kriegsschiff gegen Fischerboot

Die "USNS Rappahannock" fühlte sich von einem indischen Kutter bedroht und schoss

Von Knut Mellenthin *

Nach den tödlichen Schüssen von einem US-Marineschiff auf ein indisches Motorboot hat Indien eine umfassende Untersuchung verlangt. Der indische Botschafter in den Vereinigten Arabischen Emiraten habe die Behörden des Landes um eine Untersuchung des Vorfalls gebeten, erklärte ein Sprecher des Außenministeriums in Delhi am Dienstag.

Ein indischer Fischer ist am Montag bei einem Zwischenfall mit einem Versorgungsschiff der US-Kriegsmarine im Persischen Golf getötet worden. Drei weitere Personen, die sich in dem etwa neun Meter langen Fischerboot befunden hatten, wurden verletzt. Besatzungsmitglieder der »Rappahannock« hatten das Feuer aus einem schweren Maschinengewehr eröffnet, nachdem sich das Boot angeblich in schneller Fahrt genähert und die Fischer mehrere Warnungen missachtet hätten.

Der Vorfall ereignete sich nach Angaben der für die Region zuständigen 5. US-Flotte etwa 16 Kilometer von der Küste entfernt in der Nähe von Dschebel Ali, das zu den Vereinigten Arabischen Emiraten gehört. Kein Ort außerhalb der USA wird häufiger von amerikanischen Kriegsschiffen angefahren als der dortige Tiefseehafen, heißt es auf Webseiten der Navy. Er ist so ausgebaut, dass dort auch die größten Flugzeugträger anlegen können.

Die »Rappahannock« dient zum Auftanken von Kriegsschiffen auf See. Nach Angaben der Navy wird sie nur »in Kriegszeiten« mit Maschinengewehren ausgerüstet. Gegenüber dem katarischen TV-Sender Al-Dschasira teilte der Pressesprecher der 5. Flotte, Greg Raelson, mit: »US-Schiffe haben ein natürliches Recht auf Selbstverteidigung gegen potenzielle Bedrohungen. Die Sicherheit unserer Fahrzeuge und unseres Personals hat höchste Priorität.«

Indessen sucht man in den bisherigen offiziellen Stellungnahmen vergeblich nach einer Beschreibung des Ablaufs der Schiffsbegegnung und vor allem nach Aussagen über die Entfernung zwischen dem Fischerboot und der »Rappahannock«. Nur Al-Dschasira gab diese am Dienstag unter Berufung auf die Navy mit acht Kilometern an. Das wäre allerdings eine erstaunlich große Distanz und würde die amerikanische Reaktion in ein noch schlechteres Licht setzen. Im Januar 2008 hatten sich mehrere Schnellboote der iranischen Marine drei US-Kriegsschiffen in der Meerenge von Hormus angeblich bis auf 200 Meter genähert, ohne dass Waffen eingesetzt wurden.

Die Besatzungen US-amerikanischer Kriegsschiffe sind nervös, seit am 12.  Oktober 2000 ein mit Sprengstoff beladenes Boot den Zerstörer »USS Cole« rammte, der im jemenitischen Hafen Aden lag. Durch die Explosion wurden 17 Angehörige der Navy getötet. Es gibt indessen kein international anerkanntes Recht, das es einem Kriegsschiff erlaubte, nach selbst definierten Regeln auf »potenziell bedrohliche« Boote zu schießen. Allerdings ist das Recht auf diesem Gebiet durch die Piratenbekämpfung am Horn von Afrika in einer ebenso undurchschaubaren wie bedenklichen Weise aufgeweicht.

In Indien stehen derzeit zwei italienische Marinesoldaten unter Mordanklage vor Gericht: Als Sicherheitspersonal eines Öltankers hatten sie im Februar zwei indische Fischer vor der Küste des Bundesstaates Kerala erschossen, die angeblich ebenfalls »Warnungen ignoriert« hatten.

Der bisher schwerste Zwischenfall dieser Art im Indik war der Abschuss eines iranischen Passagierflugzeugs durch das US-Kriegsschiff »Vincennes« am 3. Juli 1988 über dem Persischen Golf. Alle 290 Menschen an Bord, darunter 66 Kinder, kamen dabei ums Leben. Angeblich hatten die Amerikaner das Flugzeug mit einem F-14-Düsenjäger verwechselt, von denen die iranische Luftwaffe damals einige Exemplare besaß.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. Juli 2012


Krieg gegen Fischer

Von André Scheer **

Beim Beschuß eines indischen Fischerbootes durch die »USNS Rappahannock«, einem Versorgungsschiff der US-Kriegsmarine, ist am Montag abend vor der Küste von Dubai ein Besatzungsmitglied getötet worden, drei weitere Männer wurden verletzt. Das Kommando der im Persischen Golf und im Arabischen Meer kreuzenden Fünften Flotte bestätigte in einem dürren Kommuniqué, das Motorboot habe sich in schneller Fahrt dem Kriegsschiff genähert und nicht auf Warnungen reagiert. Daraufhin habe man die tödlichen Schüsse abgegeben. »Der Vorfall wird untersucht«, heißt es – ein Ausdruck des Bedauerns über die getöteten Zivilisten fehlt. Gegenüber dem Fernsehsender Al-Dschasira verteidigte Lieutenant Greg Raelson als Sprecher der Flotte den Angriff auf das unbewaffnete Fischerboot ausdrücklich: »US-Schiffe haben ein ihnen innewohnendes Recht auf Selbstverteidigung gegen mögliche Bedrohungen. Die Sicherheit unserer Schiffe und unseres Personals hat höchste Priorität.« Es blieb der US-Botschaft in Neu-Delhi vorbehalten, den Hinterbliebenen ihr »Beileid« auszusprechen.

Augenzeugen bestritten gegenüber örtlichen Medien, daß es Warnungen gegeben habe. Zudem habe die »USNS Rappahannock« nach den tödlichen Schüssen ihre Fahrt fortgesetzt, ohne sich um die Opfer zu kümmern.

In Indien hat der Zwischenfall Erinnerungen an den Tod von zwei Seeleuten im Februar vor der Küste des Bundesstaates Kerala geweckt. Sie waren von Angehörigen der italienischen Kriegsmarine erschossen worden, die als Begleitschutz auf einem Frachter mitgefahren waren und die Fischer für Piraten hielten. Den beiden Italienern, die von der indischen Küstenwache festgenommen worden waren, wird derzeit in der südindischen Hafenstadt Kochi der Prozeß gemacht.

Der US-Journalist und Pulitzerpreisträger Mark Thompson äußerte in einem Artikel für »Battleland«, einem militärpolitischen Internetportal des Nachrichtenmagazins Time, die »USNS Rappahannock« habe das sich nähernde Boot möglicherweise für iranische Angreifer gehalten. Bereits im vergangenen Jahr habe Vizeadmiral Mark Fox vor Angriffen der Islamischen Republik auf US-Einheiten »mit Kleinbooten, kleinen U-Booten oder vielleicht Selbstmordschiffen« gewarnt. Die tödlichen Schüsse auf die indischen Fischer seien jedoch eher mit dem Abschuß eines Verkehrsflugzeugs der Iran Air durch die »USS Vincennes« 1988 zu vergleichen. Diese war von den US-Marines mit einer F-14 verwechselt worden. Alle 290 Passagiere wurden getötet, unter ihnen 66 Kinder.

Ein Sprecher des iranischen Außenministeriums kritisierte am Dienstag in Teheran die Präsenz der US-Marine in der Golfregion. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge sagte er, ausländische Streitkräfte seien eine Bedrohung für die Sicherheit am Golf. Besser sei es, wenn die Anrainerstaaten bei der Sicherheit enger zusammenarbeiten würden. Washington setzt hingegen auf einen weiteren Ausbau der militärischen Stärke. Wie das Pentagon am Montag ankündigte, wird der Flugzeugträger »USS John C. Stennis« noch im Sommer und damit vier Monate früher als ursprünglich geplant in die Region verlegt. Die Entscheidung habe jedoch »nicht direkt« etwas mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran zu tun, sagte der Sprecher der US-Verteidigungsministeriums, ­George Little.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Juli 2012


Wildwest in Nahost

Indische Zeitung beklagt nach Schüssen der US-Kriegsmarine auf Fischer das »erste Opfer in Obamas neuem Krieg«. Pentagon verweigert alle Informationen

Von Knut Mellenthin ***


Das Pentagon verweigert Informationen über den Zwischenfall im Persischen Golf, bei dem das »Sicherheitsteam« eines Versorgungsschiffs der US-Kriegsmarine am Montag einen indischen Fischer tötete und drei weitere verletzte. Die Amerikaner hatten das etwa neun Meter lange Boot mit einem schweren Maschinengewehr beschossen, weil es sich angeblich in schneller Fahrt genähert und die Besatzung mehrere »Warnungen« mißachtet habe. Die eingesetzte Munition mit der US-amerikanischen Bezeichnung 0.50 – das entspricht dem NATO-Kaliber 12,7 mm – zeichnet sich durch besonders hohe Durchschlags- und Zerstörungskraft auch auf größere Entfernung aus. Das beteiligte amerikanische Schiff Rappahannock dient zum Auftanken auf See, hat eine zivile Besatzung von etwa 80 Mann und soll eigentlich nur »in Kriegszeiten« eine Bewaffnung zur Selbstverteidigung mitführen, für deren Einsatz dann Marinesoldaten zuständig sind.

Inzwischen haben mehrere Überlebende des Angriffs gegenüber indischen Konsularbeamten und internationalen Pressevertretern übereinstimmend versichert, daß es keine für sie erkennbaren Warnungen gegeben habe. Sie seien nicht zum ersten Mal auf See gewesen und seien mit den üblichen visuellen und akustischen Signalen vertraut, erklärte der 28jährige Muthu Muniraj im Krankenhaus von Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) der Nachrichtenagentur Reuters.

Die Inder berichten zudem, daß die Rappahannock nach den Schüssen auf ihr Boot weitergefahren sei, obwohl sie durch Zeichen um medizinische Hilfe gebeten hätten. Ein solches Verhalten ist nicht nur unmenschlich, sondern widerspricht auch den allgemein anerkannten Verpflichtungen im Seekrieg. Abgesehen davon gibt es kein Recht, in Friedenszeiten auf Boote zu schießen, nur weil sie angeblich »zu nahe gekommen« seien. Tatsächlich beruft sich die in der Golfregion stationierte Fünfte Flotte der US-Marine lediglich auf interne »Sicherheitsprozeduren«, über deren Inhalt sie sich jedoch ausschweigt.

Schweigen auch beim US-Kriegsministerium. Pentagon-Sprecher George Little lehnte es in seiner Pressekonferenz am Dienstag kategorisch ab, irgendeine Frage zu dem Zwischenfall zu beantworten, und verwies auf die gerade erst begonnenen Untersuchungen. Außerdem behauptete er, auf der Website des Kommandos Mitte der US-Streitkräfte (CENTCOM) gebe es eine »Timeline«, in der der Verlauf der Ereignisse im Persischen Golf beschrieben werde. Zu finden war diese jedoch auch am Mittwoch nicht. Das dort statt dessen plazierte Kommunique des CENTCOM ist von frappierender Ungenauigkeit: Es enthält noch nicht einmal ungefähre Angaben über den Zeitraum und den Ort der Schiffsbegegnung. Aus dem extrem kurzen Text wird auch nicht deutlich, wie weit das beschossene Boot von der Rappahannock entfernt war und welche Signale eingesetzt worden waren, bevor der Schießbefehl erteilt wurde. Das einzige erwähnte Detail ist das Kaliber der verwendeten Munition.

Die indische Tageszeitung The Hindu sprach am Mittwoch vom »ersten Opfer in Obamas neuem Krieg«. In einem Kommentar hieß es, der Vorfall sei »ein Alarmruf« für die indische Regierung, zu den Kriegsvorbereitungen gegen Iran und zur Militarisierung der Golfregion durch die USA nicht länger zu schweigen. Das Blatt wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß dort rund sechs Millionen Inder leben, die von den Folgen eines Krieges betroffen wären.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Juli 2012


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