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Dreissig Kugeln

Ralf Leonhard über Gefahren für Medienleute in Honduras *

Luis Arturo Mondragón, 53, Inhaber und Nachrichtenchef des kleinen Kabelsenders Kanal 19 in Honduras, wurde von einem unbekannten Angreifer niedergeschossen, als er am 14. Juni um etwa 22 Uhr sein Studio in der Stadt El Paraíso, unweit der Grenze zu Nicaragua, verliess. Mondragón hatte hauptsächlich über lokale Angelegenheiten berichtet, darunter waren allerdings auch Korruptionsfälle in Behörden, Umweltthemen und Verbrechen. Den Ermittlern fehlt jede Spur. Die völlige Ergebnislosigkeit der Nachforschungen, so diese überhaupt angestellt werden, hat der Mord an Mondragón gemeinsam mit dem gewaltsamen Tod von sechs weiteren Journalisten, seit Porfirio Lobo am 27. Januar als Präsident von Honduras vereidigt wurde.

Präsident Lobo ist der durch umstrittene Wahlen legitimierte Nachfolger des Putschregimes, das vor einem Jahr die Macht im zentralamerikanischen Staat an sich riss. Alle Putschisten versuchen, gleichzeitig mit der Machtergreifung die Medien unter ihre Kontrolle zu bekommen. So war es auch in Honduras, wo der legitime Präsident Manuel Zelaya am 28. Juni von Militärs aus dem Bett geholt und im Pyjama in ein Flugzeug nach Costa Rica expediert worden war. Radio Globo, ein privater Sender, der sich besonders für die Reformpolitik Zelayas engagiert hatte, wurde mehrmals und insgesamt für mehrere Wochen geschlossen. Das Team des von Venezuela gesponserten lateinamerikanischen Fernsehkanals Telesur wurde am Tag nach dem Putsch in einem Hotel in Tegucigalpa festgenommen. Selbst ein Videojournalist und ein Fotograf der politisch unverdächtigen Associated Press (AP) teilten dieses Schicksal. Das Signal von CNN und anderen ausländischen Kabelsendern wurde blockiert.

Besonders schien den rechten Putschisten daran gelegen, nach aussen ein Bild der Normalität zu projizieren. Und in der Tat, die anfangs fast einhellige internationale Isolierung des Regimes ist längst aufgeweicht. Putschpräsident Roberto Micheletti gelang es, die Eiszeit auszusitzen und mit einer Kombination aus Unverfrorenheit und Tücke eine politische Lösung zu verhindern. Die Wahl eines neuen Präsidenten ging pünktlich über die Bühne. Doch seit der Konservative Porfirio Lobo regiert, haben weder die Proteste einer breiten Oppositionsbewegung aufgehört, noch hat die Repression des zivilen Widerstands abgenommen.

Und es häufen sich Attentate gegen Journalisten. Die Serie begann am 1. März, als der TV-Journalist Joseph Hernández Ochoa in Tegucigalpa in seinem Auto erschossen wurde. Zehn Tage später wurde der Radiojournalist David Meza Montesinos in der Stadt La Ceiba an der Karibikküste Opfer eines Anschlags. Er hatte nach einem Bericht über die Drogenmafia Morddrohungen erhalten. Auch hinter dem Mord an Nahúm Palacios könnten Drogenkriminelle stecken. Palacios wurde am 14. März im Karibikstädtchen Tocoa von mehr als dreissig Kugeln durchsiebt. Tocoa gilt als Hochburg des Kokainhandels. Die Mörder konnten unerkannt fliehen. Am 26. März lauerten Attentäter zwischen Catacamas und Juticalpa in Olancho dem Radioreporter José Bayardo Mairena und dem Nachrichtensprecher Manuel Juárez auf. Beide hatten über das organisierte Verbrechen, aber auch Landkonflikte im Aguán-Tal in der Atlantikregion berichtet. Der Fernsehjournalist Jorge Alberto Orellana fiel am 20. April in der nördlichen Wirtschaftsmetropole San Pedro Sula einem Killer zum Opfer.

Das in New York ansässige Committee to Protect Journalists (CPJ) registriert all diese Morde unter «Motive unconfirmed», wonach kein klarer Zusammenhang zwischen der Berufsausübung des Opfers und dem Verbrechen hergestellt werden könne. Nur in einem Fall soll das Attentat einer Putschisten-freundlichen Journalistin gegolten haben. Sie überlebte allerdings. Reporter ohne Grenzen (RoG) hingegen konstatiert: «Seit dem Staatsstreich im Juni 2009 hat sich die ohnehin gefährliche Situation für Journalisten weiter verschärft. Bisher wurde keiner der Verantwortlichen für die Gewalt gegen Medienmitarbeiter identifiziert und bestraft.»

* Ralf Leonhard ist WOZ-Mitarbeiter in Wien.

Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 5. August 2010 ("Medientagebuch")


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