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Athen schlägt Solidaritätssteuer und Konzernabgabe vor

Gläubiger wollen unter anderem Kürzungen bei niedrigen Renten oder eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für Strom / SYRIZA pocht weiter auf Umstrukturierung der Schulden / Schrittweise Anhebung des Mindestlohns *


Update 20.30 Uhr: Laut Dokumenten, welche die griechische Zeitung »To Vima« am Donnerstag veröffentlichte, enthält der jüngste Vorschlag der Gläubiger harte Forderungen an die SYRIZA-geführte Regierung. Um eine Einigung im Streit um das blockierte Kreditprogramm zu erzielen, hatten in dieser Woche mehrere Krisentreffen stattgefunden - am Montag verständigten sich dabei Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande, der Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi sowie IWF-Chefin Christine Lagarde in Berlin auf eine gemeinsame Linie. Medien hatten danach von einem »allerletzten Vorschlag« an Athen gesprochen. »To vima« hat nun zwei Papiere veröffentlicht, die dieses so genannte Angebot bilden sollen: ein Papier mit »politischen Verpflichtungen« und ein Papier mit vorrangigen Maßnahmen.

So ist darin unter anderem eine Reform der Mehrwertsteuer gefordert, welche die reduzierten Sätze von derzeit 6,5 Prozent völlig abschaffen würde. Nach dem Willen der Gläubiger soll ein Satz von 11 Prozent für Medikamente, Nahrungsmittel und Hotels gelten. SYRIZA will hingegen Medikamente mit dem niedrigeren Satz von 6 Prozent besteuern; 11 Prozent Mehrwertsteuer sollen für Strom fällig werden - hier streben die Gläubiger einen Satz von 23 Prozent an. Auch gehen die Forderungen der Gläubiger etwas in Sachen Renten – hier soll eine Kürzung in Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes umgesetzt werden – und Lohnkosten im öffentlichen Sektor weit über das hinaus, was die griechische Regierung bisher zu tragen bereit ist.

Tsipras hatte bereits erklärt, es gebe weiter Punkte, »die niemand als Diskussionsgrundlage betrachten kann«. Der SYRIZA-Chef hatte insbesondere die verlangten Kürzungen bei niedrigen Renten oder eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für Strom genannt. Ergebnis der Dreierrunde sei daher aus seiner Sicht, dass der Plan der SYRIZA-geführten Regierung als »der realistische Vorschlag auf dem Tisch bleibt«.

In Brüsseler EU-Kreisen wurde nicht ausgeschlossen, dass Tsipras, Juncker und Dijsselbloem schon am Freitagabend erneut zusammensitzen. Der griechische Premier hat für Freitagnachmittag 17.00 Uhr (MESZ) sein Parlament einberufen, um es über den Stand der Verhandlungen zu informieren. Eine Abstimmung in Athen ist aber nicht geplant.

Derweil erwägt die EU-Kommission nach deutschen Medieninformationen, einen alten griechischen Plan aufzugreifen und ungenutzte Milliarden für die Bankenrettung umzuwidmen und dem griechischen Staatsetat zufließen zu lassen. Es handelt sich um 10,9 Milliarden Euro, die bereitgestellt worden waren, um den Zusammenbruch der griechischen Banken zu verhindern. Sie flossen zurück an den Euro-Rettungsschirm EFSF. Voraussetzung für die Umwidmung sei aber eine Verlängerung des Ende Juni auslaufenden zweiten Kreditprogramm für Griechenland - also eine Einigung im aktuellen Streit, der nun von zwei konkurrierenden Papieren bestimmt wird.

Eine Alternative zur Verlängerung des Kreditprogramms »haben wir kaum noch, um Griechenland über den Sommer zu bringen«, hieß es laut »Welt« aus europäischen Verhandlungskreisen. Athen könne das Geld nutzen, um im Sommer seine Schulden bei EZB und IWF zu bedienen. Der Bundestag und andere Parlamente müssten einer Verlängerung des Programms aber zustimmen. Das wird vor allem in der Union auf Ablehnung stoßen.

Aus dem laufenden Hilfsprogramm stehen noch 7,2 Milliarden Euro aus. Alleine im Juni muss Athen knapp 1,6 Milliarden Euro IWF-Kredite und 5,2 Milliarden Euro Staatsanleihen zurückzahlen. Im Juli werden rund 6,9 Milliarden an diverse Gläubiger fällig.

Update 20 Uhr: Griechenland zahlt seine vier im Juni fälligen Kreditraten beim Internationalen Währungsfonds gebündelt am Ende des Monats zurück. Eine eigentlich am Freitag fällige Rate von gut 300 Millionen wird noch nicht überwiesen, wie am Donnerstagabend aus griechischen Regierungskreisen verlautete. Der Währungsfonds bestätigte, er sei von Athen informiert worden, dass die vier Raten auf einen Schlag beglichen würden. Die Gesamtsumme von 1,6 Milliarden Euro sei nun »am 30. Juni fällig«, erklärte der IWF. »Wir haben eine Möglichkeit im Regelwerk des IWF ausgeschöpft, was uns mehr Zeit für die Verhandlungen gibt«, sagte ein Regierungsmitarbeiter in Athen. Der Fonds erklärte in Washington, die Regelung, alle in einem Monat fälligen Raten auf einen Schlag begleichen zu können, sei Ende der 1970er Jahre eingeführt worden. Ziel sei es damals gewesen, Verwaltungsprobleme auszuräumen, die entstehen können, wenn zahlreiche Überweisungen in einer kurzen Zeitspanne abgewickelt werden müssen. Griechenland ist nach Sambia Mitte der 1980er Jahre erst das zweite Land, das von der Möglichkeit Gebrauch macht. Allerdings nicht wegen technischer Überweisungsprobleme, sondern weil Athen das Geld fehlt.

Update 16 Uhr: Die SYRIZA-geführte Regierung hält in ihrem Plan zur Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Krise in Griechenland am Ziel einer Umstrukturierung der Schulden fest. Wie aus dem 47-seitigen Papier hervorgeht, das auch der »Tagesspiegel« veröffentlichte, soll über die Frage der Staatsanleihen im Besitz der EZB bis Ende Juni mit der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Euro-Rettungsschirm ESM eine »optimale rechtliche und wirtschaftliche Lösung« gefunden werden. Die Verpflichtungen gegenüber dem Internationalen Währungsfonds soll dem Vorschlag gemäß in zwei Etappen erfolgen - wobei die Rückzahlungen ab Ende Juni an die Refinanzierung der Schulden angepasst werden sollen.

In der Frage des Primärüberschusses - das Haushaltssaldo ohne Zinszahlungen und Schuldentilgung - will Athen im laufenden Jahr eine Zielmarke von 0,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes durchsetzen. Ursprünglich sollte Griechenland drei Prozent erreichen, was aber angesichts der Krise selbst von den europäischen Gläubigern nicht mehr als erreichbar angesehen wurde. Weshalb diese nun für Griechenland ein Ziel für 2015 in Höhe von einem Prozent des BIP ausgeben wollen.

In den kommenden Jahren will SYRIZA sich zu einem Primärüberschuss von 1,5 Prozent (2016), 2,5 Prozent (2017) bzw. 3,5 Prozent (2018 bis 2022) verpflichten.

SYRIZA gesteht in dem Papier erhebliche Privatisierungen zu - bis 2020 in einem Volumen von rund elf Milliarden Euro, darunter sind Regionalflughäfen. Bei den Staatsverkäufen will die Regierung allerdings bestimmte Bedingungen erfüllt wissen, unter anderem den Schutz von Arbeitsrechten, ein Mindestlevel an Investitionen und einen Mindestanteil, der beim Staat verbleibt. Privatisierungen werden vom linken SYRIZA-Flügel dennoch sehr kritisch gesehen. Auch soll es unter anderem Änderungen bei der Frühverrentung geben, wobei soziale Härtefälle ausgenommen und Bestandsschutz garantiert werden sollen.

Steuerpolitisch will die Regierung mit einer Solidaritätssteuer, die je höher ausfällt, je höher die Einkommen sind, einer Extraabgabe auf Gewinne von Großunternehmen und einer erweiterten Luxusteuer jährlich etwa 1,3 Milliarden Euro erzielen. Die Mehrwertsteuer, ebenfalls ein großer Streitpunkt mit den Gläubigern, will die SYRIZA-geführte Regierung umgestalten: Statt der bisherigen Sätze von 6,5 Prozent, 13 Prozent und 23 Prozent sollen künftig die Sätze 6, 11 und 23 Prozent gelten. Der niedrigste Mehrwertsteuersatz gilt unter anderem für Medikamente. Der 11-Prozent-Satz unter anderem für Lebensmittel und Zeitungen.

SYRIZA will zudem die Änderungen am Tarifvertragsrecht rückgängig machen, die von der Gläubiger-Troika der Vorgängerregierung diktiert und von dieser umgesetzt wurden. Tarifverträge sollen künftig wieder kollektiv und nicht nur auf Betriebsebene abgeschlossen werden. Die Wiederanhebung des Mindestlohns, eines der wichtigen Wahlversprechen, soll bis 2016 in Schritten auf das alte Niveau von 2010 steigen.

Tsipras: Unser Vorschlag bleibt im Gespräch

Berlin. Nach seinem Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem hat der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras von konstruktuven Gesprächen gesprochen, zugleich aber weiter bestimmte Forderungen der Gläubiger als inakzeptabel zurückgewiesen.

Das entscheidende »Ergebnis« für ihn sei, dass der Anfang der Woche in der letzten Fassung an die »Institutionen« übermittelte Plan der SYRIZA-geführten Regierung zur Lösung der Krise im Land weiter als »der realistische Vorschlag auf dem Tisch« bleibe, sagte Tsipras. Bei den Vorschlägen der Geldgeber gebe es Gemeinsamkeiten, aber auch Punkte, »die niemand als Diskussionsgrundlage betrachten kann«. Tsipras nannte dabei Forderungen nach Kürzungen bei den niedrigsten Renten oder eine Erhöhung der Mehrwertsteuer bei Strom.

Positiv bewertete der SYRIZA-Politiker dagegen die Bereitschaft der Gläubiger, eine niedrigere Vorgabe bei den Haushaltszielen für Griechenland zu akzeptieren. Der Primärüberschuss ist der Haushaltssaldo ohne Zinszahlungen und Schuldentilgung. Ursprünglich hätte Athen nach den Gläubigervorgaben in diesem Jahr einen Primärüberschuss von drei Prozent erzielen müssen und kommendes Jahr 4,5 Prozent.

Inzwischen ist von Zielmarken um 1 Prozent für 2015 die Rede. Schon vor dem Treffen in Brüssel hatte Tsipras mit Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande telefoniert. Beide hätten die »Notwendigkeit« zugestanden, die Ziele für den griechischen Primärüberschuss zu senken. Ein Sprecher der Bundesregierung bestätigte das Telefongespräch, wollte sich aber nicht zum Inhalt äußern.

Tsipras lobte ausdrücklich die EU-Kommission, die sich als Vermittlerin im Streit um das von den Gläubigern blockierte Kreditprogramm für Griechenland sieht. Die von Juncker geführte Kommission habe bewiesen, »dass sie gewillt ist, sehr schnell eine realistische Vereinbarung zu erreichen«, sagte der Athener Regierungschef. »Je ernsthafter wir sprechen, desto näher werden wir einer Lösung kommen, die für alle Seiten akzeptabel ist.«

Man habe vereinbart, sich erneut zu treffen, erklärte die Kommission. »Die intensive Arbeit wird fortgesetzt.« Eurogruppenchef Dijsselbloem, der die Gruppe der 19 Euro-Staaten vertritt, sprach in der Nacht zum Donnerstag von einem »sehr guten Treffen« und sagte, die Gespräche würden »in einigen Tagen« fortgesetzt. Die Arbeitsgruppe der Euro-Länder soll nach Angaben aus EU-Kreisen bereits am Donnerstagnachmittag erneut über das Kreditprogramm für Griechenland beraten. Auch ein weiteres Treffen von Juncker und Tsipras ist den Angaben zufolge in den kommenden Tagen geplant.

Aus dem laufenden Programm erwartet Athen noch ausstehende Kredite und EZB-Zinsgewinne in Höhe von 7,2 Milliarden Euro. Diese werden von den Gläubigern nicht freigegeben, solange Athen nicht bestimmte Bedingungen erfüllt - eine politische Blockade. Über diese gibt es seit Wochen Streit, da auch die Gläubiger unterschiedliche Linien verfolgen. Die Zeit wird allerdings knapp, da Griechenland das Geld ausgeht: Athen muss bis zum 5. Juni 300 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zahlen. Insgesamt sind im Juni etwa 1,55 Milliarden Euro beim IWF fällig. Seit August 2014 hat Athen keine Auszahlungen aus dem laufenden und bis Ende Juni 2015 verlängerten Kreditprogramm erhalten. Die Gläubiger pochen auf Bedingungen, die SYRIZA nicht erfüllen will. Tatsächlich hat die Regierung in Athen immer mehr Zugeständnisse gemacht.

Angesichts der durch das Vorgehen der Gläubiger verschärften Finanznot der griechischen Regierung werden nun offenbar auch Zwischenlösungen erwogen, um Zeit zu gewinnen. Alle Optionen lägen auf dem Tisch, hieß es am Mittwoch in Brüssel aus EU-Kreisen. Es gehe beispielsweise darum, die im Juni fälligen Kreditraten von insgesamt knapp 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu bündeln. Eine andere Möglichkeit sei ein Verlängern des Ende Juni auslaufenden Kreditprogramms über den Sommer hinweg. Bei einer nochmaligen Verlängerung müssten die Eurogruppe und beteiligte Parlamente in den Eurostaaten, also auch der Deutsche Bundestag, zustimmen. Die erste Zahlung in diesem Monat an den IWF steht bereits am Freitag an, dann sind rund 305 Millionen Euro fällig. Athen muss zusätzlich im laufenden Monat fällige Staatsanleihen von gut 5 Milliarden Euro bedienen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 04. Juni 2015


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