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Varoufakis' IWF-Kandidatin lehnt Amt ab

Nach breiter Kritik aus den Reihen von SYRIZA / Tsipras: Neoliberale blockieren Einigung mit Athen / Außenminister Kotzias: Man muss nicht links, sondern nur vernünftig sein, um bisherige Krisenpolitik nicht fortführen zu wollen *


Update 16 Uhr: Die Ökonomin Elena Panaritis, die auf Vorschlag von Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis zur neuen griechischen Delegierten beim Internationalen Währungsfonds (IWF) nominiert worden war, hat das Amt abgelehnt. Wie der staatliche Rundfunk am Montag berichtete, betonte die Wissenschaftlerin in einem Schreiben an die Regierung: »Aufgrund der negativen Reaktionen von Abgeordneten und Mitgliedern des Linksbündnisses SYRIZA sehe ich mich nicht in der Lage, den Posten anzutreten.« Die Nominierung hatte eine Welle von Protesten ausgelöst. Mehr als 40 SYRIZA-Abgeordnete forderten die Regierung auf, die Entscheidung zurückzunehmen. Panaritis hatte dem sozialdemokratischen Ex-Regierungschef Giorgos Papandreou als Beraterin gedient. Ministerpräsident Alexis Tsipras zitierte aufgrund der Proteste den Finanzminister in der Nacht zum Montag in sein Amt.

Tsipras: Neoliberale blockieren Einigung mit Athen

Berlin. Der Ministerpräsident der SYRIZA-geführten Regierung in Griechenland hat die Gläubiger für die lange Dauer der Verhandlungen um das blockierte Kreditprogramm verantwortlich gemacht. Dass es bislang noch keine Einigung gebe, liege nicht an der Uneinsichtigkeit der griechischen Seite, betonte Alexis Tsipras in einem Artikel in der französischen Zeitung »Le Monde« (hier die englische Fassung des Textes). Seine Regierung habe Reformvorschläge unterbreitet, die auf eine Erhöhung der Staatseinnahmen hinausliefen. Doch dies hätten Vertreter der Gläubiger zurückgewiesen, um an Athen ein Exempel zu statuieren.

»Griechenland ist das erste Opfer«, schrieb Tsipras. Alle Länder, die sich nicht den »Lehren des extremen Neoliberalismus« unterwerfen, »sollen demnach hart bestraft werden«, schreibt Tsipras. Europa hätte die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, die eine schnelle Erholung der griechischen und europäischen Ökonomien ermöglichen. Viele würden behaupten, dass die Athener Regierung eine Einigung blockiere, weil es keine Vorschläge vorlege. »Aber ist das wirklich der Fall?«, fragt Tsipras - und zählt die Kompromisse und Reformen der SYRIZA-geführten Regierung auf.

Die gegenüber Griechenland implizit angedrohten Strafen bestünden nicht nur in der Auferlegung einer strengen Sparpolitik, sondern könnten auch Einschränkungen des Kapitalverkehrs oder die Einführung einer Parallelwährung neben dem Euro zur Folge haben, so Tsipras.

»Welche Strategie wird sich durchsetzen?«, fragt Tsipras mit Blick auf die konträren Politikansätze zur Lösung der Krise und der sozialen wie ökonomischen Herausforderungen. »Die eine, die für ein Europa der Solidarität, Gleichheit und Demokratie steht - oder die, die zum Bruch und zur Spaltung Europas aufruft?« Tsipras warnte diejenigen, die glaubten, dass diese Frage nur die Griechen bewege, vor einem schweren Fehler: Sie sollten sich erneut Hemingways Meisterwerk »Wem die Stunde schlägt« vornehmen.

Der griechische Außenminister Nikos Kotzias hat derweil erneut für einen Kompromiss im Streit um die Krisenpolitik geworben und vor den fatalen Folgen eines »Grexit« gewarnt. »Wer Griechenland destabilisiert, destabilisiert Europa«, sagte er am Sonntagabend bei einer Veranstaltung der Linken-Bundestagsfraktion in Marburg in Hessen. Eine Regierung müsse nicht links sein, sondern nur vernünftig, um eine Politik nicht fortführen zu wollen, die seit sechs Jahren katastrophale Folgen für sein Land habe, sagte er. »Wir haben konkrete Reformvorschläge. Aber die Arbeitnehmerrechte abzuschaffen, wie von uns gefordert wird, ist keine Reform.«

Griechenland muss bis zum 5. Juni 300 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zahlen.Insgesamt sind im Juni etwa 1,55 Milliarden Euro beim IWF fällig. Seit August 2014 hat Athen keine Auszahlungen aus dem laufenden und bis Ende Juni 2015 verlängerten Kreditprogramm erhalten. Die Gläubiger pochen auf Bedingungen, die SYRIZA nicht erfüllen will. Tatsächlich hat die Regierung in Athen immer mehr Zugeständnisse gemacht.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker erklärte derweil, die Lage in Griechenland werde am Montagabend bei einem Treffen von Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Rande einer Konferenz zur Digital-Strategie der Europäischen Union zur Sprache kommen. Medien berichteten, es sei möglich, dass auch Premier Alexis Tsipras dazustößt. Merkel, Hollande und Tsipras telefonierten am Sonntagabend miteinander. Das Gespräch sei konstruktiv verlaufen, teilte eine Regierungssprecherin mit. Die Zeitung »Kathimerini« berichtete, in der Athener Regierung sei am Samstag über einen Entwurf für eine Vereinbarung beraten worden. Details wurden zunächst nicht bekannt.

Unterdessen hat sich die Regierung in Slowenien darüber beklagt, durch die Regierung in Athen zurückgesetzt zu werden. »Der griechische Ministerpräsident Tsipras ist noch nie zu mir gekommen«, beklagte sich der slowenische Regierungschef Miro Cerar jetzt in Ljubljana. Das kleine Alpen-Adria-Land habe Griechenland Kredite und Garantien im Wert von 1,55 Milliarden Euro gegeben, was 3,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) entspreche, begründete der Politiker seine Kritik. Deutschland und Frankreich hätten dagegen nur 2,4 Prozent ihres BIP bereitgestellt. »Und dabei ist die Hälfte meines eigenen Landes weniger entwickelt als Griechenland«, meinte Cerar.

* Aus: neues deutschland (online), Montag, 01. Juni 2015


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