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Schnitt oder nicht

Auf Drängen Deutschlands soll sich der IWF an Debatten über Kredite für Athen beteiligen. Dieser verfolgt jedoch – zum Kummer Berlins – die Ziele der US-Regierung

Von Rainer Rupp *

Während der quälenden Verhandlungen der vergangenen sechs Monate zwischen Athen und seinen Gläubigern lauerte ständig die Frage im Hintergrund, ob der Internationale Währungsfonds (IWF) bei einem dritten, so genannten »Hilfsprogramm für Griechenland« mitmachen würde. Die Zweifel über die Rolle der Organisation beim neuen 86 Milliarden Euro Kreditpaket mehrten sich im Juli, nachdem nacheinander der Inhalt von zwei »streng vertraulichen«, internen Analysen des IWF über die griechische Schuldenquote der internationalen Presse zugespielt worden waren. Laut ihren Statuten kann nämlich die in Washington beheimatete, internationale Finanzorganisation keine neuen Kredite an ein Land vergeben, wenn dessen Schuldenlast die ökonomische Tragfähigkeit übersteigt.

In der Vergangenheit drängte der IWF in solchen Fällen die Gläubiger stets zu einem Schuldenschnitt, also zu einem Verzicht auf einen Teil der Rückzahlungen. So auch jetzt. Die beiden internen Studien waren zum Schluss gekommen, dass die griechische Schuldenquote (über 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) die Tragfähigkeit des Landes bei weitem überschreitet. Die Schlussfolgerung lautete, dass sich der Fonds nur dann an einem »Rettungspaket« beteiligen könnte, wenn die EU-Institutionen zuvor einem Schuldenschnitt für Griechenland zustimmen. Während Frankreich und die anderen Mittelmeerstaaten der Euro-Zone dem Ansinnen durchaus aufgeschlossen gegenüber standen, hatte die deutsche Bundesregierung, insbesondere Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), einen solchen Kurs ohne Wenn und Aber zurückgewiesen. Darüber hinaus führte die schroffe und beleidigende Art der deutschen Ablehnung zu erheblichen Differenzen zwischen Paris und Berlin (siehe auch jW vom 28. Juli).

Tatsächlich scheint sich Berlin selbst in eine Sackgasse manövriert zu haben. Nach den Vorstellungen Frankreichs, Italiens und anderer sollte die neue Verhandlungsrunde um das dritte »Hilfspaket für Griechenland« ohne den IWF stattfinden und eine reine EU-Angelegenheit werden. Berlin befürchtete jedoch, dass in dieser Zusammensetzung der Einfluss der Mittelmeerländer bei der Überwachung der geforderten Sparmaßnahmen überhandnehmen könnte und bestand auf der Beteiligung der Finanzorganisation, die für ihre rücksichtslosen Kürzungen im Sozialbereich in Krisenländern berüchtigt ist. Aufgrund des deutschen Drucks fällt dem IWF nun eine Schlüsselrolle beim neuen EU-»Hilfsprogramms« für Griechenland zu. Ohne den Fonds kann das Programm nicht richtig anlaufen. Sehr zum Leidwesen Berlins hat nun ausgerechnet sein Hoffnungsträger am Donnerstag wissen lassen, dass er sich ohne Schuldenschnitt der EU-Gläubiger nicht an der »Rettung« beteiligen werde. Laut einer vierseitigen »streng vertraulichen« Zusammenfassung der Beschlüsse der IWF-Vorstandssitzung am Mittwoch, die der Financial Times of London vorliegt, werden Vertreter der Organisation zwar an den Verhandlungen der EU-Institutionen in Athen teilnehmen, aber nur um sicherzugehen, dass das Kreditpaket »im Einklang steht mit dem, was der Fonds im Auge hat«. Und der will einen Schuldenschnitt.

Die jüngste Entwicklung bedeutet, dass die Antwort auf die Frage, ob sich der IWF beteiligen wird oder nicht, über viele Monate, wenn nicht sogar bis ins Jahr 2016 auf sich warten lässt. Insbesondere auf Deutschland könnte diese Verzögerung erhebliche Auswirkungen haben, zumal die Bundesregierung bisher stets unterstrichen hat, dass es unmöglich sei, vom Bundestag die Genehmigung für weitere Kredite in Höhe von 86 Milliarden Euro zu bekommen, wenn der IWF nicht an Bord ist. Mit jedem zusätzlichen Monat, der vergeht, ohne dass Griechenland neue Gelder von seinen Gläubigern bekommt, um fällige Schulden an dieselben zu zahlen, wächst die Gefahr eines unkontrollierten Staatsbankrotts in Athen und eines Ausstiegs aus dem Euro, was auch in Berlin gefürchtet wird.

Derweil hat die US-Regierung wiederholt erklärt, dass sie aus geopolitischen und strategischen Gründen ein starkes Interesse daran hat, dass Griechenland stabil und fest im westlichen Lager eingebunden bleibt. Zugleich hat sie weiterhin die dominierende Position im IWF. Dessen Entscheidung, seine Beteiligung hinauszuzögern oder ganz auszusteigen, konnte daher nur in Abstimmung mit der Obama-Administration getroffen werden. So übt Washington über einen Umweg Druck auf Berlin aus. Die deutsche Regierung kann die Verhandlungen in Athen beschleunigen und die Zustimmung des IWF zum neuen EU-»Hilfspaket« sicherstellen, indem sie die Kröte des Schuldenschnitts für Griechenland schluckt, den auch die US-Regierung von Brüssel und Berlin fordert.

* Aus: junge Welt, Samstag, 1. August 2015


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