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"Keine Freundschaft mit dem Sauvolk"

Die Regierung der nationalen Rettung muß den Griechen klarmachen, daß "das Schlimmste" vorüber sei, sagt Wahlsieger Samaras. Richtig: Die Wehrmacht ist 1944 abgezogen. Aber noch ist nichts wieder gut

Von Otto Köhler *

Alarm aus Köln am vergangenen Samstagmittag vor der Öffnung der Stimmlokale in Athen: »Die Griechenlandwahl kann zum Sargnagel der Euro-Zone werden.« Klemens Kindermann, im Deutschlandfunk Abteilungsleiter Wirtschaft und Gesellschaft, ängstigt sich am Mikrophon, die Griechen könnten den »harten Reformweg« ablehnen und Alexis Tsipras »an die Macht« bringen. Und droht: Dann sei ihnen in der Euro-Zone nicht mehr zu helfen.

Der Mann vom Deutschlandfunk kennt seine Griechen und ihre Hinterlist. Seit der Antike. Schon »der große Aristoteles« habe in seiner »Oikonomika« – außerhalb des Deutschlandfunks stammt die von einem Pseudoaristoteles – insgesamt 77 Tricks zur Steigerung der Staatseinnahmen aufgelistet. Einer sei erstaunlich zeitlos: der Trick, die Zahlungstermine für Staatsausgaben jeden Monat ein bißchen hinauszuschieben, bis dann auf ganze Jahre gesehen ein Monat eingespart ist. Auch der Chef des Linksbündnisses SYRIZA Tsipras werde auf Zeit spielen, Nachverhandlungen zum Hilfsprogramm fordern, Erleichterungen von den Sparauflagen und zusätzliches Geld.

Machtwort aus dem Deutschlandfunk: »Nach all dem, was der Klub der Euro-Zone mit den Nachfahren des findigen Aristoteles durchgemacht hat, muß bei einem Sieg der Linken für Rest­europa feststehen: Das Maß ist endgültig voll.« Zu viel habe sich Athen in der Vergangenheit geleistet: »Die nicht eingehaltenen Versprechen, zu privatisieren, die mangelnde Bereitschaft, die verkrusteten Strukturen im Land endlich aufzubrechen.« Und vor allem: »Die falschen Zahlen für die Aufnahme in den Euro.«

Falsche Zahlen? Heute vor 68 Jahren, am 20. Juni 1944 gab die Reichsregierung auf ihrer Wirtschaftspressekonferenz erstmals die seit Kriegsbeginn geheimgehaltene Außenhandelsstatistik bekannt.

Falsche Zahlen

Das Ergebnis war sensationell: Die deutsche Außenhandelsbilanz aller Jahre seit 1939 erwies sich als nahezu ausgeglichen – das Außenhandelsdefizit mit den von der Wehrmacht besetzten Ländern war verblüffend gering. Kurz, dieses Ergebnis strafte »jene Behauptungen Lügen, wonach das kriegführende Deutschland die besetzten Gebiete und die befreundeten Länder des Kontinents ausbeutet«, schrieb damals der Europapress-Wirtschaftsdienst und bestätigte: »Deutschland hat, wie aus der (…) Statistik eindrucksvoll hervorgeht, im Großen und Ganzen seine Ausfuhrleistungen dem wachsenden Einfuhrvolumen anpassen können.«

Diese Zahlen wurden noch im Nürnberger Prozeß Kurt Hunscha, dem Chefvolkswirt der Dresdner Bank, der Hausbank der SS, geglaubt. Bis heute, so stellt der Historiker Jonas Scherner fest, sind die vom Statistischen Reichsamt veröffentlichten Daten »Grundlagen für Aussagen über den Außenhandel Deutschlands im Zweiten Weltkrieg«.

Die Zahlen sind falsch, stellte Scherner in der von Lothar Gall herausgegebenen Historischen Zeitschrift fest (»Der deutsche Importboom während des Zweiten Weltkriegs. Neue Ergebnisse zur Struktur der Ausbeutung des besetzten Europas auf der Grundlage einer Neuschätzung der deutschen Handelsbilanz«: HZ 2012, Band 294, Nr. 1, Seiten 79–113).

Am 19. September 1939 wurde Wehrmachtsgut von Einfuhrzöllen, Verbrauchssteuern und damit auch von der handelsstatistischen Erfassung freigestellt. Und im August 1940 wurde diese Zollbefreiung in einem vertraulichen Erlaß auf alles ausgedehnt, was sich als »Rüstungsgut« deklarieren ließ, von einer »eingehenden Zollbeschau« sei abzusehen. Alles, was der deutsche Soldat für sein Vaterland und für die Lieben zu Haus im Feindesland zusammenplünderte, konnte unerfaßt am Zoll und damit an der Außenhandelsstatistik vorbei.

Scherner stellt fest, daß die Deutschen so »das wahre Ausmaß der Ausbeutung vor den einheimischen Behörden der besetzten Gebiete verschleiern konnten«. Die Zollbeamten hatten nicht das Recht, Warentransporte zu kontrollieren, die von den Besatzern als Wehrmachtsgut deklariert wurden. Für das Reichswirtschaftsministerium war klar, wie nützlich solche Bestimmungen sind: »Für die Wirtschaftspropaganda dem Ausland gegenüber empfiehlt sich die Verwendung der offiziellen deutschen Handelsstatistik.« Was an dieser Statistik vorbeilief, dafür gab es auch im Ministerium nur Schätzungen, die ein Mehr­faches der offiziellen Zahlen betrugen.

Scherner kommt zu dem Ergebnis, daß »die offizielle deutsche Importstatisitik für die Zeit des Zweiten Weltkrieges vollkommen irreführend ist. Denn tatsächlich kam es, im Unterschied zu dem, was die Einfuhrstatistik suggeriert, zu einem spektakulärem Importboom.« Für die besetzten Länder aber bedeutete das den Verfall von Wirtschaft und Währung, unter dem sie immer noch litten, als das wiederauferstandene Deutschland sich seines »Wirtschaftswunders« rühmte. Scherner: »Bis heute sind die vom Statistischen Reichsamt veröffentlichten Daten zur deutschen Handelsbilanz Grundlage für Aussagen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Danach war die Handelsbilanz des Reiches in den betreffenden Jahren fast ausgeglichen und das Außenhandelsdefizit mit den besetzten Ländern erstaunlich gering.«

Wie berichtet (»Unsere Schulden in Athen«, jW 19/20.5.2012) hatte der Historiker Hagen Fleischer gegenüber der FAZ eine Forderung Griechenlands benannt, die sogar im Nazireich unbestritten war. Die FAZ: »Ein gänzlich anderer Fall betrifft hingegen die deutsche Zwangsanleihe bei der griechischen Nationalbank. Hier geht es nicht um Reparationen, sondern um die Rückzahlung einer Anleihe, die sogar von Hitlers Deutschland als verpflichtend anerkannt worden war. Noch Anfang 1945 bezifferten Fachleute der Reichsbank in Berlin die Höhe der Schuld des deutschen Reiches gegenüber Griechenland auf 476 Millionen Mark.« Fleischer nennt das eine »moderate Schätzung« und fügt hinzu: »Von dieser Basis aus könnten Verhandlungen in einer Form geführt werden, die keinen Präzedenzfall für andere Staaten darstellt. Zugleich wäre damit dem absurden Zustand ein Ende gesetzt, daß (…) die Vertreter des NS-Regimes eine Schuld Deutschlands anerkannten, die von der demokratisch gewählten und bestätigten Regierung der Bundesrepublik, dem völkerrechtlichen Nachfolger des Deutschen Reiches, bis heute ignoriert wird.«

Ergebnis: Die Länder, denen Angela Merkel heute ihren »Sparkurs«, das deutsche Verarmungsprogramm für Europa, aufzwingen will, wurden damals schon unter deutscher Besatzungsherrschaft ausgeplündert, ihre Währungen wurden inflationiert.

Legalisierte Plünderung

Schon am 15 Juli 1941 machte sich Reichsfinanzminister Lutz Graf Schwerin von Krosigk in einem Brief an Hermann Göring Sorgen über die »ungünstige Entwicklung der Finanzwirtschaft in den meisten europäischen Ländern und Gebieten und die nachteiligen Folgen für die deutsche Wirtschaft«. Wo immer der deutsche Soldat einmarschierte »kam es nach der Besetzung zu einem ungeregelten Ausverkauf, bei dem das anfängliche Nebeneinander der verschiedenen öffentlichen und privaten Käufer – einschließlich der Wehrmachtsangehörigen – bald in ein Gegeneinander ausartete. Die Folge des Ausverkaufes war ein Anziehen der Preis- und Lohnschraube« – die Preise stiegenstark, die Löhne kaum – »und eine weitgehende Verlagerung des Warenverkehrs auf den schwarzen Markt.«

Noch schlimmer als in Polen sei es auf dem Balkan, vor allem »in Griechenland ist der Endpunkt der Entwicklung so gut wie erreicht; es gibt hier einen legalen Markt überhaupt nicht mehr, es gibt kein Preisverhältnis mehr, das zur Grundlage der Stabilisierung und Reorganisierung dienen könnte.« Bei einer längeren Dauer des Krieges komme es darauf an zu verhindern, daß die »Länder, deren Potential wir in Anspruch nehmen, vorzeitig absacken«.

Und hier – im vertraulichen Brief an Göring – gibt der Finanzminister auch zu, daß von einer ausgeglichenen Handelsbilanz mit Griechenland keine Rede sein kann: »Die Clearing-Verschuldung war Ende 1939 noch ganz unbedeutend, Ende 1940 betrug sie noch 953 Millionen, Ende 1941 schon 3251 Millionen RM. Inzwischen hat sie die Fünfmilliardengrenze überschritten, für Ende 1942 werden wir mit sieben Milliarden Reichsmark rechnen müssen…«

Nicht nur das: »Hand in Hand« mit einer »Inangriffnahme des Währungsproblems« könne »für den im Land entstehenden Bedarf der Wehrmacht notfalls auf verschärfte Requisition« – legalisierte Plünderung – »zurückgegriffen werden«. Mit einer insofern »günstigen Wirkung, als auch in anderen Ländern die Erkenntnis reift, daß Deutschland als der Hauptträger des Kampfes stärkere kriegswirtschaftliche Rücksichten verlangen kann.« Schreibt Wolfgang Schäubles Rechtsvorgänger Schwerin von Krosigk und schließt: »Mir scheint das Beispiel Griechenlands (…) hierzu geradezu herauszufordern«.

Griechen sind zu dezimieren

Göring kannte das Problem. Im Gespräch mit dem italienischen Außenminister Graf Ciano bedauerte er schon mal: »Deutscherseits kann da nichts unternommen werden. Wir können uns nicht übermäßig um den Hunger der Griechen kümmern. Das ist ein Unglück, mit dem auch noch andere Leute zu tun haben.« Und: »Vielleicht ist es gut so, gewisse Nationen müssen eben dezimiert werden. Aber selbst wenn es nicht so wäre, da läßt sich einfach nichts tun. Wenn die Menschheit zum Hungertod verurteilt ist, ist es doch klar: Unsere beiden Völker« – Deutsche und damals noch Italiener – »werden die letzten sein, die sterben.«

Und vor den Militärbefehlshabern gibt er drei Wochen nach dem erhellenden Brief des Reichsfinanzministers seine Erkenntnisse preis: »In jedem der besetzten Gebiete sehe ich die Leute vollgefressen, und im eigenen Volk herrscht Hunger.« Konsequenz: »Die ewige Sorge für den Fremden muß jetzt endlich einmal aufhören.«

Das meint – geistesverwandt – auch Thilo Sarrazin knapp siebzig Jahre später. Am Wahltag gab die Frankfurter Allgemeine am Sonntag dem ausgewiesenen Spezialisten für Negersklavenzinsfüße das Wort zum Kommentar gegen die »Südländer«, wie er höflich die Leute da unten nennt.

Sarrazin, der 1990 im Bonner Finanzminsterium die Grundlagen für die Plünderung der DDR ausarbeitete, ist entsetzt über den tatsächlich etwas unterinformierten US-Historiker Charles Mayer, der fordere, Deutschland müsse seine Verpflichtung für Europa in ähnlicher Weise wahrnehmen, wie vor 20 Jahren für Ostdeutschland. Sachkenner Sarrazin aus erster Hand: »Historiker müssen nicht zahlenfest sein: Aber 17 Millionen Ostdeutsche kosteten Westdeutschland 1,5 bis zwei Billionen Euro. Das läßt erahnen, was 300 Millionen Menschen kosten mögen.«

In der Tat war der Euro-Raum für die – das ist sie geblieben – westdeutsche Wirtschaft ein ebenso gutes Geschäft wie der Anschluß der DDR. Aber Sarrazin verbittet sich auch ausländische Flegeleien, die er empört aufzählt: »Deutschland habe die Krise durch seine egoistische Haltung wenn nicht verursacht, so doch verschärft, und wenn es nicht bereit sei, für die Schulden der Südländer mitzuhaften, dann trage es nicht nur die Verantwortung für ein Auseinanderbrechen des Euro-Raums, sondern für eine Weltwirtschaftskrise, die jene Anfang der dreißiger Jahre in den Schatten stellen könne. Ausgerechnet Deutschland, das durch Brüningsche Sparpolitik die Machtergreifung der Nazis, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust verursacht habe, sei anscheinend bereit, die Welt abermals in den Untergang zu treiben. Das war der Tenor eines Aufsatzes des britischen Historikers Niall Ferguson und des amerikanischen Ökonomen Roubini.«

Ständig die Moralkeule

Solcher Tenor gefällt ihm nicht. Sarrazin genervt: »Es ist auffallend, wie unbefangen, ja impertinent viele angelsächsische Diskussionspartner, aber nicht nur sie, bei der Forderung nach deutschem Geld mit der deutschen Schuld an den Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts spielen. 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Deutschen das Recht (und die Pflicht), sich in der internationalen Zusammenarbeit bei finanziellen Fragen von ihrem vernünftigen Eigeninteresse leiten zu lassen, ohne ständig die Moralkeule fürchten zu müssen.«

Richtig, ein so gelungen modernisierter Nazinachfolger wie Sarrazin sieht da die von Martin Walser erfundene Auschwitzkeule auf sich eindreschen. Aber diese Geschichte hat nicht mit Moral zu tun, sondern mit historischen Hypotheken, die Deutschland einfach nicht abtragen mag. Sie gehen zurück auf das Jahr 1941, als Deutschland Griechenland überfiel und ausplünderte.

»Sind es die Leute in den griechischen Städten, die gegenwärtig nur aus Drogenverkäufern, Schwarzmarkthändlern, Hehlern, Dieben, Arbeitsscheuen bestehen«, so fragten damals aus vernünftigem Eigeninteresse die Deutschen Nachrichten in Griechenland, »wirklich wert durch Nahrungslieferungen der Achsenmächte am Leben erhalten zu werden?«

Dieses deutsche Blatt, das 1942 noch nicht Die Zeit hieß (Schlagzeile zur Wahl: »Die ganze Welt will unser Geld«), fragte: »Wie lange noch die Achsenmächte in ihrem harten Abwehrkampf ein Volk von Millionen von Faulenzern ernähren können, das bleibt fraglich.« Das Blatt, das es so gut meinte, wie heute Bild, es klärte damals auch schon die Pleitegriechen auf: »Keiner hilft euch, wenn ihr euch nicht selbst helft. Hört auf mit dem Gezänk, arbeitet und verdient euch euren Lebensunterhalt selbst, sonst könnten die Achsenmächte das Interesse verlieren, euch zu unterstützen. Griechenland muß durch eigene Anstrengung überleben.«

Ob es das wirklich muß, war damals schon umstritten. Generalmajor Karl Hans Maximilian von Le Suire, der 1916 in die Königlich Bayerische Armee eingetreten war und 1943 in Griechenland befehligte, vertrat da eine entschieden andere Ansicht: »Es gibt keine Freundschaft mit dem Sauvolk«, wußte er aus jener geschichtlichen Erfahrung, die in seinen Adern floß. Sein Vorfahr Georg Wilhelm von Le Suire, Kommandant des 1. Königlich Bayerischen Jägerbataillons »König«, begleitete als Kriegsminister den minderjährigen bayerischen Prinzen, der 1832 von außen als »Otto I., König von Griechenland« eingesetzt wurde und mit einem Heer von ins Land eingefallenen Beamten die Griechen solange kujonierte, bis sie ihn 1862 davonjagten.

Nachfahr Karl von Le Suire zog in dieses Land 1943 als Chef der 117. Jägerdivision. Aus den Schulungsschriften des Oberkommandos der Wehrmacht konnte er erfahren: »Auf die nordrassische Bevölkerung, die einst die geschichtliche und kulturelle Größe Griechenlands gestaltete, deuten nur noch geringe Spuren, Griechen seien demnach »grundsätzlich nicht umvolkbar« – das sind sie bis heute nicht, wie Bild tagtäglich informiert.

Damals gab es allerdings ein breites Meinungsspektrum über die Griechen und ihre Art. Der große Humanist Erhart Kästner, der vor und nach 1945 durch seine dann etwas umformulierten Reisebücher berühmt wurde, hatte 1943 in »Griechenland. Ein Buch aus dem Kriege« bedauert, daß »blutsmäßig von den alten Griechen verdammt wenig oder nichts übrig geblieben im heutigen Hellas« – wohin man blickt: »Lemuren und Affengesichter«.

Aber dann doch: »Da waren sie, die ›blonden Achaier‹ Homers, die Helden der Ilias. Wie jene stammten sie aus dem Norden, wie jene waren sie groß, hell und jung, ein Geschlecht, strahlend in der Pracht seiner Glieder« – die einmarschierte Wehrmacht der Deutschen. »Es schien, als sei ein verloren geglaubtes Geschlecht wiedergekehrt und habe mit« – ja – »Selbstverständlichkeit Besitz genommen von diesem Ufer, oder als seien sie immer dagewesen und der Götterberg habe nie auf andere niedergeblickt als auf sie.«

Das war die Großdeutsche Wehrmacht, heute läßt es uns an die Begleitkommandos der Troika denken.

Mit den Helden der Nordilias war auch der erwähnte Generalmajor Karl von Le Suire ins – wie er schnell erkannte – »Land der Nichtstuer, Schieber und Korrupteure« eingerückt. Da kamen einige seiner Soldaten im Kampf mit den Partisanen um. Er ordnete daraufhin als »Sühnemaßnahme« die Zerstörung von Kalavryta und 25 Dörfern an. Vernichtet wurde auch das Kloster Agia Lavra, ein griechisches Nationalheiligtum. Die Vollzugsmeldung für das von Generalmajor Le Suire befohlene Massaker registriert 674 erschossene Griechen. Es war nur eine von den vielen Massenmordaktionen der Wehrmacht in Griechenland.

Brave Bürger

Bonn betrieb bewußt Täterschutz. Der Historiker Hagen Fleischer stellte 2001 fest: »Kein Deutscher wurde wegen an Griechen begangener Kriegsverbrechen von einem deutschen Gericht verurteilt.« Berlin treibt diese Immunität der deutschen Massenmörder in Griechenland noch weiter. Die Bundesregierung klagte gerade erst – natürlich mit Erfolg – vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, weil ein griechisches Gericht Deutschland zu Entschädigungen verurteilt hatte. Das Bonner Finanzministerium aber war hinter allem her, was die Deutsche Wehrmacht in Griechenland in der Eile des Abzugs nicht mitgenommen haben könnte. Der Historiker Hagen Fleischer berichtet: Als die Presse meldete, in Griechenland werde nach einem Schatz gesucht, den marodierende Wehrmachtsoffiziere vor dem deutschen Abzug für bessere Zeiten vergraben hätten, bat man das Auswärtige Amt, eruieren zu lassen, »ob es sich bei den vergrabenen Goldmünzen um deutsches Reichsvermögen handelt und in welcher Weise dieses nachgewiesen werden kann.«

Der Bremer Sozialwissenschaftler und Historiker Karl Heinz Roth hat in einer soeben erschienenen Schrift (»Griechenland: Was tun?« VSA Verlag, Hamburg 2012, 94 Seiten, 9,80 Euro) zusammengefaßt, wie die blonden Achaier damals in Griechenland wüteten und plünderten:

»Unmittelbar nach dem Einmarsch konfiszierten sie alle strategisch wichtigen Rohstoffe und transportierten sie ins Reich ab. Anschließend brachten sie die Montanindustrie und den Transportsektor unter ihre Kontrolle und beuteten sie systematisch aus. Parallel dazu werteten sie die Nationalwährung – die Drachme – ab und etablierten ungleiche Tauschrelationen im Rahmen eines bilateralen Verrechnungssystems. Zusätzlich preßten sie der Nationalbank gewaltige Geldbeträge und Zwangsanleihen zur Finanzierung der Besatzungskosten sowie riesiger militärischer Infrastrukturinvestitionen ab. Durch diese raubwirtschaftlichen Maßnahmen lösten sie eine Hyperinflation aus, die schon im Winter 1941/42 zu einer Hungerkatastrophe mit über 100000 Toten führte. Darauf folgten 1942/1943 die Ausplünderung und Zerstörung von über 1600 Ortschaften im Rahmen der Partisanenbekämpfung, wodurch eine Million Menschen obdachlos wurden. Und als sich die deutschen Okkupanten im Herbst 1944 wieder aus Griechenland zurückzogen, zerstörten sie die die ökonomische und verkehrstechnische Infrastruktur weitgehend. Auf diese Weise teilte Griechenland das Schicksal der besetzten osteuropäschen Territorien, deren sozialökonomische Basis einem in diesem Ausmaß noch nie dagewesenen Raub- und Vernichtungskrieg zum Opfer fiel.«

Am Sonntag haben die Griechen – so wie es Angela Merkel befahl – mit einer Mehrheit wieder eine Regierung der Kollaboration gewählt, die die Verelendung ihres Landes absichert. Um 21.35 Uhr stand Caren Miosga für die ARD am »Fuße der Akropolis, wo einst die Demokratie geboren wurde«, und zeigte sich froh: »Das Ergebnis könnte für Resteuropa eine große Erleichterung bedeuten« Sie befragte die Wähler. Ein Grieche war mit der Wahl zufrieden. Er sagte: »Wir werden brave Bürger sein und nicht Zigeuner.«

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. Juni 2012


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