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Die Abwerter

Ratingagenturen geben Unternehmen, Wertpapieren und Staaten Noten

Von Hermannus Pfeiffer *

Wie schon nach der Lehman-Pleite stehen die Ratingagenturen im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise in der Kritik: Sie haben mutwillig die Finanzlage Athens verschärft.

Ratingagenturen entscheiden über das Wohl und Wehe ganzer Staaten. Seit März werden Griechenland und die sozialdemokratische PASOK-Regierung von Giorgos Papandreou von diesen Finanzunternehmen unter Druck gesetzt. Fitch soll Athen gedrängt haben, sich um Hilfen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zu bemühen, was einer Bankrotterklärung nahekommt. Standard & Poor's senkte in dieser Woche die Bewertung Athener Staatsanleihen quasi auf Ramschniveau. Dadurch sind auf den Finanzmärkten die Erwartungen weiter gewachsen, dass Griechenland seine Schulden nicht komplett zurückzahlen wird. Dies könnte zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.

Die Abstufungen stoßen auf Kritik, weil sich die politische und wirtschaftliche Lage Griechenlands seit November, als der frisch gewählte Papandreou die Sünden seiner Vorgänger aufdeckte, gebessert hat. Zudem hat die EU Mitte März einen Notfallplan beschlossen, der nun auch realisiert werden soll. Griechische Staatspapiere sind also keine so riskante Geldanlage, wie es die schlechten Rating-Noten nahelegen.

Wie Oberlehrer vergeben die großen Agenturen Noten von »AAA« bis »D« für Anleihen und Wertpapiere, Konzerne und ganze Staaten. Diese Noten sollen letztlich Banken, Fonds und anderen Investoren helfen, Finanzprodukte richtig einzuschätzen. Grundsätzlich ein nützlicher Job, um den Dschungel an den Märkten ein wenig zu lichten. In der jeweiligen Note drückt sich dann eine Art von Kosten-Nutzen-Rechnung aus: Eine gute Note steht für geringes Risiko, aber auch für eine niedrigere Rendite; eine schlechte Note entsprechend für hohes Risiko und für die Chance auf eine hohe Rendite.

Indem Griechenland herabgestuft wird, müssen das Land und seine Unternehmen höhere Zinsen für Kredite und Anleihen bieten. Die Refinanzierung wird dadurch immer schwieriger.

Längst stehen die dominierenden drei Oberlehrer selbst in der Ecke: Bis zum Ausbruch der Weltfinanzkrise im Sommer 2007 hatten sie sogar hochriskante und undurchsichtige US-Immobilienpapiere noch mit »sehr gut« bewertet. Nun schlägt das Pendel in die andere Richtung aus und es wird schneller abgewertet, als es angemessen erscheint.

Einen Einblick in das Wirken der Ratingagenturen verschafft uns Heide Simonis in ihrem Buch »Verzockt!«: Darin beschreibt sie, wie sie, als sie noch Ministerpräsidentin in Kiel war, Besuch von zwei gegelten jungen Herren einer Ratingagentur bekam. Mit viel englischem Kauderwelsch bogen sie der Aufsichtsratsvorsitzenden der HSH Nordbank bei, wie eine Landesbank zu führen sei, damit sie gute Noten erhalte: mit mehr Wagemut bei hochkomplizierten Finanzgeschäften. Dies endete bekanntlich im milliardenschweren Debakel.

Das Quasi-Monopol brechen und die Finanzmärkte zügeln könnte eine vom Markt unabhängige EU-Ratingagentur. Diese könnte schnell aus dem Zentralbankensystem und den staatlichen Aufsichtsämtern entwickelt werden. Ob eine solche öffentliche Ratingagentur Griechenland anders bewerten würde, als es die drei US-Giganten tun, bliebe abzuwarten. Zumindest aber gäbe es dann eine Vergleichsmöglichkeit und dadurch indirekt eine staatliche Kontrolle.

* Aus: Neues Deutschland, 30. April 2010

Lexikon

Mit einem Rating (engl.: Bewertung) wird die Bonität bzw. Zahlungsfähigkeit eines Schuldners für den Gläubiger beurteilt. Bei Privatkunden oder Handwerkern, die einen Kleinkredit beantragen, prüft die Hausbank selbst den Antragsteller auf Herz und Nieren (»internes Rating«). Auf dieser Grundlage entscheidet das Institut dann, ob bzw. zu welchen Konditionen Geld verliehen wird. Für größere Unternehmen, Staaten oder Wertpapiere führen spezialisierte internationale Ratingagenturen die (»externen«) Bewertungen durch. ND




Eine neue Ära hat nicht begonnen

Die Chancen zur Neuordnung des Bankensektors blieben ungenutzt

Von Hermannus Pfeiffer **


Erinnern Sie sich noch an letztes Jahr? Die Verstaatlichung des Bankensektors schien plötzlich im Bereich des Möglichen und Machbaren. Heute wird im Finanzsektor wie eh und je gezockt - dank der großzügigen Hilfen der Politik und der ausgebliebenen staatlichen Regulierung.

Anfangs war es noch harmlos: Die Commerzbank wurde zwar teilverstaatlicht, über die Geschäftspolitik bestimmten aber weiter die alten Banker. Doch das änderte sich schnell, als weitere Geldhäuser vor der Pleite standen, die alten Eliten abgelöst und umfassende Vergesellschaftungen beschlossen wurden. Damit hatte die Politik ein Exempel gesetzt. Alle Beteuerungen, die Banken seien ein Sonderfall, nutzten nichts, als auch die Produktionswirtschaft, insbesondere die Autoindustrie, in eine immer tiefere Krise rutschte. Die Banken vergesellschaftet, die Finanzmärkte reguliert, die globalen Strukturen neu gestaltet, kurzum, die andere Globalisierung hat gegriffen. Die größte Wirtschaftskrise seit der Großen Depression hatte sich zugleich als Chance für einen tiefen globalen Wandel gezeigt. Die Zukunft ist wieder offen.

Aber dazu ist es bekanntlich nicht gekommen. Die hier beschriebene optimistische Attac-Satire »Die neue Machbarkeit« von Rosa Goldmann, die in einer gefälschten Ausgabe der Wochenzeitung »Die Zeit« vor einem Jahr erschien, ist verpufft. Banken und Hedgefonds zocken fast wie eh und je, und die alten liberalen Meinungsführer haben wieder die Oberhand gewonnen. Der Wandel der Banken vom Kreditgeber zum Spekulanten setzt sich fort und Keynes ist wieder tot.

Der Staatsanteil im Bankwesen ist seither aber gestiegen. In Deutschland wurde die Immobilienbank Hypo Real Estate - mittlerweile Deutsche Pfandbriefbank - vollends verstaatlicht sowie die Kapitalbeteiligungen und Bürgschaften für Landesbanken erhöht. Statt marode Zockerbuden Pleite gehen zu lassen und die Staatsmilliarden für neue Jobs, Kindergärten und Infrastruktur-Investitionen zu nutzen, hauten die Regierungen Merkel I und Merkel II »ihre« Banker aus dem Schlamassel raus. Deutsch-Banker Hilmar Kopper durfte Aufsichtsratsboss bei der norddeutschen Landesbank HSH werden und seit März 2009 steigen wieder die Kurse für Aktien, Gold und Rohöl. Die Verluste finanzierte der Staat, die Gewinne werden nun wieder privat eingesackt. Alles wie gehabt.

Dies gilt auch international. Die Bankenregulierung kommt kaum voran. In den USA steckt eine Finanzmarktreform wegen konservativer Widerstände im Senat fest. Auch die Regierungschefs von Deutschland, Großbritannien und Japan regieren nach dem seit 2007 »bewährten« Muster mit Symbolpolitik: Scheinbar knallharte Regulierungen der Finanzmärkte und drakonische Bankenabgaben werden wieder und wieder versprochen - um sie bald wieder in den Schubladen der Macht verschwinden zu lassen. »Die anderen wollten ja nicht«, rechtfertigt man sich global reihum gegenseitig.

Inzwischen steht Griechenland, bald Spanien und Italien, am Ende vielleicht der Euro zur Disposition der Geldgiganten. Es ist also auch für Regierungspolitiker an der Zeit, Probleme an der Wurzel zu packen.

Europa einschließlich Griechenland ist stark genug und muss nicht auf Obama, den Internationalen Währungsfonds oder China warten, um verstaatlichte Banken zu einer sozialen und ökologischen Geschäftspolitik zu bewegen, mit klaren Regeln die Finanzakteure zu zwingen, sich auf ihre Kernkompetenz, die solide Kreditversorgung von Häuslebauern, Wirtschaft und Staat zu besinnen. Als letztes Mittel könnte der Staat die vorübergehende oder dauerhafte Verstaatlichung von weiteren Zockerbanken für den Notfall konkret vorbereiten - und ver.di-Experten und Attac-Spezialisten schon einmal auf Vorstandsaufgaben vorbereiten.

Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz will durch Verstaatlichungen verhindern, dass die Lasten der gegenwärtigen und zukünftiger Krisen allein von der öffentlichen Hand getragen werden. Klingt wie das bundesdeutsche Grundgesetz, in dem es heißt: »Eigentum verpflichtet.«

Und endlich will auch die EU konkrete Vorschläge präsentieren - im Herbst, über drei Jahre nach Ausbruch der Krise. Die Chance für eine neue Machbarkeit, meint Brüssel. Erinnern Sie sich noch an letztes Jahr?

** Aus: Neues Deutschland, 30. April 2010


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