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An den wirklichen Problemen vorbei

Die deutsche und EU-Politik gegenüber Griechenland ist eigennützig, selbstgerecht und verlogen. Mehrere Beiträge



Letzte Meldung

Euro fiel auf einen der niedrigsten Stände seit einem Jahr

Die Finanzkrise der Griechen spitzt sich zu, nachdem griechische Staatsanleihen am Dienstagabend von der Ratingagentur Standard & Poor's auf Ramschniveau heruntergestuft worden waren. Zusätzliche Hektik löste die Nachricht aus, dass auch das ebenfalls mit Defiziten kämpfende Portugal erneut herabgestuft wurde. Die EU-Staaten gerieten unter enormen Druck, eine Kettenreaktion zu vermeiden.

International erlitten die Aktienmärkte Verluste. Der Euro fiel auf einen der niedrigsten Stände seit einem Jahr. «Die Märkte sind mit voller Wucht von der Problematik in den angeschlagenen EU-Ländern getroffen worden», sagte Chefhändler Matthias Jasper von der WGZ Bank. Die Bundesregierung richtete einen Krisenstab ein.

Athen braucht bis spätestens 19. Mai um die neun Milliarden Euro, um Anleihen zu bedienen. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy kündigte einen Eurozonen-Gipfel für den 10. Mai an. Bei einer Pressekonferenz in Tokio bemühte er sich um Beruhigung der Lage. «Die Verhandlungen sind auf dem richtigen Weg.» Es sei keine Rede von einer Umschuldung.

Nach Einschätzung des wirtschaftsnahen Forschungsinstitutes IW Köln ist ein Umschuldungsprozess aber kaum zu vermeiden. Ein Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn betonte aber in Brüssel, EU und IWF verfolgten nur den Weg eines milliardenschweren Hilfspaketes für Griechenland. «Es gibt kein Szenario, die griechischen Schulden zu restrukturieren.» Eine Restrukturierung könnte Experten zufolge etwa bedeuten, dass griechische Anleihen später zurückgezahlt werden.

Die Bundesregierung hält es für denkbar, dass die Hilfen aufgestockt werden. Entsprechende Signale habe es in den vergangenen Tagen aus dem Umfeld des IWF gegeben, hieß es. Dann würden auch die Euro-Länder ihre Unterstützung für den Drei-Jahres-Plan erhöhen. Auch die spanische EU-Ratspräsidentschaft ist für eine Aufstockung. IWF- Chef Dominique Strauss-Kahn und EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sprachen in Berlin mit Vertretern von Regierung und Parlament.

Bislang wollte der IWF in diesem Jahr 15 Milliarden Euro und die EU 30 Milliarden Euro zahlen. Davon trägt Deutschland bis zu 8,4 Milliarden Euro. Der IWF könnte laut «Financial Times» (28. April) seinen Anteil an den Hilfen um 10 auf 25 Milliarden Euro aufstocken.

Eine kleine Kabinettsrunde unter Leitung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) traf sich am Mittwochvormittag in Berlin zur Beratung über das weitere Vorgehen. Danach verlautete, es bleibe bei dem vereinbarten Fahrplan, dass zunächst der IWF und die Europäische Zentralbank (EZB) mit Griechenland über einen Drei-Jahres-Sparplan verhandelten und die Ergebnisse dann bewertet würden.

Quelle: dpa, 28. April 2010



Merkel spielt auf Zeit

Griechenland-Hilfe wird auch mit Blick auf die Wahl in Nordrhein-Westfalen weiter verzögert. Partnerstaaten verärgert, Zocker verlangen mehr Zinsen. jW-Bericht *

Die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) spielt weiter auf Zeit: Statt Griechenland wie verabredet schnelle Hilfe zu leisten, stellten Koalitionspolitiker in Berlin die getroffenen Abmachungen gar grundsätzlich in Frage. »Die Bundesregierung hat noch nicht entschieden. Das heißt, daß eine Entscheidung auch in verschiedene Richtungen ausfallen kann«, verkündete Außenminister Guido Westerwelle am Montag (26. April) in Luxemburg. Auch Teile der Wirtschaft wollen offenbar die Milliardenkredite an das nahezu insolvente Griechenland zumindest verzögern und an verschärfte Bedingungen knüpfen. Diese taktischen Spielchen haben europäische Partner offenbar verärgert. Sowohl aus Paris als auch aus Rom kam harsche Kritik.

»Wir brauchen eine positive Entwicklung in Griechenland, verbunden mit weiteren Sparanstrengungen«, sagte die Kanzlerin am Montag in Berlin. Gleichzeitig mahnte sie ein geduldiges Vorgehen an. Nun sollen in den kommenden Wochen die Weichen gestellt werden. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte am Montag nach einem Treffen mit den Chefs der Bundestagsfraktionen, er habe diese gebeten, die Beratungen so zu gestalten, »daß wir Griechenland vor dem 19. Mai Hilfe gewähren können«. Bis zu diesem Wochenende solle Athen ein Sparprogramm erarbeiten. Eine Gesetzesvorlage könnte dann womöglich schon in der kommenden Woche vorgelegt werden, Bundestag und Bundesrat könnten im Anschluß bis zum 7. Mai zustimmen. Dieses Ziel sei zwar »ehrgeizig«, sagte Schäuble. Es hätten aber »alle Fraktionen grundsätzliche Bereitschaft« zu diesem Vorgehen geäußert.

Die Zusage an Griechenland, Notkredite bei Bedarf zur Verfügung zu stellen, war angeblich an die Bedingung geküpft, daß die dortige Regierung vor dem Abruf das Plazet der Geberstaaten einholen sollte. Das habe Finanzminister Georgios Papaconstantinou nicht getan und damit die Partner düpiert, berichtete das Handelsblatt am Montag. Der Minister gelte in Berlin deshalb als Persona non grata. Offenbar hat er den schönen Plan, die Hilfen erst nach dem Urnengang in NRW zu gewähren, torpediert.

Dies klingt nachvollziehbar. Entsprechend verschnupft klangen auch die Reaktionen deutscher Koalitionäre. Westerwelle sagte am Rande eines EU-Außenministertreffens, wer »zu früh Geld ins Schaufenster legt, wird nur sehen, daß dann die Hausaufgaben in Griechenland nicht mit dem nötigen Fleiß und der nötigen Disziplin erledigt werden«. EU-Finanzkommissar Olli Rehn hatte angedeutet, das Hilfspaket von Eurogruppe und Internationalem Währungsfonds (IWF) im Volumen von bis zu 45 Millionen Euro könne schon bis zum kommenden Freitag auf den Weg gebracht werden. Westerwelle sprach sich klar dagegen aus. »Die konkreten Pakete mit dem IWF müssen erst mal vereinbart sein, erst dann kann es eine weitergehende Diskussion geben.« Es könne nicht sein, daß »der europäische Steuerzahler selbstverständlich für das Fehlverhalten von einzelnen Ländern geradesteht«.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHKT), Hans Heinrich Driftmann, forderte laut Bild.de ein handfestes, belastbares Sanierungskonzept der Griechen für ihren Haushalt. Dazu gehöre ein späteres Renteneintrittsalter im öffentlichen Dienst sowie ein Senken der Rentenhöhe. Zweitens brauche es einen Sparkommissar, der von der EU eingesetzt werde und die Kontrolle übernehme. Und drittens »müssen sich alle Gläubiger von griechischen Staatsanleihen an den Sanierungskosten beteiligen - die deutschen Steuerzahler dürfen nicht schon wieder allein die Suppe auslöffeln.«

»Es gibt keinen Blankoscheck für eine Zustimmung der SPD zur Griechenland-Hilfe der Bundesregierung«, sagte auch SPD-Chef Sigmar Gabriel am Montag nach einer Präsidiumssitzung in Berlin. Auch die Sozialdemokraten forderten einen strikten Sparkurs Athens - der auf erhebliche Einschnitte zielt. Außerdem sollen sich deutsche und europäische Banken substantiell an den Hilfen beteiligen.

Die Linksfraktion im Bundestag will Finanzhilfen für Griechenland nur im Falle einer Beteiligung der Banken zustimmen. Voraussetzung sei, daß anders als beim »Bankenrettungsschirm« in der Finanzkrise diese diesmal in die Pflicht genommen würden, sagte Fraktionsvize Gesine Lötzsch am Montag dem Radiosender SWR2. Die Finanz­institute, die an ihren Griechenland-Anleihen verdienten, müßten »mit ins Boot geholt werden und zwar mit festen gesetzlichen Vorschriften«.

International wird die Bundesregierung zur »Solidarität« mit Griechenland ermahnt. Italiens Außenminister Franco Frattini zeigte sich am Montag in Luxemburg »besorgt über die starre Haltung, die Deutschland an den Tag legt«. Frattini forderte eine gemeinsame Kraftanstrengung der Euro-Länder für Griechenland. Auch der österreichische Außenminister Michael Spindelegger setzte sich für ein schnelles Vorgehen ein.

Die Zocker sind verunsichert. An den »Märkten« haben die Kosten für Darlehen zur Schuldentilgung ein neues Rekordniveau erreicht. Für zehnjährige griechische Staatsanleihen verlangten Investoren am Montag 9,116 Prozent Rendite. Für deutsche Papiere liegt diese rund sechs Prozentpunkte niedriger.

Die Regierung in Athen hatte am Freitag Finanzhilfen der Euroländer und des IWF von 45 Milliarden Euro beantragt. Wenn diese bewilligt werden, würden 8,4 Milliarden Euro auf Deutschland entfallen. Diese würden maßgeblich auch den Banken zugutekommen, die griechische Staatsanleihen besitzen, also Griechenland Geld geliehen haben und von den Zinszahlungen profitieren. In Deutschland sind dies insbesondere die HRE, Commerzbank und die Deutsche Bank.

jW-Bericht (Quellen: AFP; ddp)

* Aus: junge Welt, 27. April 2010


"Absurd, sich an Griechenland abzuarbeiten"

Die Bundesregierung will die wirklichen Probleme nicht sehen. Ein Gespräch mit Heiner Flassbeck **

Heiner Flassbeck war unter Oskar Lafontaine Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er ist Chefökonom der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf.

Frage: Die Bundesregierung gerät wegen ihrer starren Haltung zu Finanzhilfen für Griechenland in Europa immer stärker unter Druck. Die Bundeskanzlerin verkündete, die Griechen sollten erst einmal sparen, bis es quietscht. Welches Spiel spielt Frau Merkel eigentlich?

Flassbeck: Ich will sie nicht als einzig Verantwortliche darstellen. Fakt ist, daß sich Deutschland in dieser ersten großen Krise des Euro mehr als ungeschickt verhält. Statt daß die Koali­tionsparteien jetzt über einen Staatsbankrott Griechenlands oder gar über einen Rauswurf des Landes aus dem Währungssystem schwadronieren, sollte die Lage ernsthaft analysiert und auf dieser Basis eine Lösung gesucht werden.

Und wie könnte die ausehen?

In aller Bescheidenheit - außer mir haben alle Politiker und Fachleute in den letzten zehn Jahren geschlafen. Schon 1997 hatte ich in einem Artikel klargelegt, daß in der Außenwirtschaft ein Riesenproblem auf die Eurozone zukommt - weniger bei den Staatsdefiziten. Da beide Aspekte aber zusammenhängen, braucht Griechenland einen Überbrückungskredit. Es wird ja immer übersehen, daß dieses Land im vergangenen Jahrzehnt binnenwirtschaftlich extrem erfolgreich gewirtschaftet hat - es hatte mit Abstand die höchsten Ausrüstungsinvestitionen in der europäischen Währungsunion.

Wie alle anderen südeuropäischen Staaten - einschließlich Frankreichs! - hatte Griechenland aber ein außenwirtschaftliches Problem, nämlich verlorene Wettbewerbsfähigkeit wegen unerwartet niedriger Lohnsteigerungen in Deutschland. Wenn wir jetzt dieses Land abschreiben und aus dem Euro-System verstoßen, dann dauert es nicht lange, bis andere folgen. Wer ausscheidet, wird abwerten und den Druck auf andere vergrößern, ebenfalls seine Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen. Wenn es so kommt, dauert es nicht lange, bis Deutschland wegen Überbewertung aus den Exportmärkten entfernt wird.

Der nächste Umfaller wäre Spanien.

Die Griechen stehen aber viel besser da - sie haben in Ausrüstungen und nicht in nutzlose Bauten wie Spanien investiert. Es ist absurd, sich jetzt an Griechenland abzuarbeiten.

Vor wenigen Tagen hat Athen einen Hilferuf an den Internationen Währungsfonds (IWF) und an die EU gerichtet - prompt sind die Zinsen für griechische Staatsanleihen gestern auf über neun Prozent gestiegen, sechs Prozentpunkte mehr als für deutsche Staatsanleihen. Die Notlage Griechenlands wird offenbar ausgenutzt - in wessen Taschen landet das Geld eigentlich?

Klar, da wird schamlos spekuliert. Das Geld fließt z. B. in die Taschen derjenigen Hedgefonds, die vor ein paar Monaten Credit Default Swaps gekauft haben, das sind diese Zockerpapiere, auch Kreditversicherungen genannt. Das Irre ist ja, daß wir die griechischen Bürger dafür bezahlen lassen, daß wir unfähig sind, die Märkte in dem Sinne auszuhebeln, daß wir eine temporäre Finanzierung durch das Euroland zur Verfügung stellen.

Der griechische Finanzminister ist zuversichtlich, daß IWF und EU zu Hilfe kommen. Ist das der einzige Ausweg?

Alleine mit Überbrückungskrediten wird Griechenland es nicht schaffen. Die Regierung in Athen setzt jetzt das auch von Berlin geforderte absurde Restriktionsprogramm durch, um das Staatsdefizit in kurzer Zeit herunterzufahren - das wird die Wirtschaft aber kaputt machen. Sie braucht dringend einen positiven Impuls, etwa durch eine Abwertung. Das geht aber nicht, da Griechenland keine eigene Währung mehr hat. Deswegen führt für alle Mittelmeerländer kein Weg un eine längerfristige außenwirtschaftliche Anpassung herum: Eine faktische Abwertung ist nur über die Löhne möglich. Das heißt, in Deutschland müssen sie deutlich stärker steigen, in Südeuropa weniger stark.

Das Problem sind die Lohnstückkosten, der wichtigste Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit: Wenn wir Deutschland als Bezugsgröße mit 100 ansetzen, dann liegt Griechenland bei 125. Frankreich liegt bei 115 und wird in zwei Jahren das griechische Niveau erreicht haben. Was dann? Es gibt einen interessanten Beschluß der Eurogruppe, in dem die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit angesprochen ist - dem hat Deutschland zugestimmt. Das Problem wird also durchaus gesehen - aber innenpolitisch tut die Regierung so, als habe sie nie davon gehört.

Interview: Peter Wolter

** Aus: junge Welt, 27. April 2010


Finanzhilfe für Athen: Ja, aber ...

Fraktionschefs wollen Beteiligung der Banken an Geld für Griechenland ***

Die Spitzen der Bundestagsfraktionen, der Bundesfinanzminister und die Kanzlerin erklären sich grundsätzlich bereit zu Finanzhilfen an Griechenland - unter Bedingungen. Die EU-Kommission hält sich bedeckt. Sie will das Ergebnis der Beratungen der EU-Finanzminister und der Europäischen Zentralbank abwarten.

Die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen seien grundsätzlich zu einer Milliardenhilfe für das kurz vor der Staatspleite stehende Griechenland bereit. Das erklärte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Montag (26. April) nach einem Treffen in Berlin. Die Hilfe müsse vor dem 19. Mai festgezurrt sein. Zu diesem Datum werden 8,5 Milliarden Euro Anleihen Griechenlands fällig. Voraussetzung für eine Gesetzgebung sei allerdings, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) bis Ende der Woche bei seiner Sondierung der griechischen Haushaltslage zu der Erkenntnis komme, dass Hilfe tatsächlich notwendig sei. Die deutsche Hilfe sei keine Gefälligkeit, sondern trage zur Stabilisierung der Europäischen Währungsunion bei und sei daher im nationalen Interesse, sagte Schäuble.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) knüpfte eine Zusage für die Hilfen an Bedingungen. Griechenland müsse ein »tragfähiges und glaubwürdiges Programm« vorlegen.

Von den rund 30 Milliarden Euro, die die EU-Länder Athen für dieses Jahr zur Abwendung einer Staatspleite in Aussicht gestellt haben, soll Deutschland bis zu 8,4 Milliarden Euro übernehmen. Die Bundesregierung beabsichtigt, dass die Staatsbank KfW die Gelder als Kredite zur Verfügung stellt. Dafür will der Bund eine gesetzlich abgesicherte Ausfallbürgerschaft übernehmen. Erst wenn die Rettung fehlschlagen würde, müsste der Steuerzahler bürgen.

Es sei keine Lösung ohne die Beteiligung der Banken möglich, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Er nannte als Bedingung der SPD für eine Zustimmung zum Gesetzesvorschlag eine Klärung der Bundesregierung, wie sie künftig derlei Devisenspekulationen verhindern wolle. Auch die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Gesine Lötzsch, drang darauf, dass die Banken, die an den Spekulationen mit Griechenland verdient haben, zur Verantwortung gezogen werden. »Es kann nicht sein, dass der Steuerzahler für alle Risiken haftet.« Ähnlich äußerte sich Grünenfraktionschefin Renate Künast. Nach ihren Worten hat Griechenland nicht nur eine Finanzkrise, sondern auch massive Strukturprobleme. Sie verlangte ein klares parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren. Die Vorsitzende der FDP-Fraktion sagte, die Entscheidung für EU-Finanzhilfen sei noch völlig offen, es gebe auch noch keinen Zeitplan.

Die LINKE hat ein Schuldenmoratorium angeregt, um Griechenland eine Atempause zu verleihen. Die Hypo Real Estate (HRE), die Commerzbank und die Deutsche Bank gehörten zu den wichtigsten Gläubigern, sagte Geschäftsführer Dietmar Bartsch am Montag. Deutschland solle ein Schuldenmoratorium vorschlagen. Dann könne die Finanzlage Griechenlands kurzfristig verbessert werden. Aber: »Die LINKE kann und wird nicht einfach Ja dazu sagen.« Die Bundesregierung müsse zunächst »mit großer Offenheit und Klarheit« darlegen, was überhaupt passieren solle. Ein Zusage der LINKEN gebe es bislang noch nicht.

In Athen gingen unterdessen die Gespräche von Experten des IWF, der Europäischen Union und der Europäischen Zentralbank (EZB) mit der griechischen Regierung über das kombinierte Hilfspaket von EU und IWF in Höhe von insgesamt 45 Milliarden Euro weiter. Die gesamte griechische Presse hält noch härtere Sparmaßnahmen für sicher. Das Land müsse eine schwere Last schultern, um aus dem Dilemma herauszukommen.

Die EU-Kommission lässt es indes offen, wann sie ihre Prüfung des griechischen Hilfsantrags abschließen wird. Der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn reagierte am Montag in Brüssel auf entsprechende Fragen ausweichend und verwies auf die gemeinsame Erklärung von Kommission, EZB und der Eurogruppe vom vergangenen Freitag. Es gebe eine »gemeinsame Front« im Hinblick auf die Lage in Griechenland, sagte der Sprecher. Vor einer Entscheidung der Euro-Finanzminister für die europäische Hilfe müssen EZB und Kommission den Antrag bewerten.

*** Aus: Neues Deutschland, 27. April 2010


Hilfstaktik

Von Grit Gernhardt ****

Das hatten sich Bundeskanzlerin Merkel und ihr Außenminister Westerwelle so schön ausgedacht: Mit der Zusage von Finanzhilfen ans finanziell am Abgrund stehende Griechenland wollte man kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen die solidarische Seite von Schwarz-Gelb herausstellen. Eingeplant war dabei jedoch anscheinend nicht, dass Griechenland die Unterstützung auch wirklich in Anspruch nehmen würde - noch dazu vor der NRW-Wahl am 9. Mai. Nun sträuben sich plötzlich die Nackenhaare des Finanzministers bei der Aussicht auf mindestens 8,4 Milliarden Euro zusätzliche Belastung für den - ebenfalls hoffnungslos überschuldeten - deutschen Staatshaushalt.

Doch wie jetzt aus dieser Nummer wieder herauskommen? Nach einem Treffen mit den Fraktionsvorsitzenden aller Bundestagsparteien am Montag meldete Schäuble wenig euphorisch, dass diese zumindest »grundsätzlich« zu Hilfen bereit seien. Am Vortag hatte er noch abwiegelnd erklärt, man sei keineswegs verpflichtet, das Geld bereitzustellen, nur weil die Anfrage jetzt gekommen ist. Die Taktik scheint klar: Abwarten, bis zumindest die Wahl über die Bühne gebracht ist, und dann unauffällig im Bundestag durchwinken.

Unterdessen fürchten viele Griechen weiter um ihre nackte Existenz. Wahltaktische Spielchen aus Deutschland sind da kaum eine Hilfe. Das Geld wird zwar am Ende fließen, den Titel als solidarischer Retter kann Schwarz-Gelb sich aber wohl abschminken.

**** Aus: Neues Deutschland, 27. April 2010 (Kommentar)


Dramatischer Appell aus Athen

Premier ruft Griechen zu Zusammenhalt auf / Bundesregierung tagt geheim *****

In einer emotionalen Rede hat Griechenlands Ministerpräsident Giorgos Papandreou seine Landsleute zum Zusammenhalt aufgerufen: »Griechenland geht durch eine der schwierigsten Phasen seiner Geschichte. Die Beschlüsse, die jetzt gefasst werden müssen, werden von schwerwiegender Bedeutung auch für die kommenden Generationen sein«, sagte er am Dienstag vor der Parlamentsgruppe seiner Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) in Athen. »Lasst uns unser Vaterland neu beleben. Jetzt oder nie«, unterstrich er in der Ansprache, die vom Fernsehen übertragen wurde.

Trotz der schwierigen Lage sollten am Dienstag alle öffentlichen Verkehrsmittel in der Hauptstadt für sechs Stunden lahmgelegt werden. Zahlreiche Gewerkschaften kündigten weitere Streiks für Anfang Mai an. Griechenland ist vom finanziellen Zusammenbruch bedroht. Deswegen hatte Athen die EU und den Internationalen Währungsfonds (IWF) am Freitag offiziell um Hilfe gebeten.

Die Athener Presse spekulierte, dass die Griechen den Gürtel noch enger schnallen müssen, um die dringend benötigten Gelder von EU und IWF zu bekommen. »Zwei Löhne Opfer«, schrieb die regierungsnahe Zeitung »Ta Nea«. »Merkel sagt: Wir geben euch – aber ihr müsst bluten«, hieß es in der linksliberalen »Eleftherotypia«.

Griechenland benötigt bis spätestens Mitte Mai eine Milliardenhilfe. »Das kritische Datum ist der 19. Mai. Bis dahin muss die Unterstützung aktiviert sein«, hatte der griechische Finanzminister Giorgos Papakonstantinou am Vorabend im Parlament gesagt. Athen muss bis dahin eine Milliarden-Anleihe zurückzahlen und die Summe neu finanzieren.

Von EU-Seite hieß es, die Verhandlungen über das milliardenschwere Rettungspaket sollten Anfang Mai abgeschlossen werden. »Die Arbeiten laufen gut«, sagte der Sprecher von Währungskommissar Olli Rehn am Dienstag (27. April) in Brüssel.

Die deutsche Regierung will in einem geheimen Abstimmungsgespräch ihr weiteres Vorgehen in der Griechenland-Krise beraten. Nach dpa-Informationen soll es heute (28. April) nach der Kabinettssitzung ein Treffen unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geben, an dem u. a. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) teilnehmen. Das Finanzministerium arbeite mit Hochdruck an einem Gesetzentwurf für die deutsche Beteiligung an den geplanten Milliarden-Krediten für Athen. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier forderte eine Sondersitzung des Bundestages über die Finanzhilfen für Griechenland. In der »Passauer Neuen Presse« warnte er die Regierung davor, einen Gesetzentwurf durch das Parlament zu peitschen.

***** Aus: Neues Deutschland, 28. April 2010


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