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Abschottung und Gewalt

Amnesty International kritisiert griechische Flüchtlingspolitik

Von Thomas Eipeldauer *

Seit Jahren nimmt die griechisch-türkische Grenze einen Spitzenplatz in der regelmäßig erscheinenden »Annual Risk Analysis« der EU-Grenzschutzagentur Frontex ein. Zehntausende Flüchtlinge versuchen hier jedes Jahr, in die Europäische Union zu gelangen. Wie der Polizeichef der nordgriechischen Gemeinde Orestiada, Pashalis Syritoudis, Ende vergangener Woche der US-Nachrichtenagentur UPI mitteilte, sei es den Behörden des Landes gelungen, die Grenze entlang des Flusses Evros dichtzumachen: »Im Juli 2012 hatten wir 6500 illegale Migranten. Im August waren es nur noch 1800. Im September 71, im Oktober 26, und jetzt kommen gar keine mehr.«

Einen nicht geringen Anteil an diesem Rückgang dürfte der wenige Tage vor Weihnachten fertiggestellte Zaun entlang des Landwegs zwischen Kastanies und Nea Vyssa haben. Errichtet wurde hier eine 10,5 Kilometer lange Sperranlage aus Stahl und Stacheldraht, versehen mit Wärmebildkameras, bewacht von griechischen Polizisten und Frontex-Beamten, die hier im Rahmen der Mission »Poseidon Land« ihren Dienst versehen.

Die Errichtung des Grenzzauns und die im August 2012 angelaufene »Operation Xenios Zeus« – der Codename für willkürliche Massenverhaftungen von Migranten – sind die jüngsten Höhepunkte einer menschenverachtenden Flüchtlingspolitik in Hellas. »Flüchtlinge, Asylbewerber und Migranten sind in Griechenland einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Griechenland hat immer noch kein faires und effektives Asylsystem, und Asylbewerber sehen sich großen Hürden ausgesetzt, um überhaupt ihre Ansprüche geltend machen zu können«, resümiert ein kurz vor Weihnachten erschienener Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) unter dem Titel »Greece – The end of the road for refugees, asylum-seekers and migrants«. In dem Papier dokumentierte Schilderungen von Flüchtlingen legen zudem nahe, daß griechische Behörden mit illegalen Mitteln Menschen am Grenzübertritt hindern. So sei etwa im Juni 2012 auf dem Evros ein Schlauchboot mit sieben Syrern an Bord von einer Polizeipatroullie absichtlich zum Kentern gebracht worden, die Insassen habe man gezwungen, zurück zur türkischen Seite des Flusses zu schwimmen.

Ein anderer syrischer Flüchtling beschreibt seinen ersten Kontakt mit den griechischen Behörden auf der Insel Farmakonisi, auf der es außer einem Militäraußenposten nichts gibt: »Wir waren etwa hundert. Wir mußten auf dem Boden schlafen, ohne Betten oder auch nur Matratzen. Es gab keine Toiletten.« Die Soldaten hätten zudem ihre Waffen eingesetzt: »Um uns einzuschüchtern, begannen sie zu schießen. Sie schossen dreimal in den Boden, zweimal in die Luft, nur wenige Meter neben uns. Die Kinder weinten, wir waren erschrocken und fürchteten um unsere Leben, besonders weil wir ja gerade selbst aus einem Kriegsgebiet kamen.«

Diejenigen, die nicht sofort an der Grenze inhaftiert oder zur Umkehr gezwungen werden, sehen sich immer häufiger rassistischen Attacken ausgesetzt. Hatte bereits im Juli 2012 ein ausführlicher Bericht von Human Rights Watch eine Zunahme fremdenfeindlicher Gewalttaten verzeichnet, weist nun auch ai auf einen »dramatischen Anstieg« von rassistischen Angriffen hin.

»Es sind zwei Seiten einer Medaille«, kommentiert der Athener Aktivist Yannis gegenüber jW. »Die staatlichen Behörden und die Schlägerbanden der Chrysi Avgi haben ja in dieser Frage dasselbe Ziel: Beide wollen so wenig Flüchtlinge wie möglich im Land haben.«

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 02. Januar 2013


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