Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Sieger" nach nur zehn Prozent

Georgiens Präsident Saakaschwili feiert schon zu Beginn der Auszählung angeblichen Erfolg. Die Opposition protestiert

Von Knut Mellenthin *

Nach der Präsidentenwahl am Sonnabend zeichnet sich in Georgien eine neue Konfrontation zwischen Regierung und Opposition ab. Amtsinhaber Michail Saakaschwili feierte sich bereits als sicheren Sieger, obwohl am Sonntag nachmittag erst knapp zehn Prozent der über 3000 Wahlkreise ausgezählt waren. Ein vorläufiges Ergebnis wird nicht vor Montag früh erwartet. Die Opposition sprach schon am Sonnabend von Wahlbetrug und rief ihre Anhänger zu einer eigenen »Siegesfeier« am Sonntag in der Hauptstadt Tbilissi auf. Dem Appell waren bis Redaktionsschluß mehrere tausend Menschen gefolgt.

Wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale waren sogenannte Exit Polls, Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe, veröffentlicht worden. Eine der von vier regierungsnahen Rundfunk- und Fernsehsendern veranstaltete Befragung sah Saakaschwili mit 52,3 Prozent in Führung. Würde sich ein solches Ergebnis bewahrheiten, wäre eine Stichwahl überflüssig. An zweiter Stelle läge der Umfrage der Sender zufolge der Kandidat des aus neun Parteien bestehenden Oppositionsbündnisses, Lewan Gachechiladse. Auf ihn entfielen demnach 28,5 Prozent. Es folgt der Milliardär Badri Patarkatsischwili mit sechs Prozent. Patarkatsischwili hatte kurz vor dem Urnengang nach einer Bestechungsaffäre zunächst den Rücktritt von der Kandidatur angekündigt, war dann aber doch angetreten. Schalwa Natelaschwili von der sozialdemokratischen Arbeitspartei kann nach Angaben der regierungsnahen Medien mit 5,5 Prozent rechnen und Davit Gamkrelidse von der Partei der Neuen Rechten mit 3,6 Prozent. Die einzige Frau unter den Kandidaten, die Vorsitzende der als »prorussisch« geltenden Hoffnungspartei, Irina Sarischwili, käme nur auf 0,4 Prozent.

Am 5. Januar fanden in Georgien parallel zu den Präsidentenwahlen auch zwei Volksabstimmungen statt. Bei der Frage nach dem Termin der Parlamentswahlen sollen sich der Umfrage der Fernsehsender zufolge 63,6 Prozent für einen Urnengang noch in diesem Frühjahr ausgesprochen haben. Das deckt sich mit einer zentralen Forderung der Opposition. Nur 17,7 Prozent hätten für den von der Regierung festgesetzten Zeitpunkt im Herbst gestimmt.

Überraschend ist das Ergebnis der Umfrage für das Referendum über die NATO-Mitgliedschaft. Dieser sollen nur 61 Prozent der Wähler zugestimmt haben, während sich immerhin 15,6 Prozent gegen einen solchen Eintritt in das Militärbündnis aus dem Kalten Krieg aussprachen. Erstaunlich ist das Resultat, weil mit Ausnahme der Hoffnungspartei alle Gruppierungen eine NATO-freundliche Position einnehmen.

Das Oppositionsbündnis bezeichnete die Umfrage der Fernsehsender als Täuschung und verwies auf vermutlich nicht weniger fragwürdige eigene Erhebungen, die Gachechiladse vor Saakaschwili sehen. Oppositionspolitiker sprechen von Mehrfachstimmabgaben, dem Diebstahl bereits ausgefüllter Stimmzettel, Wählereinschüchterung und Fälschungen bei der Auszählung. Letztlich scheinen sich die realistischen Kräfte des Bündnisses unter Führung der früheren Außenministerin Salome Surabischwili jetzt aber darauf zu konzentrieren, eine Stichwahl durchzusetzen. Diese Forderung wird auch von der Neuen Rechten unterstützt, die dem Bündnis nicht angehört und die auch nicht zur Kundgebung am Sonntag aufgerufen hatte.

Saakaschwili war als Held der »Rosenrevolution« -- dem Sturz von Präsident Eduard Schewardnadse -- am 4. Januar 2004 mit sagenhaften 96 Prozent gewählt worden. Der Vertrauensverlust, den er seither erlitten hat, ist unübersehbar, selbst wenn er sich jetzt zum Sieger in der ersten Runde erklären und damit eine neue Konfrontation provozieren sollte.

* Aus: junge Welt, 7. Januar 2008


Georgische Krise

Westen bestätigt Saakaschwili

Von Werner Pirker ** Das Ergebnis der Präsidentenwahlen in Georgien war voraussehbar: daß der Amtsinhaber gewinnen würde und ebenso, daß dieses Ergebnis umstritten sein würde. Der entscheidende Wahlkampf beginnt erst nach den Wahlen. Das ist so in Ländern, wo es keinen -- nach unten vermittelten -- Konsens der Eliten gibt. Da äußert sich die Konkurrenz zwischen den Fraktionen weniger im Werben um Wählerstimmen als im Kampf um die Deutungshoheit über das Wahlergebnis.

Dazu kommt, daß die westlichen Wahlbeobachter mehr sind als bloß Beobachter. Sie wähnen sich im Besitz des letzten Wortes über den rechtmäßigen Verlauf der Abgabe und Auszählung der Stimmen. Als wirksamstes Instrument indirekter westlicher Einflußname erweisen sich die Nachwahl-Befragungen, die, von zumeist westfinanzierten Nichtregierungsorganisationen durchgeführt, de facto zu einer Konkurrenzveranstaltung zur offiziellen Auszählung durch die Wahlkommission geworden sind. Georgiens amtierender Präsident Michail Saakaschwili brauchte sich vor einer von der »Zivilgesellschaft« ausgesprochenen Korrektur des Wahlergebnisses keine Sorgen zu machen. Er verkündete seinen Sieg auf der Grundlage von Wählerbefragungen noch bevor er von der Wahlkommission bekanntgegeben wurde.

In Washington und Brüssel bestand nicht das geringste Interesse, den demokratischen Verlauf der georgischen Wahlen in Frage zu stellen. Entsprechend fielen dann auch die Reaktionen der OSZE-Beobachter aus, die von einem »Quantensprung in der demokratischen Entwicklung der Kaukasus-Republik« sprachen. Denn was in Rußland, von Belarus ganz zu schweigen, als undemokratisch und unfair zu gelten hat, stellt in Georgien »einen Sieg der Demokratie« dar. Obwohl alle an die Adresse des Kreml gerichteten Vorwürfe anläßlich der jüngsten Parlamentswahlen für den Autokraten Saakaschwili noch um einiges mehr zutreffen: der Propagandaeinsatz des Regierungs- und Präsidialapparats zugunsten des Titelverteidigers, obwohl dieser während des Wahlkampfes als Präsident zurücktreten mußte, die bürokratische Einschüchterung von Wählern sowie die Verwendung staatlicher Mittel für Wahlgeschenke. Großzügig hinweggesehen wurde auch über die gewaltsame Niederschlagung der Massenproteste vom vergangenen November, die die Form der »Rosenrevolution« von 2003 angenommen hatten, diesmal allerdings gegen den strahlenden Helden von damals.

Denn Saakaschwili hat dem Land ein neoliberales Programm aufgezwungen, das die Leidensfähigkeit der Bevölkerung weit überforderte. Doch gibt es in Georgien gegenwärtig keine linke Kräfte, die der sozialen Unzufriedenheit eine organisierte Gestalt verleihen könnten. Das macht das Volk zur bloßen Manövriermasse im Kampf zwischen rivalisierenden Clans und Oligarchen. Die wenig überzeugende Alternative hat Saakaschwili noch einmal zum Wahlsieger gemacht. Doch die Ursache der gesellschaftlichen Krise wurde damit nicht beseitigt.

** Aus: junge Welt, 7. Januar 2008 (Kommentar)

Weitere aktuelle Meldungen

Saakaschwili gewinnt Präsidentenwahl in Georgien

Der bisherige Staatschef Michail Saakaschwili hat die Präsidentschaftswahl in Georgien gewonnen. Wie der Vorsitzende der Wahlkommission in Tiflis sagte, entschied der 40-Jährige die Wahl mit 52,8 Prozent der Stimmen in der ersten Runde für sich. Nicht ausgezählt waren demnach lediglich die Stimmen aus 43 Wahlbezirken im Ausland. An zweiter Stelle landete der Oppositionskandidat Lewan Gatschetschiladse mit 27 Prozent. Tausende Oppositionsanhänger hatten zuvor in Tiflis gegen angebliche Wahlmanipulation protestiert. Die OSZE bewertete den Urnengang in der ehemaligen Sowjetrepublik weitgehend positiv.

Um in der ersten Runde zu gewinnen, brauchte Saakaschwili mehr als die Hälfte der Stimmen. Während der Auszählung war er zwischenzeitlich unter die 50-Prozent-Marke gerutscht und nur noch auf 48,55 Prozent der Stimmen gekommen. Saakaschwili hatte sich bereits am Samstagabend zum Wahlsieger erklärt, nachdem ihm Nachwahlbefragungen 52,5 Prozent der Stimmen vorausgesagt hatten.

Die Opposition um Gatschetschiladse beschuldigte Saakaschwilis Lager, Wahlurnen gestohlen und Anhänger zur mehrfachen Stimmabgabe angehalten zu haben. "Uns droht Terror", rief Gatschetschiladse seinen Anhängern bei der Kundgebung in Tiflis zu. Die Proteste in der Hauptstadt verliefen friedlich. Saakaschwilis Gegner kündigten an, mit allen "rechtlichen und politischen Mitteln" gegen das Wahlergebnis vorzugehen, ohne dabei das Land zu destabilisieren.

Nach Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verlief die Präsidentschaftswahl in 93 Prozent der Wahllokale korrekt. Auch wenn es problematische Umstände gegeben habe, seien bei der Wahl grundsätzlich die europäischen Standards eingehalten worden, sagte der Leiter der OSZE-Delegation für Langzeitbeobachtung in Georgien, Dieter Boden, im rbb-Inforadio. "Diese Wahl war nicht glanzvoll, es gab viele Schnitzer, Fehler, Unvollkommenheiten - aber nichts, was uns zu der Aussage bringen kann, hier hat grundsätzlich ein Fälschungsversuch großen Maßstabes vorgelegen", sagte Boden.

Zuvor hatte der OSZE-Delegationsleiter, der US-Kongressabgeordnete Alcee Hastings, gesagt, die Demokratie habe in Georgien "einen triumphalen Schritt gemacht". Die Wahl könne als gültige Willensäußerung des georgischen Volkes gewertet werden.

Quelle: AFP, 7. Januar


Solana: Mögliche Unregelmäßigkeiten bei Wahl in Georgien prüfen

Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana hat eine Untersuchung möglicher Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentschaftswahl in Georgien gefordert. In einer am Montag in Brüssel veröffentlichten Erklärung gratulierte Solana dem georgischen Volk zum friedlichen Verlauf der Abstimmung, fügte aber hinzu: «Die Stimmenauszählung sollte so schnell wie möglich abgeschlossen werden, und allen Berichten über Unregelmäßigkeiten sollte nachgegangen werden.»

Quelle: AP, 7. Januar 2008




Zurück zur Georgien-Seite

Zurück zur Homepage