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Aus alter Freundschaft

EU-Rechte eskalieren Einmischung in die georgische Innenpolitik. Neue Regierung in Tbilissi weist Vorwürfe zurück

Von Knut Mellenthin *

Die EVP – die Fraktion der Rechten im Europa-Parlament, zu der auch die CDU/CDU gehört – setzt ihren Propagandakrieg gegen die neue georgische Regierung fort. In einer Stellungnahme des Präsidiums der Europäischen Volkspartei, die Ende voriger Woche bekannt wurde, heißt es drohend, daß die Unterzeichnung und Ratifizierung des Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Georgien »gefährdet« sei. Dabei war der Vertrag schon mit der alten Regierung praktisch unterschriftsreif ausgehandelt worden.

In Georgien wurde am 1. Oktober vorigen Jahres die Vereinigte Nationalbewegung von Präsident Michail Saakaschwili, die das Land neun Jahre lang allein regiert hatte, abgewählt. Die vom Parteienbündnis Georgischer Traum gestellte neue Regierung unter Premierminister Bidsina Iwanischwili hat begonnen, die kriminelle Hinterlassenschaft des alten Regimes aufzuarbeiten. Wegen Machtmißbrauch, persönlicher Bereicherung und Verletzung der Menschenrechte wird gegen zahlreiche ehemalige Regierungsmitglieder und hohe Funktionäre der Sicherheitskräfte ermittelt.

Die Mißstände waren allgemein bekannt, wurden aber von den westlichen Regierungen, die in Saakaschwili einen wertvollen Verbündeten gegen Rußland sahen und die Beziehungen pflegten, weitgehend ignoriert. Besonders eng waren die Verbindungen der in der EVP zusammengeschlossenen Parteien zum alten Regime. Daran hat sich offenbar auch nach dem Machtwechsel in Tbilissi nichts geändert. Man hält weiter zur Nationalbewegung, die bei der EVP Beobachterstatus hat. Unter der Herrschaft Saakaschwilis habe Georgien »in den letzten Jahren große Fortschritte auf den Gebieten der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Standards« gemacht, heißt es unter grotesker Verdrehung der Realitäten in der Präsidiumserklärung vom 14. März. Doch die neue Regierung habe »besorgniserregende Schritte zurück« getan, die Unabhängigkeit von Justiz und Medien eingeschränkt sowie »das positive Image Georgiens beschädigt«. In diesem Zusammenhang werden zahlreiche Forderungen gestellt, die die Regierung erfüllen müsse, um das »Vertrauen« der EU zurückzugewinnen.

Besonders tut sich bei dieser Stimmungsmache immer wieder der belgische EVP-Präsident Wilfried Martens hervor. Schon eine Woche nach der Wahl hatte er Iwanischwili angegriffen, weil dieser gesagt hatte, er wolle am Ziel der NATO-Mitgliedschaft seines Landes festhalten, auf der anderen Seite aber auch die extrem angespannten Beziehungen zu Rußland normalisieren. Beides zusammen sei gar nicht möglich, wetterte Martens damals. Georgien müsse »sich zwischen Europa und Rußland entscheiden«, sonst könne es weder der NATO noch der EU beitreten.

Die georgische Regierung antwortete am Sonntag mit einem langen Memorandum auf die Polemik des EVP-Präsidiums. Darin ging sie ausführlich auf die Lage nach dem Machtwechsel ein und stellte zudem erneut, wie einige Tage zuvor schon Premier Iwanischwili in einem offenen Brief an die EVP, die Rechtsverletzungen unter dem alten Regime dar. Zutreffend wurde in diesem Memorandum konstatiert, daß die EVP-Erklärung nur schwere allgemeine Vorwürfe, aber nicht ein einziges konkretes Beispiel enthält. Die georgische Regierung kritisiert außerdem, daß die EVP sich ungeprüft den Ansichten Saakaschwilis und seiner Freunde anschließe, aber den Dialog mit ihr vermeide.

Der Streit berührt auch die Berliner Regierungskoalition. Denn die Liberalen, zu denen Außenminister Guido Westerwelle gehört, kooperieren im Gegensatz zur EVP gut mit dem Georgischen Traum, was ihnen bereits scharfe Kritik von Martens eingetragen hat. Zwei Parteien des Regierungsbündnisses haben Beobachterstatus bei der Liberalen Internationalen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. März 2013


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