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Arabischer "Tag der Wut" in Jerusalem

Solidarität mit Gaza, kaum mit der Hamas

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Zu einem »Tag der Wut« hatte die Hamas die Palästinenser für den gestrigen Freitag (3. Jan.) aufgerufen. Und in der Tat kam es am Nachmittag überall im Westjordanland zu Massenprotesten; in Ost- Jerusalem wurden Polizisten angegriffen. Dennoch sind die Palästinenser von einer neuen Intifada noch weit entfernt.

Warten, Kaffee trinken, stundenlang in bitterer Kälte die Lage beobachten -- am Freitag schienen in Jerusalem alle in Langeweile vereint: die Polizisten, die Journalisten, die Gruppen palästinensischer Jugendlicher, die paar neugierigen Touristen, die wissen wollten, was hier, außerhalb des Damaskus-Tores zur Jerusalemer Altstadt, vor sich geht.

Das Freitagsgebet, zu dem Israels Regierung dieses Mal wegen der Operation im Gaza-Streifen nur Männer auf den Tempelberg gelassen hatte, die älter als 45 Jahre sind, um gewaltsame Proteste zu vermeiden, war lange vorbei. Und alle waren sich einig, dass da nichts mehr kommt, dass es den Jugendlichen zu kalt ist, um den »Tag der Wut«, den die Hamas für diesen Tag ausgerufen hatte, Wirklichkeit werden zu lassen.

Bis gegen 14.30 Uhr Ortszeit der Muezzin zum Nachmittagsgebet rief und Bewegung in die Angelegenheit kam: Einige Jugendliche begannen, Parolen gegen Israel zu rufen. Die Polizisten begannen sich zu verteilen. Steine wurden geworfen; ein Jugendlicher, hörte man später, hatte versucht, einen Polizisten mit einem Messer anzugreifen. Die Polizei nahm die Angreifer fest und hielt sich ansonsten zurück: Man werde »null Toleranz« gegen Gewalttäter anwenden, aber die Demonstrationsfreiheit gewährleisten, hatte Israels Polizeichef am Sonntag gesagt: »Wir werden uns auf keine weitere Intifada einlassen. Wir sind seitdem sehr viel reifer geworden.«

Und so wurde es eine kurze Demonstration, kein »Tag der Wut«, eher ein paar Minuten, in denen mehrere hundert Menschen ihren Zorn über die Lage ihn Gaza zum Ausdruck brachten, wie sie es derzeit überall in den arabischen Gebieten westlich des Jordans tun. Der Unmut richtet sich gegen die Regierung Israels, aber auch gegen die Palästinensische Autonomiebehörde.

Für viele Palästinenser sind die Luftangriffe auf Gaza ein Krieg gegen das gesamte palästinensische Volk, und die Führer der Autonomiebehörde sind Verräter, weil sie kaum ein kritisches Wort für die Operation übrig haben -- wohl aus gutem Grund: Der palästinensischen Regierung, die von der Fatah geführt wird, unterstellt man, sie hoffe darauf, dass sie durch Israels Luftkrieg eine lästige Rivalin los wird und der Gaza-Streifen wieder Fatah-Einflussgebiet wird.

Für die Menschen auf der Straße gibt es für letzteres wenig Verständnis, denn sie haben vor allem die dramatischen Bilder im Kopf, die die arabischen Nachrichtensender unaufhörlich aus Gaza auf die Bildschirme liefern. Und dennoch bedeutet das nicht, dass sie jetzt zu Hamas-Anhängern werden. Im Gegenteil, seit der Parlamentswahl im Januar 2006, bei der Hamas die absolute Mehrheit holte, hat sie den größten Teil ihrer Unterstützer im Westjordanland verloren. Der »Mini Iran«, den die radikalislamische Organisation im völlig übervölkerten, bitterarmen Gaza-Streifen errichtet, schreckt die meisten säkularen oder moderat religiösen Palästinenser ab.

Und so fühlt man mit den Menschen, die unter Blockade und Luftangriffen leiden, demonstriert oder schließt die Türen seines Ladens, aber Worte der Solidarität mit der Hamas waren am Freitag nicht zu hören. »Es geht hier gar nicht um die Hamas«, sagte einer der Jugendlichen. »Ich möchte nicht unter denen leben müssen«, erklärte ein anderer, und ein Dritter warf in die Runde: »Wenn es die nicht mehr geben würde, wäre das auch kein Verlust. Wir möchten, dass es unseren Brüdern in Gaza gut geht.« Dann gingen sie nach Hause. Der »Tag der Wut« in Ost-Jerusalem war nach knapp 20 Minuten vorbei.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2009


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