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Westerwelle fordert Ende der Gaza-Blockade

Deutscher Außenminister besuchte Palästinensergebiet / Kein Treffen mit der regierenden Hamas *

Beim ersten Besuch eines deutschen Außenministers im Gaza-Streifen seit vier Jahren hat Guido Westerwelle das Ende der israelischen Blockade des Palästinensergebiets gefordert.

Die im Sommer 2006 verhängte Gaza-Blockade stärke die radikalen und schwäche die moderaten Kräfte, sagte Westerwelle am Montag. Vertreter der im Gaza-Streifen regierenden radikal-islamischen Hamas-Bewegung traf der Bundesaußenminister nicht.

»Es ist inakzeptabel, 1,5 Millionen Menschen zu blockieren«, erklärte Westerwelle. Es sei die Haltung der Bundesregierung und der EU, dass Importe und Exporte wieder zugelassen werden müssten. »Gaza darf von uns und wird von uns nicht vergessen werden«, so der FDP-Politiker.

Israel hatte die Blockade im Juni 2006 nach der Gefangennahme des israelischen Soldaten Gilad Schalit verhängt. Schalit wird immer noch festgehalten. Nach der Machtübernahme der Hamas im Sommer 2007 verschärfte Israel die Abriegelung, die nach internationalen Protesten inzwischen teilweise gelockert wurde. Zuletzt hatte Westerwelles Amtsvorgänger Frank-Walter Steinmeier das Palästinensergebiet im Dezember 2006 besucht. Im Juni hatten die israelischen Behörden Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel die Einreise nach Gaza verweigert.

Westerwelle verlangte von der Hamas die Freilassung von Schalit, für die sich auch der Bundesnachrichtendienst als Vermittler einsetzt. »Wir tun, was wir können, um in dieser Frage hilfreich zu sein«, unterstrich Westerwelle. Genauere Angaben zum Einsatz der deutschen Behörden wollte er nicht machen. Am Sonntag hatte der Außenminister die Familie Schalits getroffen. »Lasst den jungen Mann nach Jahren der Gefangenschaft nach Hause reisen!«, forderte Westerwelle. Es sei ein »Gebot der Menschlichkeit«, dass der Soldat zu seiner Familie zurückkehren könne.

Westerwelle besuchte im Gaza-Streifen eine Schule des Hilfswerks der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge und ein Klärwerk, das derzeit mit Mitteln der deutschen Staatsbank KfW in Höhe von 20 Millionen Euro ausgebaut wird. Der Außenminister sagte weitere Hilfe der Bundesregierung für das Küstengebiet zu, dessen Infrastruktur bei der israelischen Offensive von Dezember 2008 bis Januar 2009 stark beschädigt wurde. »Wasser, Abwasser, Bildung, Ausbildung sind die Schlüssel unseres Engagements.«

Da die Haltung der Bundesregierung zur Hamas bekannt und eindeutig sei, sei ein Treffen im Gaza-Streifen nie geplant gewesen, hieß es aus deutschen Delegationskreisen. Die Führung der Hamas kritisierte Westerwelle. Es sei »beleidigend«, dass internationale Gesandte Treffen mit der Hamas-Führung in dem Palästinensergebiet verweigerten, sagte ein Sprecher der Bewegung. Hamas sei rechtmäßig vom palästinensischen Volk gewählt worden. Die Raketenangriffe radikaler Palästinenser auf Israel verurteilte der deutsche Außenminister »in aller Form«. Dafür gebe es »keine Rechtfertigung«, sagte er bei einem Zwischenstopp in der israelischen Grenzstadt Sderot, in der immer wieder Raketen aus dem Gaza-Streifen einschlagen.

Westerwelle beklagte erneut den Stillstand im Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern, der derzeit vor allem durch die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland behindert wird. Die Stadtverwaltung von Jerusalem hat nach Angaben der israelischen Menschenrechtsgruppe Frieden Jetzt den Bau von mehr als 1300 weiteren Wohnungen im arabischen Ostteil der Stadt beschlossen. Ein Sprecherin der Gruppe nannte den Beschluss eine »große Provokation«.

* Aus: Neues Deutschland, 9. November 2010


Politik auf halbem Wege

Von Roland Etzel **

Der deutsche und damit ein EU-Außenminister im Gaza-Streifen – das ist eine nicht zu unterschätzende politische Geste, noch immer. Guido Westerwelle betrat damit kein diplomatisches Neuland, denn die EU-Außenbeauftragte Ashton aus Großbritannien war bereits im Juli als erste offizielle Repräsentantin der Union nach dem israelischen Krieg gegen Gaza Anfang 2008 in dem unter Blockade stehenden Gebiet.

Westerwelles Partei- und Regierungskollege Niebel war ja noch vor fünf Monaten ein Besuch von Israel aus verweigert worden. Inzwischen, nach weltweiter Empörung über die brutale Kaperung eines türkischen Hilfsschiffes und dem sichtlichen Unbehagen auch engster Freunde darüber, haben Israels Ministerpräsident Netanjahu und seine außenpolitische Speerspitze Lieberman ihre Allmachtsallüren gegenüber dem palästinensischen Ländchen etwas zurückgeschraubt. Insofern hat das jetzige Erscheinen des FDP-Mannes in Gaza keinerlei rebellische Attitüde. Es fällt aber auf, dass er sich mit simplifizierenden Einschätzungen der Problemlage im Nahen Osten der Art zurückhält, wie sie etwa von der Bundeskanzlerin bekannt sind. Er kritisierte deshalb auch die Blockade gegen Gaza und mahnte deren Lockerung an. Das war kein Vorpreschen. Es entsprach dem Tenor einer Bundestags-Resolution zu Gaza, welche im Juli mit den Stimmen aller vertretenen Parteien verabschiedet worden war. Allerdings hatte danach kaum ein deutscher Regierungspolitiker mehr darauf Bezug genommen.

Westerwelles Arrangement mit der politischen Wirklichkeit des Nahen Ostens endet allerdings an dieser Stelle. Mit den Autoritäten des Gaza-Streifens, also der Hamas, will er weiter nicht sprechen. Es hat seinem Kollegen Lieberman sicher große Genugtuung bereitet, dass sich Deutschland trotz einiger neuer Nuancen in seiner Nahostpolitik weiterhin scheut, gewichtige Realitäten zur Kenntnis zu nehmen.

Westerwelle verlangt Verhandlungen, so weit so gut. Welche Aussicht auf Erfolg aber kann einem von ihm verlangten Verhandlungsprozess beschieden sein, wenn einer der wichtigsten Konfliktteilnehmer von vornherein ausgeschlossen wird? Dies gilt auch im Kleinen. Der Außenminister appelliert an die Hamas, den gefangenen israelischen Soldaten Schalit freizulassen. Aber welchen Wert besitzen diese Worte mehr als den einer Fensterrede, wenn er den Adressaten des Appells, auf dessen Gebiet er sich immerhin befindet, nicht einmal zur Kenntnis nehmen will? Mit der Respektierung der Hamas als einer legitimen Vertreterin der Palästinenser hätte Westerwelle mehr für Schalit tun können als mit allen wohlfeilen Empörungsbekundungen aus diesem Anlass. Und – das sollte, wenn es denn hier tatsächlich um ein Gebot der Humanität geht, auch nicht vergessen werden – mit einer gleichzeitigen Forderung nach der Freilassung willkürlich verurteilter Palästinenser aus israelischer Haft wie zum Beispiel des Fatah-Führungsmitglieds Barghuti hätte Westerwelle seinem Anliegen tatsächlich Glaubwürdigkeit verleihen können.

** Aus: Neues Deutschland, 9. November 2010 (Kommentar)


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