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Brüchiger Waffenstillstand - Israelischer Wahlkampf fordert Härte Rotes Kreut kritisiert israelische Angriffe - Hamas gesprächsbereit

Drei aktuelle Beiträge zum Gaza-Konflikt



Schüsse an der Sperranlage

Zwei Demonstranten im Westjordanland verletzt. Israelische Politik setzt im Wahlkampf auf aggressive Haltung in Sachen Palästina

Von Gloria Fernandez *

Ob Gazastreifen oder Westjordanland: Israel setzt, was Palästina betrifft, auf Konfrontation. Diese Position prägt weiterhin und sogar noch zunehmend den Wahlkampf um das Parlament – der Urnengang ist für den 10. Februar angesetzt. So stellte sich der mittlerweile als Favorit für das Amt des Ministerpräsidenten geltende Vorsitzende des reaktionären Likud, Benjamin Netanjahu, am Samstag gegen die »gewaltsame Zerschlagung von ungenehmigten jüdischen Siedlungen im Westjordanland«. Statt einer Kraftprobe bedürfe es einer friedlichen Einigung mit den Bewohnern, die die Ansiedlungen besetzt hielten, sagte Netanjahu.

Der Likud-Chef widersprach damit der – zumindest offiziell behaupteten – Regierungslinie. Israels scheidender Premier Ehud Olmert hatte im November vergangenen Jahres versprochen, den Bau und die Finanzierung von wilden Siedlungen im Westjordanland sofort einzustellen und damit seine bereits 2007 gemachte Zusage erneuert. Allerdings folgten den Worten keine Taten, wie einem Ende vergangener Woche veröffentlichten Bericht der israelischen Friedensbewegung »Peace Now« zu entnehmen ist. Demnach wurden die israelischen Siedlungen im Westjor­danland auch 2008 deutlich ausgebaut. Zugleich ist die Zahl der jüdischen Siedler in dem Palästinensergebiet, die als entscheidendes Hindernis für einen Frieden und die Zweistaatenlösung gelten, auf 285800 gestiegen.

Nach Angaben von »Peace Now« wurden 2008 insgesamt 1518 neue Wohneinheiten – darunter auch Mobilheime – gezählt. 261 von ihnen liegen in den sogenannten Außenposten der Siedlungen. Innerhalb derselben zählten die Beobachter 748 neue feste Wohneinheiten und 509 Mobilheime. 2007 belief sich die Zahl aller neu hinzugekommenen Strukturen dieser Art auf 800. Die neuen Anlagen befinden sich zu 61 Prozent westlich und zu 39 Prozent östlich der Sperranlage, die das Westjordanland von Israel trennt.

Indes gingen die wöchentlichen Proteste gegen den Bau der landraubenden, gigantischen Mauer weiter. Dabei wurden am vergangenen Freitag im palästinensischen Dorf Ni’lin, nahe Ramallah, durch Schüsse von israelischen Soldaten zwei Menschen verletzt: eine 31jährige Schwedin und ein 19jähriger Palästinenser. Wie die internationale Solidaritätsgruppe ISM am Wochenende berichtete, hatte die Frau an einer gewaltfreien Demonstration teilgenommen. Ein israelischer Soldat schoß auf sie aus etwa 50 Meter Entfernung, die Kugel durchschlug ihr rechtes Bein. Der junge Palästinenser aus Ni’lin wurde am Fuß getroffen. Beide Verletzte mußten zur Notbehandlung ins Sheikh-Zaid-Krankenhaus in Ramallah gebracht werden. Augenzeugen berichteten, daß die Schüsse erst nach Ende der Demonstration fielen. Die israelische Armee habe das Feuer auf die abziehenden Menschen eröffnet.

Ulrika Andersson, die betroffene Schwedin aus Göteborg, erklärte: »Ich hatte Glück, daß ich nur in die Wade getroffen wurde. Viele Bewohner von Ni’lin haben in der Vergangenheit durch die israelische Aggression schwerere Verletzungen erlitten, vier wurden getötet. Den Soldaten war bewußt, daß es eine internationale Präsenz bei der Demo gab, und sie haben mich ganz offensichtlich gesehen.«

Nach dem Beginn der Massaker im Gazastreifen am 27. Dezember hat die israelische Armee in mehreren Dörfern in der besetzten Westbank neue Waffen ausprobiert. Dazu gehört die am Freitag in Ni’lin eingesetzte 0.22-Kaliber-Kugel, die kein Geräusch macht, wenn sie abgeschossen wird. Aufgrund des kleinen Kalibers dringt sie leicht in den Körper ein und verursacht innere Blutungen. Seit der Einführung dieser neuen Munition wurden bereits acht Menschen aus den Dörfern Bi’lin, Ni’lin und Budrus durch sie verletzt. In zwei Fällen blieb die Kugel im Knie stecken, in einem anderem wurde einem Demonstranten in den Bauch geschossen, was innere Blutungen verursachte.

ISM schätzt, daß der Bau der israelischen Sperranlage und von Straßen, die nur Israelis benutzen dürfen, das Dorf Ni’lin von 40 Prozent seines Landes abschneiden wird.

* Aus: junge Welt, 2. Februar 2009


Hamas zu Verhandlungslösung bereit

Palästinenser in Gaza für einjährigen Waffenstillstand mit Israel. Voraussetzung ist Öffnung der Grenzen

Von Karin Leukefeld **

Bei Gesprächen in der ägyptischen Hauptstadt Kairo könnte in den nächsten Tagen ein israelisch-palästinensischer Waffenstillstand vereinbart werden. Ägyptische Vermittler legten am Wochenende einer Hamas-Delegation aus dem Gazastreifen einen Vorschlag vor, der von dieser als »positiv« bezeichnet wurde. Über Details könne er nicht sprechen, sagte Ahmed Jussuf, Berater des Hamas-Führers Ismail Hanija Journalisten in Kairo. Man erwarte von Israel am Montag eine Antwort. Angeboten wird ein einjähriger Waffenstillstand, sofern Tel Aviv die Grenzübergänge in den Gazastreifen öffnet. Die Hamas erklärte sich offenbar auch bereit, daß neben möglichen internationalen Beobachtern Sicherheitskräfte der palästinensischen Autonomiebehörde an den Übergängen stationiert werden. Bei einer Sitzung des israelischen Kabinetts lehnte die Hardliner-Außenministerin Zipi Livni das Angebot rundweg ab, während Verteidigungsminister Ehud Barak offenbar bereit war, es zu akzeptieren, berichteten am Wochenende verschiedene Medien.

Am Montag abend (2. Feb.) wurde mit Chaled Meschaal auch die Hamas-Führung aus Damaskus in Kairo erwartet. Meschaal war in Iran mit Außenminister Manuchehr Mottaki und dem geistlichen Führer Ajatollah Ali Khamenei zu Gesprächen zusammengekommen. In einer Pressekonferenz mit Mottaki sagte Meschaal, die humanitäre Hilfe für Gaza und der Wiederaufbau dulde keinen Aufschub und dürften nicht politisiert werden. Als Bedingung für einen Waffenstillstand forderte Meschaal zum wiederholten Mal die Öffnung aller Grenzen nach Gaza und ein Ende der israelischen Blockade. Im übrigen sei »ein Waffenstillstand bedeutungslos, solange die israelische Besatzung« anhalte, wurde Meschaal von der iranischen Nachrichtenagentur IRNA zitiert. Die Öffnung der Grenzübergänge in den Gazastreifen wird auch von Vertretern der Vereinten Nationen, dem US-Vermittler George Mitchell und dem EU-Außenbeauftragten Javier Solana mit Nachdruck gefordert. Der Beauftragte des sogenannten Nahostquartetts, Anthony Blair, wich am Wochenende erstmals von der westlichen Totalisolation der Hamas ab und forderte, sie in Friedensgespräche einzubinden.

Vermutlich schwieriger als die Verhandlungen über den Waffenstillstand werden Gespräche über die mögliche Neubildung einer Regierung der nationalen Einheit der Palästinenser sein. Hintergrund ist der Druck westlicher Staaten, die ihre humanitäre und Wiederaufbauhilfe für Gaza ausschließlich einer Institution übergeben wollen, die vom amtierenden palästinensischen Präsidenten und Fatah-Vorsitzenden Mahmud Abbas kontrolliert wird. Unter den Palästinensern ist dessen Position allerdings geschwächt. Während die Hamas der Meinung ist, daß seine Amtszeit bereits am 9. Januar abgelaufen ist, geht Abbas davon aus, daß sie erst mit den palästinensischen Neuwahlen Anfang 2010 endet. Abbas wird zudem vorgehalten, trotz der auf der Annapoliskonferenz 2008 vereinbarten Wiederaufnahme von »Friedensgesprächen« mit Israel und wiederholten Treffen mit der israelischen Regierung, die Lebenssituation der Palästinenser nicht verbessert zu haben. Im Gegenteil wurden sogar neue israelische Kontrollpunkte im Westjor­danland errichtet und auch der Siedlungsausbau wird fortgesetzt.

Im Vorfeld der Gespräche zwischen Hamas und Fatah hat Abbas den Ton deutlich verschärft. Auf eine Kritik von Meschaal, die PLO sei als palästinensische Organisation »obsolet« geworden und man brauche eine »neue, nationale palästinensische Autorität« reagierte Abbas gereizt. Er werde nicht mit der Hamas verhandeln, solange sie weder die PLO als Institution noch seine Autorität als palästinensischer Präsident anerkenne, wetterte Abbas, nachdem er in Kairo Verletzte des Gaza-Krieges besucht hatte. Abbas warf der Hamas vor, das Leben und die Hoffnungen der Einwohner von Gaza aufs Spiel gesetzt zu haben, nur um den Konflikt mit Israel zu forcieren. Nicht alle Kritiker von Abbas teilen die Kritik der Hamas an der PLO und fordern statt der Auflösung eine strukturelle Reform der PLO.

** Aus: junge Welt, 3. Februar 2009


Israel fliegt neue Angriffe auf Gaza

Weitere »Reaktionen« auf Raketenbeschuß angekündigt. Rotes Kreuz kritisiert Waffeneinsatz gegen Palästinenser ***

Nach Raketenbeschuß aus dem Gazastreifen hat die israelische Luftwaffe am Montag bei einem Angriff in Rafah einen Palästinenser getötet und vier weitere verletzt. Mehrere Luftangriffe folgten der von Ministerpräsident Ehud Olmert ausgesprochenen Drohung, auf palästinensische Angriffe »hart und unverhältnismäßig« zu reagieren. Bereits in der Nacht hatten israelische Flugzeuge eine Polizeiwache sowie mehrere Tunnelanlagen im Süden des Gazastreifens bombardiert. Von dort wurden am Sonntag mehr als zehn Raketen und Granaten auf Israel abgeschossen, wie ein Armeesprecher sagte. Dabei seien ein Zivilist und zwei Soldaten verletzt worden. Grundsätzlich gilt seit dem 18. Januar eine Waffenruhe, die von beiden Seiten getrennt ausgerufen und im wesentlichen beachtet wurde.

Ägypten unternahm einen neuen Anlauf zur Vermittlung einer längerfristigen Waffenruhe. Staatschef Hosni Mubarak konferierte in Kairo zwei Stunden lang mit dem amtierenden palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas und dem saudischen Außenminister Saud Al-Faisal. Am Abend wurde in Ägypten eine Delegation der Hamas erwartet. Diese bekräftigte, einen länger dauernden Waffenstillstand zu akzeptieren, wenn die Grenzübergänge geöffnet und damit die von Israel verhängte Blockade des Gazastreifens aufgehoben würde.

Der Chef des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Jakob Kellenberger, erklärte in Genf, zu einem »aufrichtigen Frieden« gebe es keine Alternative. Angesichts seiner Erlebnisse vor Ort sei er nicht länger bereit, einen »rein humanitären Diskurs« zu führen, sagte Kellenberger. Er kritisierte den Einsatz großkalibriger Waffen in einem so dicht besiedelten Gebiet wie dem Gazastreifen. Die UNO kündigte an, sie werde die israelischen Angriffe auf UN-Einrichtungen während der 22tägigen israelischen Offensive untersuchen.(AFP/jW)

*** Aus: junge Welt, 3. Februar 2009


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