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Todespfeile aus Israel

Von Rüdiger Göbel *

Die israelische Armee hat während des dreiwöchigen Gaza-Krieges neben Phosphorbomben auch andere Waffen einsetzt, deren Verwendung in dichtbesiedelten Gebieten laut Genfer Konvention verboten ist. Nach Angaben der internationalen Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden die rund 1,5 Millionen Palästinenser im Gazastreifen unter anderem mit sogenannten Flechettes attackiert. »Flechettes« sind vier Zentimeter große Metallpfeile mit einer scharfen Spitze und vier Flügelchen am Rumpf. Aufgrund ihrer Konstruktion haben sie eine enorme Durchschlagskraft. Zwischen 5000 und 8000 solcher pfeilförmigen Projektile werden in eine 120-Millimeter-Granate gepackt, die von Panzern verschossen werden. Die Geschosse explodieren in der Luft und streuen die Pfeile mit Hochgeschwindigkeit über ein 300 mal 100 Meter großes Gebiet. »Flechettes« sind keine Präzisionswaffe gegen feindliche Kämpfer. Als Antipersonenwaffen sollen sie vielmehr wie Splitterbomben möglichst viele Menschen auf einmal schwer verletzen oder töten. Ihr Einsatz in bewohnten Gebieten ist nicht erlaubt, betont Amnesty.

Fact-Finding-Teams der Menschenrechtsorganisation haben in den vergangenen Tagen an mehreren Orten in Gaza Beweise für den illegalen israelischen Waffeneinsatz gefunden. In Izbat Beit Hanoun wurden demnach gleich mehrere Flechette-Granaten auf die Hauptstraße gefeuert. Wafa Nabil Abu Jarad, eine 21jährige Schwangere und Mutter zweier Kinder, wurde dabei am 5. Januar getötet. Mehrere Familienmitglieder wurden durch Pfeilprojektile verletzt. Am gleichen Tag wurde im selben Dorf der 16jährige Jaber Abd Al-Dajem von einem Pfeil am Nacken getroffen. Er erlag drei Tage später seinen Verletzungen. Sein Bruder Mizar liegt mit einer feststeckenden »Flechette« im Rücken im Krankenhaus. Am 7.Januar wurden laut Amnesty in Al-Muqharaqa Atta Hassan Aref Azzam und seine Kinder Mohammed (13) und Hassan (2) von »Flechettes« tödlich verletzt. Die Wand hinter ihnen war einer Dartscheibe gleich voller kleiner Pfeile.

Bei der israelischen Militäroffensive zwischen dem 27. Dezember und dem 18. Januar wurden mehr als 1300 Palästinenser getötet und weitere 5000 verletzt. Laut UNO kümmern sich die Krankenhäuser weiterhin um eine große Anzahl von Patienten auf Intensivstationen. Der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, Untergeneralsekretär John Holmes, verglich das Gebiet nach dem dreiwöchigen israelischen Bombardement mit einem »riesigen Freilichtgefängnis ohne Normalität und Menschenwürde«. Vor dem UN-Sicherheitsrat bekräftigte er, die Palästinenser bräuchten »massive humanitäre Hilfe« zum Überleben und zum Wiederaufbau ihrer Wohnhäuser. 90 Prozent seien auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, so Holmes. Für eine angemessene Versorgung sei die Öffnung aller Grenzübergänge zwischen Israel und dem Gazastreifen notwendig.

Israels Regierung beriet am Mittwoch (28. Jan.) erneute Attacken auf Gaza. Verteidigungsminister Ehud Barak sagte einen geplanten Besuch in Washington ab. Bereits in der Nacht hatte die Armee das palästinensische Grenzgebiet zu Ägypten bombardiert. Am Dienstag waren bei einem Hamas-Angriff ein israelischer Soldat getötet und drei weitere verletzt worden. Die neue Eskalation setzt pünktlich zu den ersten Gesprächen des US-Sondergesandten für den Nahen Osten, George Mitchell, ein.

* Aus: junge Welt, 29. Januar 2009


Amnesty-Ermittlungsteam in Gaza

21. Januar 2009 - Ein Ermittlungsteam von Amnesty International hat die Erlaubnis erhalten, in den Gaza-Streifen zu reisen. Das Team hat bereits erste Ermittlungen durchgeführt. Danach hat Israel in dichtbesiedelten Gebieten des Gaza-Streifens weißen Phosphor eingesetzt.

Das Team besteht aus:
Donatella ROVERA, Amnesty-Researcherin zu Israel, Palästinensische Autonomiegebiete, Besetzte Gebiete Christopher COBB-SMITH, Waffen- und Rüstungsexperte von Amnesty International Liz HODGKIN und Brian DOOLEY, Amnesty-Researcher

In einem Kommentar auf Amnesty Internationals Livewire Blog beschreiben die Researcher, wie sie Hinweise auf die weitverbreitete Anwendung von weißem Phosphor in dicht besiedelten Gebieten in und um Gaza-Stadt durch die israelische Armee gefunden haben: "In einer Gasse in Gaza-Stadt sahen wir wie Kinder barfuss um immer noch schwelende Phosphorklumpen herumliefen. Auf dem Dach des Hauses einer Familie fanden wir weitere solcher Klumpen und noch mehr davon auf einer belebten Straße."

Bild der Zerstörung

"Wo immer wir gingen und standen, wir fanden den ganzen Tag über in Gaza-Stadt und deren Umland immer noch mehr zerstörte und beschädigte Wohnhäuser, Moscheen, Schulen und Regierungsgebäude. Manche waren durch die von F16-Kampffugzeugen abgeworfenen Bomben vollständig zum Einsturz gebracht worden, andere waren durch Artillerieangriffe und Raketenschläge unbewohnbar gemacht."

Das Team berichtete auch, dass die Rettungskräfte jetzt endlich in der Lage seien, die Leichen aus den Trümmern der Häuser zu bergen. Bis dahin hatte die israelische Armee ihnen den Zugang verweigert.

In Zaitoun, einem Vorort von Gaza-Stadt, zogen Rettungskräfte die Leichen von Mitgliedern der Familie Sammuni aus den Trümmern ihres Hauses. Sie waren vor zwei Wochen bei israelischen Angriffen getötet worden. Anschließend hatten israelische Soldaten das Haus über ihnen abgerissen. "Die israelische Armee hatte den Rettungskräften trotz wiederholter Anfragen nicht erlaubt, das Gelände zu betreten und die Körper waren in einem Zustand der Verwesung. Der Gestank war unerträglich."

Das Team erfuhr, dass in den verschiedenen Teilen Gazas bereits über 100 verwesende Leichen aus den Trümmern gezogen worden sind. "In Zaitoun gab es dafür nur wenige Hilfsgeräte - die Menschen arbeiteten sich in Gruppen mit Vorschlaghämmern und teilweise mit bloßen Händen vor, um die Toten zu erreichen, die unter dem eingeebneten Beton begraben lagen."

Wohnhäuser als Kampfstellungen

Gleich neben den Trümmern des Wohnhauses der Familie Sammuni fand das Amnesty-Ermittlungsteam Beweise dafür, dass israelische Soldaten Wohnhäuser in Beschlag genommen und als Kampfstellungen benutzt hatten: "Die Soldaten hatten nicht nur Löcher in die Außenwände geschlagen, aus denen sie feuerten, sondern auch das Mobiliar und alles andere in dem Haus mutwillig beschädigt."

Amnesty International hatte bei den israelischen Behörden schon zuvor mehrfach um die Einreise in den Gazastreifen vom Grenzübergang Erez in Israel aus angefragt, aber keine Antwort erhalten. Am Samstag, den 17. Januar 2009, nur wenige Stunden, bevor die israelische Regierung eine Waffenruhe verkündete, traf ein Ermittlungsteam von Amnesty im Gaza-Streifen ein. Die Amnesty-Ermittler werden sich voraussichtlich bis Ende dieser Woche in Gaza aufhalten. Ein Mitglied des Teams hatte zuvor bereits im südlichen Israel Ermittlungen durchgeführt.

Quelle: amnesty international; www.amnesty.de




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