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Ehrenhaftes Patt

Hoffnungszeichen: Von Nordirland lernen heißt vor allem - Nur mit Hamas wird es Frieden geben

Von Lutz Herden *

Nach Jahrzehnten der Gewalt stand Nordirland Ende der achtziger Jahre vor der Alternative: Entweder fortgesetzt in Grausamkeit und Agonie zu versinken oder eine Zukunft auszuhandeln, die davon frei war. Protestanten und Katholiken konnten sich weiter hassen und töten - oder versuchen, einander auszuhalten. Dass es dazu je kommen würde, war nach dem am 10. April 1998 in Belfast geschlossenen Karfreitagsabkommen keineswegs gewiss. Nur eines stand außer Frage, von nun an würde dieser Konflikt nicht mehr ungezügelt von einer Eskalation zur nächsten driften. Alle Konfliktparteien hatten sich verpflichtet, genau das zu verhindern.

Bei allem Verständnis für den Wunsch, einen solchen Friedensprozess als Muster für den Nahen Osten zu empfehlen - Vorsicht ist geboten. Auf jedem Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern lastet ein Alpdruck, der Generationen traumatisiert. Zehntausende von Toten, Hunderttausende von Vertriebenen, Millionen verletzter Seelen bezeugen eine kollektive Tragödie, der sich vermutlich kein Palästinenser entziehen kann, auch wenn er das wollte. Insofern kann es vorerst keinen sicheren Frieden geben - denkbar ist nur ein halbwegs sicherer Waffenstillstand. Es sollte dennoch legitim sein, danach zu fragen, ob Prinzipien und Prozeduren des Friedensprozesses, wie es ihn für Nordirland zwischen 1990 und 1998 gab, auf Palästina übertragbar sind.

Dass es für die Katholiken von Belfast bis Derry in ihrer Sehnsucht nach einer Heimkehr in die Republik Irland überhaupt sinnvoll schien, sich auf Verhandlungen einzulassen, war einer Erklärung des britischen Nordirland-Ministers Peter Brooke geschuldet. Er teilte im November 1990 mit, die Regierung Großbritanniens hege "kein egoistisches oder strategisches oder ökonomisches Interesse daran, die Provinz zu halten".

Wollte sich ein israelischer Premier zu einem vergleichbaren Statement wie seinerzeit Peter Brooke durchringen, müsste dessen Botschaft lauten: Israel hege kein strategisches Interesse mehr an einer Besetzung der Westbank, es werde alle Siedlungen räumen, um Platz für einen lebensfähigen Palästinenser-Staat zu schaffen. Die Existenz Israels sei nicht länger an die Nichtexistenz eines zweiten Staates in Palästina gebunden. An diesen Axiomen werde nicht gerüttelt, wer auch immer regiert in Jerusalem - in der Summe die Conditio sine qua none, um zu verhandeln, anstatt in Feindschaft zu verharren. Ebenso unverzichtbar wäre die Einsicht aller Konfliktparteien: Es kann niemals eine militärische Lösung geben.

Der Weg zum Frieden in Nordirland war geebnet, als Mitte der neunziger Jahre das Nordirland-Korps der britischen Armee davon überzeugt war, die Irisch-Republikanische Armee (IRA) ließ sich weder besiegen noch auslöschen. Es blieb nur ein ehrenhaftes Patt. Im Gegenzug musste die IRA begreifen, es würde ihr auf absehbare Zeit verwehrt sein, die britischen Soldaten durch Attentate soweit zu zermürben, dass sie abziehen. Welche Analogie für die israelischen Streitkräfte sowie die Hamas oder den Islamischen Djihad besteht, liegt auf der Hand. Das Ziel, die palästinensische Résistance mit Gewalt zu zerschlagen, wird auf den gleichen Effekt hinauslaufen wie einst die massenhafte Internierung von IRA-Angehörigen: Eine neue Generation von Kämpfern wächst nach, kompromissloser und unerbittlicher als ihre Vorgänger.

Gerry Adams im Weißen Haus

Mit anderen Worten, bevor überhaupt Verhandlungen beginnen, entscheiden Wille und Vernunft über deren Sinn und Ziel. So war es in Nordirland, so kann es nur zwischen Israelis und Palästinensern sein. Erst dann lässt sich darüber urteilen, was das nordirische Muster für den Nahen Osten taugt, und beispielsweise die Frage beantworten: Könnte ein der Mitchell-Kommission vergleichbares Gremium auch für Palästina nützlich sein? Oder ist das abwegig?

Benannt nach dem Clinton-Vertrauten und US-Senator George Mitchell, war jene Kommission ab 1995 von der britischen und irischen Regierung beauftragt, Wege zu finden, um die nordirischen Kombattanten zu entwaffnen. Die damaligen Premierminister Blair in London und Ahern in Dublin gaben sich mit diesem Mandat nicht nur als Schirmherren einer Konfliktlösung zu erkennen, sie sorgten zugleich dafür, dass eine solche Mission weder der UNO noch der damaligen EG übertragen, sondern personalisiert wurde. George Mitchell gewann den finnischen Ex-Premier Holkeri und den kanadischen General Castelain als Sekundanten. Was sie taten, war unkonventionell. Es half, Feindbilder zu erschüttern und Feindschaften zu entkrampfen. So arrangierte Senator Mitchell für Gerry Adams als Führer der republikanischen Sinn Fein Partei im März 1995 einen Aufsehen und auch sonst erregenden Termin im Weißen Haus. Über Nacht war Adams vom Stigma des Terroristen erlöst und als Verhandlungspartner empfohlen. Wem Präsident Clinton die Hand schüttelte, den durfte auch Tony Blair zum Gespräch über Nordirland bitten, ohne von einer pro-unionistischen Öffentlichkeit zermalmt zu werden.

Wie der Empfang von Adams im Oval Office war einige Monate später, im Januar 1996, auch der erste Bericht der Mitchell-Kommission zur Entwaffnung ein Paukenschlag. Alle nordirischen Parteien wurden zwar aufgefordert, ihre Waffendepots aufzulösen, dies jedoch nicht zur Vorbedingung von All-Parteien-Gespräche erklärt. Viel mehr hieß es, die IRA wie die Paramilitärs der Unionisten sollten zum Auftakt von Verhandlungen erste Bestände ausgemustert haben, um Vertrauen zu schaffen. Zur völligen Demilitarisierung der IRA kam es erst, als das Karfreitags-Abkommen längst unterzeichnet war.

Was ließe sich davon übernehmen? Dass Barack Obama demnächst Hamas-Chef Chalid Maschal zum Vier-Augen-Gespräch empfängt, steht kaum zu erwarten. Was nichts daran ändert, dass es ohne Hamas keinen Frieden geben wird, wie es ohne Sinn Fein und IRA keine Entspannung in Nordirland gegeben hätte.

Und die Mitchell-Mission? Das Nahost-Quartetts, bestehend aus den USA, Russland, der EU und der UNO, versagt nicht nur seit Jahren, es bündelt geradezu kollektives Unvermögen. Emissäre mit einem Mandat und den Freiräumen, wie sie George Mitchell einst ausschöpfen konnte, wären gewiss hilfreicher als ein erstarrtes Quartett, das sich bisher nie genötigt sah, Israel wegen der Blockade des Gazastreifens unter Druck zu setzen, aber andererseits alles tat, Hamas zu dämonisieren und auszugrenzen. Wie anders war da Senator Mitchell mit der IRA verfahren.

Konzessionen belohnen

Sind Verhandlungen aufgenommen, lässt sich die nordirische Lektion in etwa so formulieren: Kurz vor dem Ziel ist die Gefahr des Scheiterns am größten. Dem lässt sich durch ein paradox wirkenden, aber psychologisch wirksames Prinzip begegnen: Man muss alles tun, um die Gegenseite zu stärken, damit die ihr Gesicht wahren kann. Premier Blair und seine Unterhändler waren, kurz bevor das Karfreitags-Abkommen unterschrieben wurde, stets darauf bedacht, Konzessionen nie unbelohnt zu lassen. Als Sinn Fein starke gesamtirische Institutionen wollte und ein nordirisches Parlament ablehnte (da dies die Teilung Irlands verfestigen werde), sich damit aber nicht durchsetzen konnte, wurde als Gegenleistung für den erzielten Kompromiss eine vorzeitige Entlassung aller IRA-Gefangenen zugesichert.

Wer meint, kein israelischer Regierungschef würde sich jemals zu ähnlichen Zugeständnissen durchringen, sollte das außergewöhnliche Interview lesen, das Ehud Olmert am 21. September 2008 gab, als er seinen Rücktritt anbot. "Wir müssen ein Abkommen mit den Palästinensern erzielen, das den Rückzug aus fast allen, wenn nicht allen besetzten Gebieten beinhaltet", sagte er der Zeitung Yediot Achronot. Unglaublich, dass der gleiche Politiker, der doch verstanden zu haben schien, wie es Frieden geben könnte, auch der sein sollte, der kein halbes Jahr später einen barbarischen Krieg führte.

* Aus: Wochenzeitung "Freitag" 04, 23. Januar 2009


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