Rückhalt für Hamas
Staatsbesuch des Emirs von Katar im Gazastreifen
Von Karin Leukefeld, Damaskus *
Mit 90 Tonnen Hilfsgütern und einer 61köpfigen Delegation ist der Emir von Katar, Scheich Hamad bin Khalifa Al-Thani, am Dienstag mittag im palästinensischen Gazastreifen eingereist. Der Konvoi des Emirs wurde am Grenzübergang Al-Arisch von zwei überdimensionalen Bildern von ihm selber und von Ismail Haniye, dem international nicht anerkannten Ministerpräsidenten im Gazastreifen, sowie von schwer bewaffneten Sicherheitskräften der palästinensischen Hamas empfangen und fuhr dann weiter nach Gaza-Stadt. Die mitgebrachte Fracht umfaßt nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan News 40 Tonnen Mehl und 50 Tonnen medizinische Hilfsgüter, außerdem 50 Autos. Während eines mehrstündigen Aufenthaltes wird Hamad von Katar finanzierte Hilfsprojekte im Wert von 250 Millionen US-Dollar einweihen. Vertreter der Fatah wurden nach eigenen Aussagen zu dem Besuch nicht eingeladen.
Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums zeigte sich »erstaunt« über den Besuch. Am Montag hatte ein israelischer Kampfjet das Flüchtlingslager Beit Hanoun im Gazastreifen bombardiert und drei Personen getötet. Ein israelischer Soldat wurde am Dienstag morgen an der Grenze zwischen Gaza und Israel durch einen Sprengsatz schwer verletzt, die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) übernahm die Verantwortung für den Anschlag. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte Vergeltung an.
Der Emir von Katar ist der erste Staatsmann, der den Gazastreifen seit 2007 besucht. Nachdem die Hamas 2006 die Wahlen gewonnen hatte, war der von Israel abgeriegelte Gazastreifen international isoliert. Mit seinem Besuch setzt Al-Thani ein deutliches Zeichen, daß diese Zeit vorbei ist. Nach dem Sieg der Muslimbruderschaft bei den ägyptischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen hat die Hamas sich offener zu ihren Wurzeln in der Bruderschaft bekannt. Die Abwendung der Organisation von ihren bisherigen Unterstützern in Damaskus und Teheran wird nun von Katar gewürdigt. Der langjährige Hamas-Chef Khalid Meschaal hatte Ende 2011 sein Exil in Damaskus in Richtung Doha, der Hauptstadt Katars, verlassen. Inzwischen heißt es, daß Meschaal in der internationalen Koordination der Muslimbruderschaft einen hochrangigen Posten einnimmt.
Der Staatsbesuch unterstreicht auch die Trennung zwischen Hamas und Fatah. Die Wahlen, die von der Fatah am vergangenen Wochenende in der Westbank abgehalten worden waren, brachten der Organisation von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas den erwarteten Sieg. Die Hamas hatte die Abstimmung boykottiert. Die Wahlbeteiligung betrug nach offiziellen Angaben 54,8 Prozent. Allerdings befindet sich die von der Fatah geführte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in einer Sackgasse. Israel weigert sich, auf Grundforderungen wie den Stopp des Siedlungsbaus in der Westbank einzugehen, internationale Finanziers haben ihre Geldspritzen für die PA deutlich reduziert.
Der frühere US-Präsident James Carter sagte am Montag in Jerusalem, der »Friedensprozeß« zwischen Israel und den Palästinensern befinde sich an einem »kritischen Punkt«. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu tue nichts, um die Zwei-Staaten-Lösung umzusetzen. Alles deute darauf hin, daß man sich in Richtung eines »Groß-Israel« bewege, so Carter. Das werde weder »die Sicherheit und demokratischen Rechte der Menschen in Israel« garantieren, noch das Recht auf Selbstbestimmung der Palästinenser. Carter hatte die Westbank im Rahmen einer offiziellen Delegation der »Elders« besucht, einem Ältestenrat aus ehemaligen Präsidenten und Staatschefs. Auch die frühere Ministerpräsidentin Norwegens, Gro Harlem Brundtland, und Mary Robinson, Expräsidentin Irlands und UN-Menschenrechtskommissarin, waren angereist. Brundtland zeigte sich besorgt über Vertreibungen und Hauszerstörungen in Ostjerusalem.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 24. Oktober 2012
Des Emirs Jungfernfahrt nach Gaza
Katar strebt eine eigenständige Rolle im Palästina-Konflikt an
Von Oliver Eberhardt **
Am Mittwoch ist es erneut zu Auseinandersetzungen
zwischen palästinensischen
Kampfgruppen im Gazastreifen
und dem israelischen Militär
gekommen. Am Tag zuvor war der
Emir von Katar in Gaza zu Gast – ein
Besuch, der mäßigend auf die Hamas
wirken soll. Doch die Kritik am Engagement
des Golfstaates ist groß.
Am Wochenende waren fünf Raketen
in israelischen Kommunen
in der Nachbarschaft zu dem
Landstrich unter der Kontrolle der
Hamas niedergegangen; Israels
Luftwaffe flog mehrere Angriffe
gegen Gaza, bei denen zwei Funktionäre
der Hamas getötet wurden.
Am Mittwoch dann wurden
bis zum Nachmittag mindestens 20
Raketen auf israelisches Gebiet
abgeschossen. Israelische Luftangriffe
forderten ein weiteres Todesopfer.
Es sind Eskalationen wie diese,
die Katars Emir Hamad Bin Chalifa
al-Thani gerne verhindern helfen
würde, wie ein Sprecher seines
Außenministeriums in der dortigen
Hauptstadt Doha sagt. Am
Dienstag hatte Scheich Hamad als
erster Staats- oder Regierungschef
überhaupt einen Kurzbesuch im
Gazastreifen absolviert. Zudem
werden Katar und die Hamas Botschafter
austauschen. Und: Das
Emirat wird umgerechnet rund
300 Millionen Euro für die Entwicklung
der Infrastruktur in Gaza
ausgeben. Es sei Zeit, dass die internationale
Gemeinschaft den Dialog
mit der Hamas aufnehme, so
der Sprecher; es sei aber auch Zeit,
dass die Hamas die Verantwortung,
die sich aus ihrer Regierung
ergibt, erfülle: »Die Position unserer
Regierung ist deutlich: Sie
möchte Gewalt verhindern, sie
nicht legitimieren.«
Deutlicher wird der Sender Al
Dschasira, der seinen Sitz in Katar
hat: Doha hoffe, die Hamas in eine
moderatere Position leiten zu können,
und dadurch Israel und
Ägypten dazu zu bringen, die
Grenzen zu öffnen. Dadurch, dass
Katar zudem, wenn auch inoffizielle,
Beziehungen zu Israel unterhält,
hoffe man darauf, künftig
ausgleichend einwirken zu können,
bevor es zum Zusammenstoß
kommt.
Das geschieht nicht ganz uneigennützig:
Etwa 20 Prozent der 1,7
Millionen Einwohner Katars sind
palästinensischer Herkunft; die
dortige Regierung macht sich Sorgen,
dass die Konflikte zwischen
den palästinensischen Fraktionen
auf das Emirat übergreifen oder
die Beziehungen Katars mit Israel
zu Protesten führen könnten.
Doch ob sich die Hoffnungen
erfüllen werden ist unsicher: Israels
Außenminister Avigdor Lieberman
übte heftige Kritik an
Scheich Hamad: Er habe der Hamas
den Schild gereicht, unter
dessen Schutz die Organisation
nun Israel angreife. Und auch der
palästinensische Präsident Mahmud
Abbas äußerte sich kritisch:
Der Hamas Legitimität zu verleihen,
behindere die Bemühungen
um nationale Einheit.
** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 25. Oktober 2012
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