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Diplomatische Feuerwehr ohne Löschzug

USA-Präsident Barack Obama ist im Nahen Osten gescheitert


[Anmerkung: Dieser und die folgenden Artikel sind alle vor dem Abschluss der am Mittwochabend (21. Nov.) vereinbarten Waffenruhe verfasst worden. AGF]

Von Olaf Standke *

Reiseweltmeisterin unter allen USAAußenministern ist sie ohnehin schon, nun muss Hillary Clinton zum Abschluss ihrer Amtszeit noch einmal diplomatische Feuerwehr spielen. Viel zu spät, so Kritiker, eilte sie jetzt von der Tour mit Präsident Obama durch das zum strategischen Schwerpunkt der Supermacht erklärte Asien in den brennenden Nahen Osten.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Jerusalem, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah, Ägyptens Staatschef Mohammed Mursi in Kairo – nach außen drangen nach den Krisengesprächen Hillary Clintons vor allem Allgemeinplätze: Es gehe jetzt um »eine dauerhafte Regelung, die zur regionalen Stabilität beiträgt und den Sicherheitsinteressen und legitimen Forderungen Israels und der Palästinenser Rechnung trägt«, erklärte die USA-Außenministerin gestern. Mit dieser Botschaft war Barack Obama schon zu seiner ersten Amtsperiode im Weißen Haus angetreten und hatte den israelischpalästinensischen Konflikt zur Chefsache erklärt. Mit dem Ziel, den stagnierenden Friedensprozess wieder zu beleben.

Getan hat seine Regierung dafür viel zu wenig. So hat der Präsident Israel oder die Palästinensergebiete in den vergangenen vier Jahren nicht ein einziges Mal besucht. Zwischen ihm und Netanjahu, der alle Washingtoner Forderungen in Sachen Siedlungsbau schlicht ignorierte, herrschte Eiszeit. Das Verhältnis zu den gemäßigten Palästinensern im Westjordanland ist alles andere als gut, und mit der radikal-islamischen Hamas im durch die Blockade wirtschaftlich wie sozial desaströsen Gazastreifen redet man offiziell ohnehin nicht. Nach dem Sturm des »Arabischen Frühlings«, der einst hofierte Diktatoren in die Wüste schickte, stellt sich zudem die Frage nach Freund und Feind in der Region für Washington neu – und findet auffällig ratlose Antworten.

Mit der jüngsten Eskalation der Gewalt steht auch der Friedensnobelpreisträger vor den Trümmern seiner verfehlten Politik. »Der einzige Fehler der ersten Amtszeit, den Obama eingeräumt hat, ist sein Umgang mit dem Nahost- Frieden. Aber einen Plan hat er bisher nicht vorgelegt«, schrieb die Zeitung »Jerusalem Post« nach der Wiederwahl. »Ich werde die Zusammenarbeit mit Präsident Obama fortsetzen, um das grundlegende Bedürfnis der israelischen Bürger nach Sicherheit zu gewährleisten «, ließ Ministerpräsident Netanjahu wissen und beschwor die strategische Allianz zwischen Israel und den Vereinigten Staaten. Die Palästinenser hingegen erhoffen sich nun mehr Druck auf Israel, um über neue Friedensverhandlungen zu einer Zwei-Staaten-Lösung und zum Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 zu kommen, so Chefunterhändler Saeb Erekat. Die Hamas erwartet von Obama ein Ende der einseitigen Parteinahme der USA für Israel. Davon war in den vergangenen Tagen allerdings nichts zu spüren.

Der USA-Präsident verurteilte die »feigen« Raketenangriffe palästinensischer Extremisten aus Gaza scharf und betont immer wieder »das Recht Israels auf Selbstverteidigung«. Selbst gegen eine mögliche Bodenoffensive gab es kaum Einwände, die Entscheidung liege ganz bei Israel, sagte Sicherheitsberater Ben Rhodes. Nach einem Treffen mit US-Generalstabschef Martin Dempsey hatte Israels Verteidigungsminister Ehud Barak zuvor erklärt, dass die bilateralen Sicherheitsbeziehungen »so tief und stark wie seit Jahren nicht mehr« seien. Das war wenige Tage vor Beginn der Luftangriffe auf Gaza, mit »Austere Challenge 12« (Ernste Herausforderung) lief gerade das bisher größte gemeinsame Manöver.

Inzwischen lobt Obama seinen ägyptischen Amtskollegen Mursi, einen islamistischen Muslimbruder, für dessen Vermittlungsbemühungen. Denn auch in Washington fürchtet man durchaus die regionale Kettenreaktion nach einer israelischen Intervention. Charles King Mallory IV., Leiter des Berliner Aspen-Instituts, sieht das größte Problem für eine Konfliktlösung allerdings in der Tatsache, dass Washington keine Direktkontakte mit Hamas habe. Und er glaubt auch nicht so Recht an eine andere Idee, die jetzt ins Spiel gebracht wird: Bill Clinton als Nahost- Sondergesandter. Als USAPräsident war er bei den Friedensbemühungen in der Region so aktiv wie keiner seiner Nachfolger mehr. Doch sei die Verhandlungssituation heute viel unübersichtlicher und schwieriger als vor 15 Jahren.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 22. November 2012


Hoffnung auf Waffenruhe

Bomben und Raketen töteten weitere Menschen in Gaza und Israel

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem **


Dem ägyptischen Außenminister Mohammed Kamel Amr zufolge sollten ab gestern Abend um 20 Uhr die Waffen in Israel und Gaza ruhen. Zuvor waren bei einem Anschlag auf einen Linienbus in Tel Aviv 28 Menschen verletzt und bei Luftangriffen im Gaza-Streifen mindestens 20 Personen getötet worden.

Der Busanschlag ereignete sich auf einer Hauptverkehrsstraße in unmittelbarer Nähe des Verteidigungsministeriums in Tel Aviv: Nach Angaben der Polizei wurden zwei Pakete mit Sprengsätzen in dem Bus deponiert, zwei Personen seien geflüchtet und wenig später festgenommen worden.

Israels Luftwaffe flog am Mittwoch weiterhin Angriffe auf Ziele im Gaza-Streifen, bei denen mindestens 20 Menschen getötet wurden. Zudem wurden erneut Raketen von Gaza auf die israelischen Kommunen in der Nachbarschaft abgefeuert. Dabei starben bereits am Dienstagnachmittag ein Zivilist und ein israelischer Soldat.

In der Nacht zum Mittwoch hatte sich die Ankündigung eines Hamas-Sprechers, um Mitternacht werde ein Waffenstillstand in Kraft treten, als Missverständnis herausgestellt: Tatsächlich hatte sich die Organisation zu einer einseitigen Waffenruhe bereit erklärt, um die formalen Details eines langfristigen Waffenstillstandes später zu vereinbaren. Nachdem Israels Verteidigungsminister Ehud Barak allerdings ankündigte, die Militäroperationen parallel zu den diplomatischen Bemühungen fortzusetzen, war dies hinfällig.

Gestern Abend verkündete dann der ägyptische Außenminister Mohammed Kamel Amr erneut eine Waffenruhe, die ab 20 Uhr gelten sollte. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ließ über sein Büro mitteilen, er wolle der Waffenruhe mit der Hamas eine Chance geben.

In Gaza erschoss eine Gruppe Jugendlicher sechs Männer, die von ihnen beschuldigt wurden, mit Israel kollaboriert zu haben: Sie seien im Besitz von Digitalkameras und Aufnahmegeräten gewesen, so die Begründung der Täter, die eines der Opfer hinter einem Motorrad durch die Straßen schleiften. Welcher Gruppierung die Schützen angehören, ist unklar: Die Hamas erklärte, es handele sich dabei nicht um Kämpfer ihrer Organisation.

Mussa Abu Marsuk, Vizechef des Politbüros der Hamas, verurteilte die Tat. Die Verwaltung in Gaza müsse sicherstellen, dass niemand das Recht in die eigene Hand nehme: »Diejenigen, die diese Tat begangen haben, müssen bestraft werden.«

Iran hat sich unterdessen zur Lieferung von Raketen für die Hamas bekannt.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 22. November 2012


Waffenruhe verweigert

Israel weist Abkommen zurück. Erneut zahlreiche Luftangriffe auf Gazastreifen. Anschlag in Tel Aviv

Von Karin Leukefeld ***


Nach der gescheiterten Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens für den Gazastreifen haben sich Vertreter der Hamas und Israel gegenseitig die Schuld zugewiesen. Hamas-Repräsentanten erklärten, Israel habe einen bereits vereinbarten Text nicht unterschrieben. Tel Aviv dagegen beschuldigte Ägypten, »eine Gruppe von Unterhändlern« habe Vorteile für die Hamas herausschlagen wollen.

Die im Gazastreifen regierende Palästinenserorganisation Hamas will einen israelischen Verzicht auf das gezielte Töten hochrangiger Mitglieder und eine Aufhebung der Blockade, die den Gazastreifen wirtschaftlich stranguliert, erreichen. Israel will sich die Option militärischen Handelns dort erhalten und fordert eine Garantie, daß keine Waffen mehr in das Palästinensergebiet gelangen.

Die israelische Tageszeitung Haaretz berichtete, Verteidigungsminister Ehud Barak sei bereit gewesen, die vorgelegte Vereinbarung zu unterzeichnen. Außenminister Avigdor Lieberman und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hätten sich geweigert.

Da Kairo sowohl Beziehungen zu Israel als auch zur Hamas hat, gilt Ägypten als der einzige Staat, der einen Waffenstillstand vermitteln kann. Weder die USA noch die EU kommen wegen ihrer erklärten einseitigen Unterstützung Israels als Vermittler in Frage. Eine von Indien und Marokko am Dienstag im UN-Sicherheitsrat vorgelegte Erklärung zu Gaza wurde von Washington blockiert. Der Text gehe nicht auf »die zentralen Ursachen« des Konflikts ein, »die Raketen aus dem Gazastreifen«, sagte eine Sprecherin der US-Mission bei den Vereinten Nationen.

Bei einem Anschlag auf einen Bus in Tel Aviv wurden am Mittwoch mittag zehn Personen zum Teil schwer verletzt. Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri sagte: »Hamas segnet diesen Angriff in Tel Aviv und betrachtet ihn als natürliche Antwort auf die israelischen Massaker in Gaza.«

Unmittelbar darauf flog die israelische Luftwaffe neue Attacken auf Gaza-Stadt. Elf Menschen wurden bei diesem und weiteren Luftangriffen getötet. In der Nacht zu Mittwoch hatten Israels Luftstreitkräfte eigenen Angaben zufolge mehr als 100 Orte in Gaza mit Raketen beschossen. Ein Regierungsgebäude der Hamas wurde in Schutt und Asche gelegt. In dem Haus, in dem auch ein Büro des Innenministeriums untergebracht war, wurden Pässe und Ausweise ausgestellt und Reisen nach Mekka organisiert.

Tausende Einwohner des Gazastreifens flüchteten inzwischen vor den israelischen Angriffen in Schulen der Vereinten Nationen. Die israelische Luftwaffe hatte zuvor Flugblätter abgeworfen, in denen sie die Menschen aufforderte, ihre Häuser zu verlassen. Die Zahl der Toten in Israel stieg am Mittwoch auf fünf, im Gazastreifen starben bisher mehr als 150 Menschen.

Eine israelische Armeesprecherin teilte mit, daß aus dem Gazastreifen am Mittwoch mindestens 62 Raketen abgefeuert wurden. 20 weitere seien von dem Abwehrschirm »Eiserne Kuppel« zerstört worden.

Den dritten Tag in Folge hat Israel gezielt Medien in Gaza angegriffen. Mahmud Al-Koumi und Husam Salameh von Al-Aksa TV starben am Dienstag, als eine israelische Rakete ihr deutlich mit »Presse« gekennzeichnetes Fahrzeug zerstörte. Am Mittwoch starb Muhammad Abu Aischa, Direktor des Schulsenders von Al-Quds TV ebenfalls in seinem Auto. Israel gibt an, die Büros würden von der Hamas genutzt, Journalisten weisen das zurück. Ebenfalls angegriffen wurden zwei Hotels, in denen Journalisten untergebracht sind.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. November 2012


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