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Gaza-Aktivistin wird in Israel festgehalten

US-Nahostvermittler Mitchell verhandelt mit Netanjahu

Nach der Aufbringung eines jüdischen Bootes mit Hilfsgütern für den Gazastreifen wird eine deutsche Aktivistin nach Angaben ihrer Anwältin weiter in Israel festgehalten.

Aschdod/Tel Aviv (AFP/dpa/ND). Eine deutsche Gaza-Fahrerin befindet sich noch immer in Haft. Dies sagte die Rechtsanwältin Smadar Ben-Natan am Dienstagabend in der israelischen Hafenstadt Aschdod gegenüber AFP. Die drei anderen ausländischen Aktivisten vom Hilfsboot »Irene« habe Israel ausgewiesen. Die beiden Briten und eine US-Bürgerin befanden sich den Angaben zufolge am Abend auf dem Flughafen von Tel Aviv, von wo aus sie abfliegen sollten.

Das Boot »Irene« war von der israelischen Marine auf hoher See gewaltfrei aufgebracht worden. An Bord befanden sich insgesamt neun Personen -- neben den vier genannten auch fünf Israelis. Diese wurden der Anwältin zufolge vorläufig auf freien Fuß gesetzt, eine Anklage sei bisher nicht erhoben worden.

Die »Irene« hatte unter anderem Schulsachen, Musikinstrumente und Fischernetze an Bord. Die Fahrt war vor allem von der deutsche Organisation Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost und der britischen Gruppe Jews for Justice for Palestinians organisiert worden. Die israelische Marine wertete die Mission als »Provokation«, sie hatte im Vorfeld angekündigt, das Boot zu stoppen.

Die Marine hatte Ende Mai gewaltsam eine Hilfsflotte für den Gazastreifen gestürmt. Dabei wurden neun türkische Aktivisten getötet. Der blutige Einsatz stieß international auf Empörung. Seitdem versuchten außer der »Irene« zwei Hilfsschiffe, in den Gazastreifen zu gelangen, die beide von der israelischen Marine daran gehindert wurden.

US-Nahostvermittler George Mitchell hat einen neuen Anlauf unternommen, die gerade erst begonnenen Friedensgespräche vor dem Scheitern zu bewahren. Mitchell traf am Mittwoch in Caesarea nördlich von Tel Aviv mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu zusammen. Beide Politiker kündigten an, die Friedensgespräche ungeachtet des Streits über den israelischen Siedlungsbau fortsetzen zu wollen.

Die US-Regierung fühle sich weiterhin einem umfassenden Frieden im Nahen Osten verpflichtet, um den Konflikt ein für alle Mal zu lösen, sagte Mitchell. Die Anstrengungen würden unbeirrt und unerschrocken von den Schwierigkeiten, der Komplexität und allen Bodenwellen fortgesetzt.

Nach den Worten von Netanjahu gibt es viel Skepsis, viele Zweifel und viele Hindernisse auf dem Weg zu einem Frieden. »Ich fühle mich weiterhin dazu verpflichtet zu versuchen, ein Friedensabkommen zu erreichen, das Israels Sicherheit und lebenswichtige nationale Interessen garantiert«», sagte der Regierungschef. Die Palästinenserführung will allerdings nicht weiter verhandeln, wenn Israel seine Siedlungsaktivitäten auf besetztem palästinensischem Territorium nicht einfriert.

* Aus: Neues Deutschland, 30. September 2010


Lässt sich die Blockade brechen?

Richard Kuper über die Aktion "Ein jüdisches Boot für Gaza" **

ND: Ihr Boot nach Gaza wurde von der israelischen Marine gestoppt. Sind Sie enttäuscht?

Kuper: Wir hatten natürlich gehofft, dass das Boot nach Gaza durchkommt, denn wir hatten sehr deutlich gemacht, dass es sich um einen gewaltlosen Protest gegen die Blockade handelte und dass unser Boot symbolisch Hilfsgüter für die Menschen nach Gaza bringen sollte. Gleichzeitig ist die Weigerung der israelischen Regierung keine Überraschung. Sie scheint entschlossen zu sein, diese wahnsinnige Blockade von Gaza aufrechtzuerhalten -- eine Kollektivstrafe für die gesamte Bevölkerung und das nur, weil sie Meinungsverschiedenheiten mit der Hamas hat. Auch wir haben Meinungsverschiedenheiten mit dem Regime der Hamas, aber wir sind überzeugt, dass kein Land seine Probleme lösen kann, wenn es ablehnt, Lösungen für einen gemeinsamen Frieden zu finden. Frieden macht man mit seinen Feinden.

Sie hatten ja schon lange vor, ein »Jüdisches Boot nach Gaza« zu schicken. Warum gerade jetzt?

Wir fanden es wichtig, den Druck aufrechtzuerhalten, nachdem das mit der Flottille Ende Mai geschah. Ihr ist Israel mit so abstoßender Brutalität begegnet, dass die Kommission des UN-Menschenrechtsrates, die die Vorgänge untersucht hat, völlig geschockt war über die Gewalt. Nicht nur gegen die Mavi Marmara, sondern gegen alle Boote der Flottille. Wir wollten ein öffentliches, weltweites symbolisches Zeichen setzen, dass Gewaltfreiheit eine vernünftige und angemessene Art des Widerstandes gegen Unterdrückung ist und dass uns die Gewalt der Israelis nicht abschrecken kann.

Es gibt Israelis, die sich der Besatzungspolitik im Land widersetzen. Wie ist es mit Unterstützung bei Juden außerhalb Israels?

Es gibt ein wachsendes Unwohlsein unter Juden in aller Welt darüber, wie Israel sich verhält. Die Leute zögern aber, ihre Kritik zu äußern, nicht zuletzt, weil sie sich Israel sehr verbunden fühlen. Aber immer mehr sind zutiefst irritiert über diesen Staat Israel, der offenbar außer Kontrolle geraten ist und meint, ungestraft handeln zu können. Ein Staat, der keine Verantwortung für seine Taten übernimmt. Wir haben unglaublich viel Unterstützung bekommen, die gesamte Aktion wurde mit freiwilligen, privaten Spenden finanziert. Wir hatten Aberdutzende Leute, die mitfahren wollten. Unsere Aktion scheint einen wunden Punkt bei den jüdischen Gemeinden berührt zu haben, die unzufrieden mit der Politik Israels sind.

Wie wollen Sie weitermachen nach dieser Niederlage?

Ich würde überhaupt nicht von einer Niederlage sprechen! Genau das Gegenteil ist der Fall, unser Projekt hat eine große öffentliche Debatte ausgelöst, und zwar weltweit. Ich wurde vom südafrikanischen Radio interviewt, vom türkischen Fernsehen, Al Dschasira, Moskau TV, weltweit gibt es Interesse und Unterstützung. Natürlich hatten wir nicht die Illusion, dass ein kleines Boot allein die israelische Politik ändern könnte, aber uns ist gelungen, dass weiter über die Blockade und die Besatzung gesprochen wird. Und wir wollen klarmachen, dass Kritik an der israelischen Politik sich nicht gegen Israel richtet oder gar antisemitisch ist. Dieser Vorwurf ist absurd.

Wie geht es den Festgenommenen jetzt?

Alle wurden freigelassen, worüber wir sehr glücklich sind. Außer Edith Lutz, die sicherlich innerhalb der nächsten Tage freigelassen wird. Wir waren vor allem in Sorge um die Israelis, die so mutig waren, sich an der Aktion zu beteiligen. Alle werden ausgewiesen, aber das Boot behalten die Israelis.

Fragen: Karin Leukefeld

** Aus: Neues Deutschland, 30. September 2010


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