Der Gazakrieg als Stellvertreterkrieg gegenüber Iran?
Von Clemens Ronnefeldt *
Am 18. Juli 2008 veröffentlichte der konservative israelische
Historiker Benny Morris in der New York Times einen Artikel, in dem er
u.a. schrieb: "Die Iraner werden sei es aus ideologischen Gründen
oder aus Angst vor einem nuklearen Präventivschlag der Israelis jede
von ihnen gebaute Bombe einsetzen. Darum ist ein israelischer
Nuklearschlag, der die Iraner an ihren letzten Schritten zu einer
Bombe hindert, wahrscheinlich. Die Alternative wäre, es zuzulassen,
dass Teheran seine Bombe hat. So oder so, wäre in jedem der beiden
Fälle ein mittelöstlicher Nuklear-Holocaust vorherbestimmt".[1]
Am 21.8.2008 berichtete die israelische Zeitung "Haaretz" dass der
israelische Verteidigungsminister Ehud Barak bei seinem USA-Besuch
Anfang August 2008 um Tankflugzeuge des Typs Boing 767 gebeten habe,
damit die lediglich sieben im Besitz der Iraelischen Luftwaffe sich
befindenden betankbaren Kampffugzeuge bei Fern-Operationen in der Luft
betankt werden könnten - und damit ihre Reichweite bis nach Iran und
zurück nach Israel reichen würde. Die US-Regierung verweigerte den
Kauf, weil sie - so "Haaretz" - "fürchtete, solch eine Transaktion
könnte als Unterstützung für einen israelischen Angriff auf Iran
interpretiert werden".[2]
Die US-Regierung verweigerte bisher ebenfalls die Überflugrechte für
israelische Kampfflugzeuge über Irak. Gleichzeitig konnte Iran aus
Russland importierte Flugabwehrraketen in Empfang nehmen, die als
effektive Waffen gegen US- wie auch gegen israelische Angriffe gelten:
"Es gibt Anzeichen, dass die Installation der S-300 in Iran bereits
vor zwei Wochen begonnen hat. ... Ein hoher israelischer Emissär, der
sofort nach Moskau eilte, erreichte offenbar nichts. Wie es aus
anderen Quellen heißt, wollen die Russen angeblich S-300 auch um den
syrischen Hafen Tartus stationieren, um diesen für ihre Schiffe zu
sichern" (Südd. Zeitung, 23.12.2008).
Mit der baldigen Inbetriebnahme des Atom-Reaktors im iranischen Busher
läuft zudem die Zeit für einen Präventivschlag ab; nach dem Anlaufen
des Atomkraftwerkes würden US-Soldaten in Irak und Afghanistan bei
einer Bombardierung einem radioaktiven fallout ausgesetzt. Barak Obama
wurde für seine signalisierte Dialogbereitschaft gegenüber Iran von
israelischer Seite bereits heftig kritisiert. Die israelische Führung
erkannte spätestens am 4.11.2008, dass mit der Wahl des neuen
US-Präsidenten die notwendige Unterstützung für einen israelischen
Angriff auf Iran in absehbarer Zeit nicht zu bekommen sein wird.
Im engen Zeitfenster vor dem Amtsantritt von Barak Obama war der am
27.12.2008 gestartete Nahost-Krieg eine der letzten Möglichkeiten der
israelischen Führung, Iran, dessen verlängerter Arm über Hisbollah und
Hamas direkt bis an die Grenzen Israels reicht, eine indirekte
"Abschreckungs-Botschaft" zu senden - mit furchtbaren Konsequenzen für
die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen.
Richard Falk, UN-Sonderbeauftragter für die Menschenrechte in den
besetzten palästinensischen Gebieten und ehemaliger Professor an der
Princeton Universität (USA) für Internationales Recht, bilanziert:
"Zwei Schlüsse sind daraus zu ziehen: Die Menschen in Gaza werden
streng bestraft aus Gründen, die weitab von den Raketen und der Frage
der Grenzsicherheit liegen, scheinbar um die Wahlchancen der
gegenwärtigen Führer zu verbessern, denen jetzt eine Niederlage
bevorsteht, und um andere in der Region zu warnen, dass Israel
übermächtige Gewalt einsetzen wird, wann immer seine Interessen
bedroht sind".[3]
Anmerkungen zu Regionalen und Geopolitischen Hintergründen
Vor allem die Regierungen in Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien
unterstützen überwiegend die Fatah im Bruderkampf gegen Hamas, weil sie
den wachsenden Einfluss Irans in der Region eindämmen möchten -
wenngleich auch vor allem Ägypten und Saudi-Arabien Versuche zur
Beilegung des innerpalästinensischen Bruderkrieges unternommen haben.
Israel wusste schon vor dem Angriff, dass sich der Protest aus den
genannten arabischen Nachbarstaaten beim Sturz der Hamas in Grenzen
halten würde. Die Operation "Gegossenes Blei" hat so auch zu einer
Spaltung innerhalb der arabischen Liga geführt, ebenso zu einer
weiteren Verschärfung der Spannungen zwischen dem
schiitisch-persischen Iran und den beiden wichtigsten
sunnitisch-arabischen Ländern der Region, Saudi-Arabien und Ägypten.
Die Regierung in Kairo möchte nicht in die "israelische Falle" tappen
und durch die Öffnung der Rafah-Grenze die Verantwortung für den
Gazastreifen übernehmen, die Israel am liebsten abschieben würde.
Nach dem Absturz der US-Regierung als alleiniger Supermacht wegen des
Irak- und Afghanistan-Desasters inklusive eines 1,2 Billionen
US-Dollar Haushaltsdefizites spielt das rohstoffreiche Russland -
insbesondere auch nach dem Georgien-(Pipeline-Interessen)-Krieg - eine
zunehmend wichtigere Rolle im Nahen und Mittleren Osten, wo Moskau
über Länder wie Syrien oder Iran seine geostrategischen Interessen
wahrt. Die Bombardierung des Gazastreifens trägt somit auch einige
Züge eines Stellvertreterkrieges wie in den Zeiten des "Kalten
Krieges", ausgelöst letztendlich durch die US-Invasion 2003 im Irak,
ohne die Iran nicht zu seiner derzeitigen Stärke als aufsteigende
Regionalmacht und Widerpart Israels gekommen wäre.
Nachwort
Der UN-Sonderberichterstatter Richard Falk hat den Internationalen
Strafgerichtshof angerufen, um gegen die Israelische Führung wegen
möglicher Verletzungen des Internationalen Kriegsrechts zu ermitteln.
Er tat dies bereits am 9.12.2008, weil er in der Abriegelung des
Gazastreifens "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sah. Während
Bundeskanzlerin Merkel nach wie vor die alleinige Schuld an der
Nahost-Eskalation bei den Palästinensern sieht, warf Mitte Januar
2009 EU-Kommissar Louis Michel Israel vor, gegen das Völkerrecht zu
verstoßen. Es wird höchste Zeit, dass die Bundesregierung nicht mehr
länger Teil des Nahost-Problems bleibt, sondern an dessen Lösung
mitarbeitet.
Fußnoten-
http://www.nytimes.com/2008/07/18/opinion/18morris.html), dt.
Übersetzung: Ellen Rohlfs.
- http://www.haaretz.com/hasen/spages/1013735.html), dt. Übersetzung:
Ellen Rohlfs.
- www.uni-kassel.de, dt. Übersetzung: Dr. Angelika Schneider
Freising, 15.1.2009
* Clemens Ronnefeldt Referent für Friedensfragen beim Internationalen
Versöhnungsbund - Deutscher Zweig
Zurück zur Gaza-Seite
Zur Israel- Seite
Zur Iran-Seite
Zurück zur Homepage