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Beharrlicher Kurs auf den Gaza-Streifen

Hilfs-Flottille vor Aufbruch / Debatte um Vorfälle vor einem Jahr

Von Martin Lejeune, Athen *

Unmittelbar vor dem am Montag oder Dienstag (27. oder 28. Juni) geplanten Auslaufen der »Gaza Freedom Flottilla II« spitzten sich die Auseinandersetzungen um die von den Organisatoren zur Hilfsaktion erklärten Mission weiter zu.

Das Auswärtige Amt hat für den Gaza-Streifen jetzt eine Reisewarnung herausgegeben, ausdrücklich unter Verweis auf die »Gaza Freedom Flottilla II«. »Eine Eskalation der Lage in der Region sollte dringend vermieden werden«, hieß es in einer Antwort auf ND-Anfrage. »Mit dem Vorhaben (der Durchbrechung der Gaza-Blockade – d.R.) sind erhebliche politische Risiken, aber auch persönliche Risiken für die Teilnehmer verbunden. Wir raten daher ebenso wie unsere Partner in der EU nachdrücklich von der Beteiligung an einer erneuten ›Gaza-Flottille‹ ab.« Die Bundesregierung setze sich für eine umfassende Öffnung des Gaza-Streifens für den Personenund Warenverkehr entsprechend der Resolution 1860 des UNO-Sicherheitsrats ein, hieß es ausdrücklich in der Stellungsnahme des Berliner Außenministeriums.

Die Organisatoren der Flottille, darunter auch die »Deutsche Initiative zum Bruch der Gazablockade« mit Sitz in Berlin, die ein eigenes Schiff gechartert hat, wollen trotzdem an ihrem Vorhaben festhalten. Die Veranstalter betonen, dass die Schiffe rein humanitäre Hilfsgüter in den von Israel belagerten Gaza-Streifen bringen würden. An Bord sind den Angaben zufolge hunderte Passagiere, darunter Politiker, Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Journalisten internationaler TV- und Radiosender und vieler Tageszeitungen. Ebenso sollen Vertreter verschiedener Religionen mit dem Hilfskonvoi unterwegs sein. Die Aktivisten versammeln sich am Wochenende auf der griechischen Insel Korfu.

Die Flotte werde sich »beharrlich« auf den Weg machen, »trotz der Drohungen der israelischen Regierung, sie mit jedem Mittel, und in Erinnerung an die schrecklichen Vorfälle vom letzten Jahr, sogar mit Gewalt zu stoppen«, hieß es in der Einladung der griechischen Mitorganisatoren zu einer Pressekonferenz. Beim ersten Versuch eines Durchbruchs zum Gaza-Streifens auf dem Seeweg vor einem Jahr hatte die israelische Marine die Schiffe angegriffen und neun Teilnehmer getötet.

Bis heute wird darüber diskutiert, ob Teilnehmer der damaligen Hilfsflottille nicht doch – entgegen ihren Angaben – zumindest mit Hieb- und Stichwaffen bewaffnet waren bzw. Ausrüstungsgegenstände in diesem Sinne bei dem von der UNO als unverhältnismäßigen und illegal eingestuften Angriff der israelischen Soldaten benutzten. Matthias Jochheim vom der internationalen Ärzteorganisation IPPNW, der seinerzeit auf dem Hilfsschiff »Mavi Marmara« mitfuhr, erklärte gegenüber ND, dass zumindest ein israelischer Soldat durch Stichwunden schwer verletzt wurde. Wie es von den Organisatoren der aktuellen Mission hieß, müssten sich alle Teilnehmer schriftlich zum Gewaltverzicht verpflichten.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2011


"Wir sind Pazifisten"

Linkspartei-Mitglied Elfi Padovan über ihre Teilnahme am Hilfskonvoi **


Die pensionierte Kunsterzieherin ELFI PADOVAN sitzt im Vorstand des LINKE-Ortsverbandes München-Süd und nimmt an der zweiten Gaza-Hilfsflottille teil. Mit der Pazifistin sprach für das Neue Deutschland ND-Redakteur FABIAN LAMBECK.

ND: Sind sie an Bord als Privatmensch oder Mitglied der LINKEN?

Padovan: Ich bin dort im Auftrag des Bundesarbeitskreises der LINKEN »Gerechter Frieden in Nahost«. Ich engagiere mich seit 40 Jahren in der Friedensbewegung. War auf fast jeder Anti-Nazi-Demo und so ziemlich jeder Befreiungsfeier im ehemaligen KZ Dachau. Als LINKE ist es mir natürlich ein Anliegen, Missverständnisse zurechtzurücken, die durch den letzten Fraktionsbeschluss vom 7. Juni entstehen könnten.

Sie spielen auf den Fraktionsbeschluss gegen Antisemitismus an, der Mandatsträgern der Fraktion und deren Mitarbeitern die Teilnahme am Gaza-Hilfskonvoi quasi untersagt?

Ja. Da wird unser Engagement fälschlich als Antisemitismus verdächtigt. Dabei ist ein humanistisches Eintreten gegen Unrecht doch ein Erkennungsmerkmal der LINKEN. In dem Beschluss wird etwas in einen Topf geschmissen, was nicht zusammengehört.

Die Befürworter des Beschlusses argumentieren, dass unter den Unterstützerorganisationen der ersten Gaza-Flottille auch islamistische Organisationen gewesen seien. Zudem sei auch »Tod den Juden« skandiert worden.

Das ist eine Fälschung. Ich habe mir ja auch letztes Jahr jenes Video angesehen, das dann später als Fälschung entlarvt wurde. Ich war geschockt. Da kam auch ein Ruf »Go back to Auschwitz«, und ich habe mich sofort kundig gemacht. Das hätte ich als Teilnehmerin am Hilfskonvoi auf keinen Fall geduldet und hätte mich ausgeklinkt. Aber das Video entpuppte sich später als Fälschung.

Trotzdem. Wie können Sie als Teilnehmerin sicherstellen, nicht zum Spielball von Islamisten zu werden? Und wie kann man reagieren, wenn es an Bord zu antisemitischen Ausfällen kommt?

Ich kenne die Bewegung hier, da sind keine Antisemiten oder Islamisten dabei. Und wenn es an Bord dazu kommen würde, würde ich nicht mitmachen.

Aber was tut man in so einem Fall? Still bleiben?

Nein. Ich kann laut sagen, dass es so nicht geht. Das mache ich ja hier auch die ganze Zeit. Wir haben von der israelischen linken Friedensbewegung einen Brief erhalten, der uns dazu ermutigt, mit dem Konvoi gegen das Unrecht in Gaza zu protestieren, und an der Seite der israelischen Friedensbewegung für gerechte Verhältnisse zu kämpfen.

Werden auch israelische Aktivisten an Bord sein?

Das hoffe ich doch.

Wie werden die Entscheidungen an Bord eigentlich getroffen? Etwa in dem Fall, dass die israelische Marine ein Abdrehen der Flotte verlangt. Wer entscheidet in solchen Situationen, ob man sich widersetzt oder beidreht? Gibt es so etwas wie ein Plenum?

Denke ich mal, ja.

Aber sie wissen das nicht genau?

Nein.

Es kann also durchaus passieren, dass gegen Ihren Willen entschieden wird, trotz israelischer Anweisungen weiterzufahren?

Ich denke, das wird die israelische Marine verhindern.

Und Sie haben keine Befürchtung, dass Personen an Bord sein könnten, die die Konfrontation mit den Israelis suchen?

Nein.

Wie reell ist die Gefahr, dass sich die Vorgänge vom letzten Jahr wiederholen? Setzt man sich in der Friedensbewegung damit auseinander?

Ja, selbstverständlich. Wir sind eine absolut friedliche Gruppe, die keinesfalls zu aggressiven Mitteln greifen wird. Wir sind Pazifisten. Ich wüsste keinen Grund, warum da wieder in dieser überzogenen Art reagiert werden sollte.

Wie wird die Aktion diesmal enden?

Das ist sehr schwer zu sagen. Ich weiß, dass schon ein israelisches Gefängnis mit Palästinensern geräumt wurde, damit für uns Platz ist.

Was bringt die Aktion eigentlich, wenn schon jetzt klar ist, dass Israel mit allen Mitteln verhindern wird, dass der Hilfskonvoi den Gaza-Streifen erreicht?

Es geht uns als Friedensbewegung ja auch darum, das Problem wieder ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu bringen.

Auch um den Preis, dass es wieder Tote gibt?

Nein, ich hoffe nicht, dass wieder Menschen sterben müsse

** Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2011


Diplomatischer Streit um Gaza-Flottille

Griechenland soll Schiffe aufhalten

Von Anke Stefan, Athen ***


Die »Gaza Freedom Flottilla II« wird in den nächsten Tagen von Griechenland aus nach Gaza aufbrechen. Der Druck auf die Veranstalter und die griechische Regierung wächst. Innerhalb der nächsten Woche wird die »Gaza Freedom Flottilla II« von Griechenland aus aufbrechen. So heißt es jedenfalls in der »Einladung zur letzten Pressekonferenz vor dem Auslaufen«, die am Freitag (24. Juni) für Montag (27. Juni) von den Mitorganisatoren der Initiative »Ein Schiff für Gaza« in Athen an die griechische Presse versandt wurde. Der Zeitpunkt, die Besatzung und die Häfen, von denen aus die insgesamt zehn Schiffe starten, sollen geheim gehalten werden.

Denn der Druck auf die Veranstalter und den griechischen Staat, die humanitäre Hilfe transportierende und auf die Isolation der Bevölkerung im Gaza-Streifen aufmerksam machende internationale Flotte gar nicht erst abfahren zu lassen, ist groß. Sowohl die israelische als auch die US-amerikanische Botschaft stünden in dieser Angelegenheit seit Tagen in Kontakt mit dem griechischen Ministerpräsidenten, berichteten mehrere große Tageszeitungen des Landes in den vergangenen Tagen. Den Meldungen zufolge sollen »hohe Funktionäre im Kongress in Washington« Giorgos Papandreou direkt aufgefordert haben, den Schiffen keine Auslaufgenehmigung zu erteilen.

Das griechische Außenministerium dokumentierte in einer Pressemitteilung vom Mittwoch (22. Juni) die Ansicht des UNO-Generalsekretärs Ban Ki Moon, nach der »die humanitäre Hilfe für Gaza über die offiziellen Kanäle zu laufen hat«. Ban Ki Moon habe die UNO-Mitgliedstaaten und die Mittelmeer- Anrainerstaaten aufgefordert, »Unternehmen zu entmutigen, die die Gefahr einer gewalttätigen Eskalation in sich tragen«. Seitens des griechischen Außenministeriums wird darauf verwiesen, dass man den Schiffen das Auslaufen nicht verbieten könne, da offiziell niemand Gaza als Anlaufziel angegeben habe.

Der israelische Staat scheint fest entschlossen zu sein, die Schiffe auch diesmal am Erreichen ihres Ziels zu hindern. »Israel ruft alle Staaten auf, zu tun was sie können, um die Flotte an der Umsetzung ihrer Mission zu hindern und ihre Bürger vor den Gefahren zu warnen, die eine Teilnahme an derart schädlichen Unternehmen mit sich bringen«, wird der neue israelische Botschafter bei der UNO, Ron Prosor, in der griechischen Presse zitiert. »Wir werden das durchziehen, um die Überführung von Raketen zu verhindern, die später auf Israel abgefeuert werden.«

*** Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2011


Auf alles gefaßt

In griechischen Häfen bereiten sich Aktivisten aus 40 Ländern darauf vor, die israelische Seeblockade zu durchbrechen

Von Peter Wolter ****


Ein wenig mulmig ist wohl allen, die am Montag (27. Juni) mit zehn Schiffen versuchen wollen, die israelische Blockade des Gaza­streifens zu durchbrechen, um die dort lebenden Palästinenser mit dringend benötigten Hilfsgütern wie Medikamenten, Krankenhausausstattung und Baumaterial zu versorgen. In diversen griechischen Mittelmeerhäfen bereiten sich zur Zeit Aktivisten aus schätzungsweise 40 Ländern auf die Reise vor, die mit Sicherheit zu einer Konfrontation mit der Marine Israels führen wird. Es ist erst gut ein Jahr her, daß die erste Gaza-Flottille mit einem Massaker endete: Israelische Soldaten erschossen auf der »Mavi Marmara« neun Männer und verwundeten etwa 50 weitere. Mindestens sechs der Toten waren nach Erkenntnissen einer Untersuchungskommission der UNO kaltblütig ermordet worden.

Kein Teilnehmer dieser neuen Solidaritätsfahrt zweifelt daran, daß Israel auch dieses Mal nicht davor zurückschreckt, die Schiffe in internationalen Gewässern zu überfallen. Piraterie nennt sich das – die Besatzungen der angegriffenen Schiffe wären völkerrechtlich durchaus legitimiert, sich mit allen Mitteln zu wehren. »Alle Mittel« scheiden aber aus, wenn man eine Eskalation wie 2010 verhindern will.

Friedlich soll die Aktion verlaufen – Widerstand ja, aber gewaltlos. Und das wird erst einmal zwei Tage lang geübt. Die 45 Aktivisten, die auf der »Tahrir« fahren, bereiten sich im Konferenzraum eines Hotels vor – benannt ist das nur 25 Meter lange Schiff nach dem zentralen Platz in Kairo, auf dem die Demonstrationen stattfanden, die schließlich im Februar den Staatspräsidenten Hosni Mubarak zu Fall brachten. Die Teilnehmer kommen aus Australien, Belgien, Kanada und Dänemark – nur einer, der Autor dieses Beitrags, ist aus der BRD. Zwei der Aktivisten waren schon auf der »Mavi Marmara« dabei, einer trug eine Schußwunde davon. Die Berufe sind sehr unterschiedlich: Unter den Mitreisenden sind etwa Ärzte, Ingenieure, Rentner, Sekretärinnen, Lehrer und Hausfrauen.

Von Antisemitismus, wie es die israelische Propaganda und ihre »antideutschen« Papageien darstellen, ist keine Spur zu finden, niemand stellt das Existenzrecht Israels in Frage. Auch Sympathien für die im Gazastreifen herrschende Hamas sind nicht zu entdecken. Es ist die humanitäre Zivilgesellschaft, die sich in wenigen Tagen auf den Weg nach Palästina macht. »Wir sind nicht solidarisch mit der Hamas, sondern vor allem mit den Frauen und Kindern im Gazastreifen. Zivilisten helfen Zivilisten«, umschrieb es eine Kanadierin.

Auch die Finanzierung der Aktion ist durchsichtig – anders als es Linken-Fraktionschef Gregor Gysi zur Begründung seines Maulkorb-Erlasses vom 7. Juni anführte. Die »Tahrir« z. B. wurde vorwiegend mit Spenden kanadischer Privatleute erworben. Die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft, die ebenfalls eher Distanz zur Hamas hält, gab 10000 Euro hinzu – das damit erworbene Anrecht auf einen Platz trat sie an die junge Welt ab.

Wie am Freitag (24. Juni) bekannt wurde, wird sich auf einem anderen Schiff Elfi Padovan, Gründungsmitglied des Bundesarbeitskreises Gerechter Frieden in Nahost der Partei Die Linke, an der Freedom-Flottilla II beteiligen. »Als deutsche Antifaschistin habe ich aus dem Holocoust gelernt, daß sich jeder mitschuldig macht, der Unrecht tatenlos zusieht«, erklärte die frühere Kunsterzieherin, die auch dem Vorstand der bayerischen Landesarbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik angehört.

**** Aus: junge Welt, 25. Juni 2011


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