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Gaza-Schiffe bleiben im Hafen

Koordinierungskomitee hat in Athen offenbar Verschiebung der Überfahrt beschlossen

Von Martin Lejeune, an Bord der »Stefano Chiarini« in Gouvia *

Die in Griechenland festgehaltenen Schiffe der diesjährigen Gaza-Hilfsflotte sollen offenbar zu einem späteren Zeitpunkt ihre Fahrt zu dem palästinensischen Gebiet antreten. Das europäische Schiff »Stefano Chiara« wartet dennoch weiter auf eine Auslaufgenehmigung der Behörden.

Wie ND am Mittwoch (6. Juli) aus Athen erfuhr, hat das Koordinierungskomitee aller Schiffe der Gaza-Flotte in griechischen Häfen in einer Sitzung in der Nacht zu Mittwoch beschlossen, dass die Schiffe ihre Fahrt nach Gaza erst zu einem späteren Zeitpunkt aufnehmen sollen. Für die »Stefano Chiarini« bedeutet dies, dass sie auch am heutigen Donnerstag nicht auslaufen kann – selbst wenn sie von den Behörden die Erlaubnis dafür bekäme. Die Entscheidung des Komitees wurde bisher nicht einmal dem Kapitän der »Stefano Chiarini« mitgeteilt, der sich am Mittwoch noch immer um eine Auslaufgenehmigung bemühte.

Die Mehrheit der verbliebenen Passagiere der »Stefano Chiarini« ist fassungslos über die in Athen getroffene Entscheidung. »Wir haben so lange durchgehalten und stehen so kurz vor der Erteilung der Ablegegenehmigung, dass wir jetzt nicht aufgeben dürfen«, so ein Passagier gegenüber ND, nachdem der Beschluss durchgesickert war.

Am Mittwochmittag hielt nur noch ein Dutzend der ursprünglich 60 Passagiere des Gaza-Hilfsschiffes »Stefano Chiarini« im Hafenstädtchen Gouvia auf Korfu die Stellung. Die anderen Aktivisten wollten ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen nachkommen. Sie hinterließen jedoch ihre Mobilfunknummern und wollen informiert werden, wenn dem Kapitän die Auslaufgenehmigung vorliegt. In diesem Fall wollen sie auf das Schiff zurückkehren.

Das Dock im Hafen von Gouvia, wo die »Stefano Chiarini« vor Anker liegt, hat sich inzwischen zu einem Ort für Manifestationen und zum Treffpunkt für lokale Politikaktivisten entwickelt. Am späten Dienstagnachmittag kamen wieder Dutzende Bewohner Korfus, die gemeinsam mit den verbliebenen Passagieren eine Ablegegenehmigung für die »Stefano Chiarini« forderten. Maria Kiriaki, eine der Aktivistinnen aus Korfu-Stadt, sagte gegenüber ND: »Wir, die Aktivisten der ›Bewegung der Menschen für die Würde‹, demonstrieren hier vor der ›Stefano Chiarini‹, um Druck auf die Behörden auszuüben.«

Der 62jährige Italiener Alfonso Coletta war am Mittwoch den zweiten Tag auf der »Stefano Chiarini« im Hungerstreik. »Ich beende meine Protestaktion erst, wenn wir ablegen dürfen«, sagt der Arzt aus Sienna. Coletta arbeitete bisher mit dem Roten Kreuz auf der italienischen Insel Lampedusa, um dort Flüchtlinge im Auffanglager medizinisch zu versorgen. Ende 2004 war er für das Rote Kreuz als Arzt in Irak und 2007 Angehöriger einer italienischen Delegation in palästinensischen Flüchtlingslagern in Libanon. »Diese Mission in den palästinensischen Flüchtlingslagern war die wichtigste meines Lebens und hat mir die Augen für das Leid des palästinensischen Volkes geöffnet«, erzählt Coletta. »Daher habe ich mich dazu entschlossen, dieses Jahr mit nach Gaza zu fahren.«

* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2011


Spanische Botschaft in Athen besetzt

Aktivisten protestieren wegen »Komplizenschaft« der EU mit Israel gegen Gaza-Flottille

Von André Scheer **


Seit mehr als 24 Stunden hielten am Mittwoch Aktivisten der spanischen Bewegung »Rumbo a Gaza« (Kurs auf Gaza) die Botschaft ihres Landes in Athen besetzt. Als Vertreter der 45 Passagiere, die auf der »Gernika« an der zweiten Freiheitsflottille nach Gaza teilnehmen wollen, protestierten sie mit ihrer Aktion gegen das Auslaufverbot der griechischen Behörden und gegen das Schweigen der Regierung in Madrid. Bei einer aus den Botschaftsräumen über Internet verbreiteten Pressekonferenz kündigten sie am Dienstag abend an, solange in der diplomatischen Vertretung ausharren zu wollen, bis sie eine Antwort der spanischen Außenministerin Trinidad Jiménez erhielten.

Am Dienstag morgen (5. Juli) hatten ursprünglich 30 Aktivisten die Botschaftsräume besetzt und an deren Balkon eine palästinensische Fahne gehißt. Botschafter Miguel Fuertes Suárez wurden zwei Briefe überreicht, in denen die Regierung in Madrid über die Lage der unter spanischer Flagge fahrenden »Gernika« sowie der 45 an Bord befindlichen Landsleute informiert wird, deren Grundrechte durch das Auslaufverbot der griechischen Behörde verletzt wurden. Außenministerin Jiménez wird in den Schreiben aufgefordert, die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu nutzen, um Druck auf die Regierung in Athen auszuüben. Das Auslaufverbot sei eine Verletzung unter anderem des Schengener Abkommens, das EU-Bürgern volle Bewegungsfreiheit in allen Unterzeichnerstaaten zusichert. Bislang hatte sich die spanische Regierung nicht zu den griechischen Maßnahmen geäußert.

Die Besetzer betonten, daß ihre Aktion vollkommen gewaltfrei sei, die Bewegungsfreiheit von niemandem eingeschränkt werde und das Personal der Botschaft seine normale Arbeit wie gewohnt fortsetzen könne. Ein Teil der Aktivisten hatte in der Nacht offenbar das Gebäude der Vertretung verlassen und kündigte an, die Besetzung durch Aktionen vor der Botschaft fortzusetzen, die in unmittelbarer Nähe der Akropolis, des Wahrzeichens Athens, liegt. Zu den Personen, die in der Vertretung ausharren, gehören der Schriftsteller Santiago Alba Rico und die junge Parlamentarierin Marina Albiol.

Parallel zu der Protestaktion in der Botschaft hat der spanische Europaabgeordnete Willy Meyer, der ebenfalls an der Flottille teilnehmen will, Klage gegen die Maßnahmen der griechischen Behörden eingereicht. Gegenüber den Hafenbehörden in Chania erklärte er, das Verbot verletze das Völkerrecht und die europäischen Rechtsnormen und sei somit ein Angriff auf die Bürgerrechte. »Das Argument, mit dem die griechische Regierung diese Maßnahme begründet, nämlich eine angenommene Kriegssituation oder kriegsähnliche Spannungen, ist nicht haltbar, denn was das palästinensische Volk in Gaza erleidet, ist eine Blockade durch Israel, die 2008 vom UN-Sicherheitsrat und von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon selbst verurteilt wurde«, unterstrich Meyer. Mit ihren Maßnahmen, um die humanitäre Hilfe für Gaza zu verhindern, mache sich die EU und die Diplomatie ihrer Mitgliedsstaaten zu Komplizen der israelischen Regierung. Dadurch verliere die Union die Möglichkeit, konstruktiv zur Schaffung eines palästinensischen Staates und zur Beendigung des israelisch-arabischen Konflikts beizutragen, so der Parlamentarier der spanischen Vereinigten Linken (IU).

Der Sprecher der Kampagne »Rumbo a Gaza«, Manuel Espinar, äußerte am Mittwoch (6. Juli) gegenüber dem lateinamerikanischen Fernsehsender TeleSur, die griechische Regierung habe vermutlich von den anderen Regierungen der EU eine finanzielle Gegenleistung für ihr Verhalten gegenüber den Gaza-Aktivisten erhalten. »Sie wurde bezahlt, oder ihr wurde ein Teil der Schulden erlassen, damit sie diese schmutzige Arbeit macht«, sagte er dem Sender. Auf das Angebot der griechischen Regierung angesprochen, den Transport der Hilfsgüter nach Gaza zu übernehmen, reagierte Espinar ironisch. Athen habe offenbar keine anderen Probleme, als sich nun um Schiffstransporte zu kümmern.

** Aus: junge Welt, 7. Juli 2011


Weiterer Auslaufversuch

Die Organisatoren der »Free Gaza«-Flottille haben noch nicht aufgegeben. Frisch reparierte »Juliano« versuchte am Mittwoch trotz Verbot, griechischen Hafen zu verlassen

Von Claudia Wangerin ***


Schon vor zehn Tagen sollten die Schiffe der zweiten »Free Gaza«-Solidaritätsflottille auf internationalen Gewässern zusammentreffen, um Hilfsgüter in den von Israel abgeriegelten Gazastreifen zu bringen; seither sitzen Besatzungen und Passagiere überwiegend in griechischen Häfen fest, nachdem die Regierung Papandreou am Freitag (1. Juli) ein Auslaufverbot für Schiffe nach Gaza verhängt hatte.

Das Schiff der schwedisch-griechisch-norwegischen »Free Gaza«-Initiative, die »Juliano«, startete am Mittwoch (6. Juli) einen Auslaufversuch, der im Internet per Livestream verfolgt werden konnte. Das Schiff wurde kurz vor Redaktionsschluß noch von einem Patrouillenboot verfolgt, bis der Livestream schließlich abbrach. Zu diesem Zeitpunkt war das Boot der Verfolger noch einige Meter von der »Juliano« entfernt. Sie galt nach einem Sabotageakt zunächst als so stark beschädigt, daß sie nicht an der Flottille teilnehmen könne, wurde aber während der langen Wartezeit offenbar doch repariert.

Nur dem französischen Teilnehmerschiff »Dignité al Karama« (Französisch und Arabisch für »Würde«) gelang es bisher mit Sicherheit, erfolgreich von Griechenland aus in See zu stechen. Am Dienstag (5. Juli) meldeten die Organisatoren, die 19 Meter lange Motoryacht habe mit acht Aktivisten an Bord griechische Gewässer in Richtung Gaza verlassen.

Drei andere »Free Gaza«-Schiffe waren in den letzten Tagen kurz nach dem Verlassen griechischer Häfen von der Küstenwache gestoppt worden: Das US-Schiff »Audacity of Hope« (Mut der Hoffnung) am Freitag (1. Juli) in der Nähe von Piräus, die spanische »Gernika« und die kanadische »Tahrir« am Montag (4. Juli) vor Hania und Agios Nikolaos auf Kreta. Die »Tahrir« wurde nach acht Meilen geentert und zurück in den Hafen geschleppt und ist seither fahruntüchtig, weil beim Anlegen ein Tank geplatzt war. Drei Aktivisten, die an dem Auslaufversuch beteiligt waren, standen am Mittwoch (6. Juli) in Neapoli auf Kreta vor Gericht und wurden zu je 30 Tagen Haft auf Bewährung und 80 Euro Geldstrafe verurteilt. Außer der formalen Eignerin der »Tahrir«, Sandra Ruch aus Kanada, betrifft dies zwei weitere Aktivisten aus Kanada und Austra­lien, die versucht hatten, die Küstenwache an der Verfolgung zu hindern, indem sie sich mit Paddelbooten querstellten. Alle drei wurden auf freien Fuß gesetzt. Die Bewährungszeit in Griechenland beträgt nach jW-Informationen drei Jahre. Sämtliche »Tahrir«-Aktivisten hatten sich bei der polizeilichen Vernehmung geweigert, den Namen der Person zu nennen, die am Montag verbotswidrig die »Tahrir« aus dem Hafen gesteuert hatte. Dem ursprünglichen Kapitän war vorsichtshalber gekündigt worden, um seine berufliche Existenz nicht zu gefährden.

Auf Korfu warteten zehn der ursprünglich rund 60 Passagiere der »Stefano Chiarini« am Mittwoch (6. Juli) weiterhin auf eine Genehmigung zum Auslaufen, nachdem bis Dienstag rund 50 von ihnen nach Hause geflogen waren. Nach Aussage der verbliebenen Teilnehmer an Bord will aber die Mehrzahl der Abgereisten sofort verständigt werden und wieder anreisen, falls es doch noch eine Auslaufgenehmigung gibt. Die Aktivisten hätten Familien und andere Verpflichtungen, seien aber zum Großteil »auf Standby« und erkundigten sich alle paar Stunden telefonisch nach Neuigkeiten. Ein mitreisender Arzt soll sich aus Protest gegen das Verhalten der Behörden im Hungerstreik befinden. Dies berichtete am Mittwoch der Korrespondent der Tageszeitung Neues Deutschland von Bord der »Stefano Chiarini«. Das Schiff war ursprünglich mit deutschen, schweizerischen, italienischen und niederländischen Staatsbürgern besetzt. Nachdem das irische Teilnehmerschiff »Saoirse« (Freiheit) vor einer Woche durch Sabotage ausgefallen war, hatte die »Stefano Chiarini« zusätzlich irische Passagiere aufgenommen.

Der Lenkungsausschuß der Flottille, dem auch Vertreter der einzelnen Schiffe angehören, gab bis zum heutigen Redaktionsschluß keine Entscheidung über das weitere Vorgehen bekannt. Auf den Schiffen scheint aber ohnehin basisdemokratisch entschieden zu werden, sofern das seekundige Personal weiterhin zur Verfügung steht.

*** Aus: junge Welt, 7. Juli 2011


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