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Blockade geht weiter

Israels angebliche "Lockerungen" der Gaza-Abriegelung ohne Substanz

Von Karin Leukefeld *

Mit einem modifizierten Kontrollsystem für den Gazastreifen will die israelische Regierung der scharfen Kritik an der Gaza-Blockade den Wind aus den Segeln nehmen. International war Israel nach dem tödlichen Überfall israelischer Militärkommandos auf Schiffe eines zivilen Hilfskonvois in internationalen Gewässern so sehr isoliert worden, daß Ministerpräsident Benjamin Netanjahu persönlich mit dem Koordinator des »Nahost-Quartetts«, Anthony Blair, eine »Lockerung der Blockade« vereinbarte. Im israelischen Sicherheitskabinett einigte man sich Agenturmeldungen zufolge darauf, eine neue Liste von Gütern zu erstellen, die nach Gaza geliefert werden dürfen. Bisher gab es eine Liste, auf der mindestens 2000 Güter standen, die nicht geliefert werden durften (www.freegaza.org).

Nach Informationen des israelischen Rundfunks soll vor allem die Lieferung bestimmter Baumaterialien weiterhin verboten bleiben. So könnten Rohre angeblich zum Bau von Raketen mißbraucht, Zement könnte zum Bunkerbau verwendet werden, argumentiert die israelische Regierung. Erhalten bleiben sollen die strengen Reisebestimmungen für die Palästinenser sowie die seeseitige Blockade des Gazastreifens.

Als Begründung für die Fortsetzung der Blockade sage Netanjahu, seine Regierung müsse verhindern, daß sich Gaza zu einem »iranischen Hafen« entwickelt. Die Palästinenser werden von zahlreichen Staaten des Mittleren Ostens, Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und aus Europa unterstützt. Auch der Iran unterstützt die Forderung der Palästinenser nach einem Ende der Besatzung.

Was Israel als »Lockerung« bezeichnet, ist tatsächlich eine Einbindung der Vereinten Nationen in seine völkerrechtswidrige Blockadepolitik. Nach dem Willen der israelischen Regierung sollen zum Beispiel Zement und Stahl in Zukunft nach Absprache mit der UNO in den Gazastreifen eingeführt werden dürfen. Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge soll Schulen und Krankenhäuser bauen dürfen, der gewählten Hamas-Regierung und den Palästinensern soll das weiterhin untersagt bleiben.

Zuvor hatte Robert Serry, UN-Botschafter für den Mittleren Osten, erklärt, die UNO sei »ausnahmsweise« bereit, die Verantwortung für die Verteilung der Hilfsgüter zu übernehmen, die das israelische Militär bei der Erstürmung der Free-Gaza-Schiffe beschlagnahmt hatte. Man habe sich mit den Eigentümern von drei türkischen Schiffen der Free-Gaza-Flottille diesbezüglich geeinigt.

10000 Tonnen Hilfsgüter, darunter auch Schulmaterial, Rollstühle, Wasseraufbereitungsanlagen und Zement hatte das israelische Militär erbeutet, nachdem es die Schiffe am 31. Mai gestürmt und dabei neun Personen getötet hatte. Eine offizielle Stellungnahme der Eigner der anderen Schiffe, die aus Griechenland, Schweden und Irland Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen wollten, war bei Redaktionsschluß nicht bekannt.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas forderte derweil erneut, alle Übergänge nach Gaza zu öffnen, ebenso das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das die Blockade als Verstoß gegen das Völkerrecht bezeichnete. Derzeit werden neue Schiffslieferungen aus dem Libanon und aus dem Iran vorbereitet. Der ehemalige britische Abgeordnete George Galloway kündigte an, daß die internationale Bewegung gegen die Gaza-Blockade nach dem Fastenmonat Ramadan (im September) zwei große Hilfskonvois zu Land und zu Wasser nach Gaza vorbereite.

* Aus: junge Welt, 17. Juni 2010


"Zimt darf in Gaza eingeführt werden, Koriander nicht"

Die israelische Organisation GISHA protestiert gegen die Blockade **

Die israelische Menschenrechtsorganisationen GISHA hat 17 Mitarbeiter und beschäftigt sich mit der Blockade des Gaza-Streifens. GISHA ist eine gemeinnützige Vereinigung. Die Bedeutung des Wortes wollen die Mitglieder von GISHA selbst verstanden wissen als »Zugang erhalten«, »sich annähern«, »auf etwas zu sprechen kommen«. Mit der Direktorin von GISHA, Sari Bashi (34), einer Anwältin, sprach Johannes Zang für das "Neue Deutschland" (ND) über die Lage in Gaza und den Angriff des israelischen Militärs auf die internationale Schiffsflotte.

ND: Wie beschreiben Sie die Lage in Gaza?

Bashi: Es herrscht dort eine Krise der Würde. Seit drei Jahren lässt Israel nur ein Rinnsal an humanitären Gütern hinein. Grundnahrungsmittel, Medikamente, Hygieneartikel dürfen eingeführt werden, nicht jedoch das, was als nicht überlebensnotwendig erachtet wird. Export ist gänzlich verboten.

Welche Ziele verfolgt die israelische Regierung damit?

Israel will absichtlich die Wirtschaft in Gaza lähmen. Für uns ist das Kollektivbestrafung, da 1,5 Millionen Zivilisten für etwas bestraft werden, das sie nicht begangen haben. Ihnen wird das Recht vorenthalten, in Würde zu arbeiten. Seit Juni 2007 haben 90 Prozent der Fabriken im Gaza-Streifen zugemacht oder arbeiten mit zehnprozentiger Auslastung, da sie weder Rohmaterialien einführen noch Endprodukte ausführen dürfen.

Welche Folge hat die Totalabriegelung?

Israel weigert sich, Einzelheiten darüber, was in punkto Einfuhr erlaubt oder verboten ist, offenzulegen. Dagegen haben wir nun dank des Gesetzes über die Auskunftspflicht öffentlicher Einrichtungen gerichtliche Schritte unternommen: Die Armee soll ihre Praxis offenbaren. Sie behauptet jedoch, dass dies die Sicherheit des Staates gefährde.

Können Sie uns eine Blockadefolge nennen?

Sie hat absurde Folgen. Zimt darf eingeführt werden, Koriander nicht; Margarine darf in kleinen Päckchen eingeführt werden, während die Einfuhr von Margarine in Eimern verboten ist, da dies die Herstellung von Keksen erlauben würde. Warum Zimt als Grundnahrungsmittel betrachtet wird und Koriander nicht, ist mir nicht klar, klar ist mir: Es hat nichts mit Sicherheitsaspekten zu tun.

Nun war eine internationale Hilfsflotte nach Gaza unterwegs, die humanitäre Güter und Medikamente nach Gaza bringen sollte. Sie wurde vom israelischen Militär daran gehindert, Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Was wissen Sie darüber?

Wir wissen nicht, was genau vorgefallen ist. Wir haben uns der internationalen Forderung nach einer unabhängigen, unparteiischen Untersuchung dessen angeschlossen, was da genau geschah. Warum wurden so viele Menschen getötet oder verletzt? Israel hatte vorab erklärt, Schiffe daran zu hindern, Gaza zu erreichen. Wir wissen, dass das in internationalen Gewässern geschah. Wir wissen auch, dass die israelische Regierung die Live-Berichterstattung darüber verhindern wollte. Einigen der Festgenommenen wurde es verboten, mit Journalisten zu sprechen. Das macht uns Sorge.

Wiederholt haben israelische Politiker betont, es gebe keine humanitäre Krise in Gaza.

Ich weiß nicht, wie schlimm die Lage werden muss, damit man von Krise sprechen kann. 80 Prozent der Menschen in Gaza sind auf Geld- und Lebensmittelspenden angewiesen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 40 Prozent. Verhungern die Menschen? Nein. Das Problem ist: Die Einschränkungen zielen darauf, die Menschen am Arbeiten zu hindern. Sie werden in eine Abhängigkeit von Wohltätigkeitsorganisationen gezwungen.

Haben Sie eine Botschaft an die deutsche Politik?

Die internationale Staatengemeinschaft muss klarmachen, dass die Blockade Gazas aufhören muss. Deutschland, das ein enger Verbündeter Israels ist, sollte dessen Führung verdeutlichen, dass Israel die Einschränkungen wirklich auf das für die Sicherheit Nötigste zu beschränken hat. Am Ende muss es freien Warenverkehr nach und von Gaza geben, der angemessenen Sicherheitsuntersuchungen unterliegt. Das ist gut für Israel und sicherlich gut für das palästinensische Volk. Wir brauchen eine stabile palästinensische Gesellschaft, damit wir in dieser Weltgegend ein besseres Leben haben.

** Aus: Neues Deutschland, 17. Juni 2010


Kein Ende der Blockade in Sicht

Sicherheitskabinett in Israel weiter uneins

Das israelische Sicherheitskabinett hat sich im ersten Anlauf nicht darauf einigen können, wie die Blockade des Gaza-Streifens gelockert wird. Eine erste Gesprächsrunde habe keinen Durchbruch gebracht, berichtete der israelische Rundfunk am Mittwoch (16. Juni). Die sieben Minister wollen nach israelischen Medienberichten weiterhin an der Seeblockade festhalten und damit verhindern, dass Schiffe in Gaza andocken. Stattdessen sollen internationale Teams die Fracht von Hilfsschiffen entweder in Aschdod in Israel oder Al-Arisch in Ägypten inspizieren. Die Waren würden dann auf dem Landweg in den Gaza-Streifen weitergeleitet. Das Sicherheitskabinett diskutiert den Berichten zufolge auch über eine neue Liste von Waren, die in den Gaza-Streifen geliefert werden dürfen. Nach Angaben der israelischen Bürgerrechtsorganisation GISHA lässt Israel derzeit nur 114 verschiedene Artikel in den Gazastreifen passieren. Vor Beginn der Blockade seien es rund 4000 gewesen.

Unterdessen hat sich der Ministerpräsident Benjamin Netanjahu von einem Plan seines Transportministers zum Gaza-Streifens distanziert. Der Plan von Israel Katz sei dessen private Initiative und nicht Politik der Regierung, teilte Netanjahus Büro mit. Katz macht sich dafür stark, dass die Warenübergänge zwischen Israel und dem Gaza-Streifen schrittweise geschlossen und Waren nur noch von Ägypten aus in das Palästinensergebiet transportiert werden. Diese Initiative hatte in Ägypten für Empörung gesorgt, weil sie als Versuch Israels gesehen wird, dem Nachbarland die Verantwortung für das Gebiet zuzuschieben.

Israel warnte Iran und Libanon, Hilfsschiffe Richtung Gaza-Streifen zu schicken. »Schiffe aus Iran und Libanon sind eine feindliche Aktivität eines feindlichen Staates und nicht mehr nur eine Provokation wie bei der anderen Flotte«, sagte Außenminister Avigdor Lieberman.

*** Aus: Neues Deutschland, 17. Juni 2010


Blockierte Blockade

Von Roland Etzel ****

Sie ist merklich kleinlauter geworden, die israelische Regierung. Es ist erst wenige Wochen her, dass sich mit Netanjahu erstmals ein israelischer Ministerpräsident erkennbar wenig darum scherte, dass sein Auftritt im Weißen Haus von dessen Herrn zum diplomatischen Missklang erklärt wurde. Netanjahus Botschaft war unmissverständlich: Die Weltmacht Nummer eins muss mich gewähren lassen, warum sollte ich dann vor einer Palästinenser-Forderung einknicken? Nach dem Bombenkrieg Anfang vorigen Jahres und selbst noch nach dem blutigen Überfall auf das Gaza-Hilfsschiff vor zwei Wochen glaubte Netanjahu, seine (Faust)-Rechtsauffassung zum Umgang mit Gaza sei für ihn jederzeit und unter allen Umständen vollstreckbar.

Dem Ministerpräsidenten scheinen daran aber nun Zweifel gekommen zu sein. Das wäre jedenfalls eine einleuchtende Erklärung für den Eiertanz, den das israelische Kabinett derzeit aufführt. Selbst wenn der angebliche Streit unter den Ministern um eine Lockerung der Blockade nicht mehr als eine Schmierenkomödie mit verteilten Rollen sein sollte – es wäre ein Hinweis darauf, dass die weltweite Empörung über die ignorante Behandlung palästinensischer Hilferufe in Tel Aviv Wirkung zeigt.

Robert Serry, der UN-Sondergesandte für den Nahen Osten aus den Niederlanden, sieht in der »Gaza-Flotten-Krise das letzte Symptom einer gescheiterten Politik Israels«, »inakzeptabel und kontraproduktiv« – eine in dieser Klarheit bisher nicht dagewesene Missbilligung der Blockade Gazas. Netanjahus Rowdytum auf Hoher See sollte deren Unantastbarkeit unter Beweis stellen und könnte nun das Gegenteil bewirken.

**** Aus: Neues Deutschland, 17. Juni 2010 (Kommentar)


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