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Wiederaufbau im Gazastreifen

Beseitigung der Zerstörungen nach israelischen Angriffen

Von Florian Möllendorf, Gaza-Stadt *

Wer Geld hat, läßt sich Baumaterial durch die Tunnel liefern. Die übrigen Menschen kommen bei Verwandten unter oder müssen in Zelten leben«, erklärt ein Bewohner von Beit Lahiya. Eine israelische Rakete hat sein Haus in dem nördlich von Gaza-Stadt gelegenen Ort dem Erdboden gleichgemacht. Durch die Wucht der Detonation wurden auch die angrenzenden Häuser stark beschädigt. Riesige Löcher, die Bombensplitter in die Außenwände gerissen haben, geben den Blick auf verwüstete Küchen und Wohnzimmer frei. Zwar zahle die Hamas-Regierung die Anmietung eines Apartments, der Platz reiche für viele Familien aber nicht aus.

Laut Hamas sind durch die Angriffe 200 Wohnungen und Häuser komplett zerstört und 8000 weitere Gebäude teilweise beschädigt worden. In Gaza-Stadt, Dschabalia, Beit Lahiya, Chan Junis und Rafah sind die Spuren des Krieges deutlich sichtbar. Wohnhäuser, Brücken, Gesundheitszentren, Polizeistationen und Schulen wurden vollständig zerstört oder schwer beschädigt. Durch die Blockade des Gazastreifens ist der vollständige Wiederaufbau der Infrastruktur so gut wie unmöglich. Seit 2007 gelangen Baumaterialien fast ausschließlich durch Tunnel an der ägyptischen Grenze in den von Israel abgeriegelten Küstenstreifen. Vielerorts findet man noch immer Ruinen von Gebäuden, die im Zuge der vier Jahre zurückliegenden israelischen Operation »Gegossenes Blei« zerbombt wurden. Nach Informationen des Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten in den besetzten palästinensischen Gebieten (OCHA) hat sich der Preis für eine Tonne Zement allein in den ersten beiden Jahren der Blockade von umgerechnet 70 Euro auf 680 Euro fast verzehnfacht. Nach dem Krieg sollen die Preise noch einmal deutlich gestiegen sein.

Im Zentrum von Gaza-Stadt haben sechs israelische Raketen einen Gebäudekomplex der Zivilverwaltung in eine gigantische Kraterlandschaft verwandelt. Überall liegen Schutt, Metall, zersplittertes Glas, Büromöbel und Reste eines Steinfußbodens herum. Auch die Moschee für die Angestellten wurde bei den Explosionen fast komplett zerstört. »Welchen militärischen Nutzen hat die Bombardierung einer Paßstelle und eines Büros für soziale Dienstleistungen?« fragt ein Wachposten aufgebracht. »Und warum kündigen sie den Menschen die Bombardierung ihrer Wohnungen oft telefonisch an? Sie greifen doch angeblich nur Häuser an, in denen sich bewaffnete Kämpfer verstecken.«

Im Büro des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte (PCHR) herrscht dieser Tage hektische Betriebsamkeit. Die Organisation vertritt Opfer der vergangenen israelischen Militäroperationen. Ihr Direktor, Raji Sourani, fordert die internationale Gemeinschaft auf, aktiv zu werden. Mit der Entscheidung der UN-Vollversammlung, den Status der palästinensischen Vertretung zu dem eines Beobachterstaates aufzuwerten, stehe den Palästinensern nun der Weg zu allen UN-Ausschüssen offen und Israel könne wegen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt werden.

Der jüngste Krieg hat in Gaza 170 Menschenleben und über 1000 Verletzte gefordert. Dabei sind die zahlreichen psychisch Verwundeten nicht eingerechnet. »Als Folge der Raketenangriffe sind viele Kinder in Gaza schwer traumatisiert. Sie verlieren die Fähigkeit zu sprechen, haben Angstzustände und leiden an Inkontinenz«, berichtet Dr. Ayman Al-Sahbani vom Al-Shifa Krankenhaus in Gaza-Stadt. Viele Jugendliche könnten wegen Konzentrationsschwierigkeiten die Schule nicht besuchen. Aufgrund der Blockade gebe es weder ausreichende Mittel noch genügend qualifiziertes Personal für die Betreuung von psychisch Erkrankten.

Der zwischen der Hamas und Israel vor gut drei Wochen vereinbarte Waffenstillstand wird von vielen Palästinensern in Gaza und im Westjordanland als Sieg gefeiert. »Die Hamas hat durch den Konflikt an Popularität gewonnen«, so ein Gesprächspartner gegenüber jW in Gaza-Stadt. »Viele hier glauben, daß die bewaffneten Gruppen sie vor einer israelischen Bodenoffensive bewahrt haben. Und sie sind davon überzeugt, daß es ohne den Widerstand kein Gaza mehr gäbe.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 13. Dezember 2012


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