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Ägypten öffnet Grenze

Palästinenser können vom Gazastreifen ins Nachbarland einreisen *

Der »arabische Frühling« ist auch bei den Palästinensern angekommen. Ägypten öffnete wieder seinen Grenzübergang zum Gazastreifen. Damit beginnt Israels Abriegelung des Palästinensergebietes zu bröckeln.

Nach vier Jahren Blockade hat Ägypten seine Grenze zum Gazastreifen wieder für den Personenverkehr geöffnet. Der große Ansturm auf den Grenzübergang Rafah blieb allerdings am Wochenende aus. Nur etwa 600 Personen seien bislang ausgereist, teilte die Innenbehörde am Sonntag in Gaza mit. Denn obwohl Ägypten seine Einreisebestimmungen gelockert hat, muss jeder Palästinenser derzeit noch eine Genehmigung der Innenbehörde in Gaza einholen. Zudem müssen alle Männer im Alter zwischen 18 und 40 Jahren aus Sicherheitsgründen eine Sondergenehmigung in Ägypten beantragen. Viele Palästinenser dieser Altersgruppe sind Mitglieder militanter Gruppierungen.

Die im Gazastreifen herrschende Hamas ist gegen eine Rückkehr von EU-Beobachtern an den Grenzübergang. »Die Palästinenser haben ihre Fähigkeit bewiesen, den Übergang selbst zu betreiben«, sagte Ghasi Hamas, bei der Hamas zuständig für die Grenzübergänge. Die Hamas organisierte am Samstag eine Freudendemonstration in Rafah, um Ägypten für die Öffnung zu danken. Sie fordert nun auch eine Normalisierung des Warenverkehrs.

Israel fürchtet, die Hamas könnte die Öffnung zum Transport von Waffen und Geld in das Palästinensergebiet missbrauchen. Heimatschutzminister Matan Vilnai sagte am Sonntag, man sehe ab sofort Ägypten als zuständig für die Sicherheit an.

Rafah ist der einzige Grenzübergang zum Gazastreifen, der nicht von Israel kontrolliert wird. Israel und Ägypten schlossen ihre Grenze zu Gaza am 9. Juni 2007, nachdem Hamas nach dem Bruch mit der Fatah allein regiert. Seit dem Sturz von Präsident Husni Mubarak im Februar hat Ägypten seine Politik gegenüber Israel und den Palästinensern neu ausgerichtet. Die von Mubarak unterstützte israelische Blockade des Gazastreifens war bei den Ägyptern äußerst unbeliebt.

Knapp ein Jahr nach dem Drama um eine Hilfsflotte für den Gazastreifen warnte UN-Chef Ban Ki Moon vor der eigenmächtigen Entsendung weiterer Schiffe. Wegen der Eskalationsgefahr sollten die Mittelmeerländer eine geplante neue Flottille nicht unterstützen, forderte Ban. Ein israelisches Spezialkommando hatte am 31. Mai 2010 einen Konvoi von Hilfsschiffen mit Gewalt gestoppt. Dabei kamen neun türkische Aktivisten ums Leben.

Unterstützung für die Gründung eines eigenen Staates erhalten die Palästinenser von der Arabischen Liga. Diese hat sich für die einseitige Proklamation eines palästinensischen Staates und seine Anerkennung durch die Vereinten Nationen ausgesprochen. Dies erklärte das Komitee für die arabische Friedensinitiative nach einer Sitzung in der Nacht zum Sonntag in Doha. Der Schritt der arabischen Staaten solle im Rahmen der nächsten UN-Vollversammlung im September erfolgen. Der palästinensische Staat werde sich in den Grenzen von vor dem Nahostkrieg von 1967 und mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt konstituieren.

Israel lehnt die einseitige Ausrufung eines unabhängigen Palästinenserstaates in den Grenzen von 1967 ab. Dies hatte Premier Benjamin Netanjahu vor einer Woche erneut bekräftigt. Zugleich stecken die Verhandlungen mit den Palästinensern in einer Sackgasse.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Mai 2011


Die Bresche nach Gaza

Von Roland Etzel **

Kein amerikanischer Repräsentant hat sich je in die Nähe der eingepferchten Gaza-Palästinenser begeben, um zu fordern: »Mr. President, tear down this wall!« Und es ist auch nicht bekannt, dass etwa Obama die Absicht gehabt hätte, dies zu tun. Reißen Sie diese Mauer ein – weder in Israel noch in Ägypten mussten die Herrschenden derlei öffentliche Missbilligung aus dem Land der Freiheitsstatue fürchten.

Bis dato galt der Gaza-Streifen als größtes Freiluftgefängnis der Welt. Allein die Wärter in Jerusalem und Kairo entschieden, wer hinaus oder hinein darf. Leidtragende dieser, was Nordafrika und den Nahen Osten betrifft, offenbar besonders selektiven Wahrnehmung in puncto Menschenrechte, waren 1,6 Millionen Palästinenser – die Männer arbeitslos, die Jugend perspektivlos, gerade so mit dem Allernötigsten versorgt, und darin völlig den Launen der israelischen Administration ausgeliefert.

Die offiziellen Begründungen für diese Käfighaltung von Menschen – Terror, Granatenbeschuss, die Gefangennahme eines Soldaten – wurden bei Gelegenheit in Washington, folglich auch in Berlin stets treuherzig aufgesagt. Seit dem Wochenende nun hat die Mauer zu Gaza aber wenigstens von ägyptischer Seite eine Bresche. Kleiner Personen- und Warenverkehr haben begonnen. Mehr noch nicht. Aber für Hunderttausende in Gaza ist es nach Jahren von Krieg, Not und Tod ein kaum zu überschätzendes Zeichen der Hoffnung. Frankreich, die anderen Staaten der EU, auch die USA, waren offenbar mit ihren humanitären Bombardements in Libyen zu sehr beschäftigt, um diesen Schritt der neuen ägyptischen Führung zu bemerken, geschweige denn zu würdigen.

** Aus: Neues Deutschland, 30. Mai 2011 (Kommentar)


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