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Emotionen am "Obama Beach"

US-Präsident in Frankreich: Gedenken in der Normandie mit aktuellen Politikbezügen

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Der Besuch des US-Präsidenten Barack Obama in Frankreich konnte die Risse im bilateralen Verhältnis nicht kitten.

Aus Omaha Beach, dem Landungsstrand der Alliierten in der Normandie, wurde am Sonnabend (6. Juni) »Obama-Beach«, wie die Zeitung »Libération« mit dem ihr eigenen Sinn für Wortspiele titelte. Die Zeremonie zum 65.Jahrestag des »D-Day« fand auf dem US-amerikanischen Soldatenfriedhof Colleville-sur-Mer oberhalb des bekanntesten und opferreichsten der Landungsstrände statt. Gastgeber auf diesem Stückchen Amerika mitten in Europa war US-Präsident Ba-rack Obama; seine Ehrengäste waren der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der britische Thronfolger Prinz Charles sowie die Regierungschefs von Kanada und Großbritannien, Stephen Harper und Gordon Brown. Besonders bewegend war die eindrucksvolle Zeremonie durch die Anwesenheit von etwa 200 hochbetagten Amerikanern, Briten und Kanadiern, die seinerzeit hier ihr Leben eingesetzt hatten.

Sarkozy schilderte die opferreichen Kämpfe des 6. Juni 1944 und erinnerte daran, dass an der Seite der Alliierten auch polnische, tschechische und slowakische Emigranten, Kämpfer aus anderen besetzten Ländern und auch Soldaten der Bewegung »Freies Frankreich« standen. »Ihnen verdanken wir unsere Freiheit«, sagte Sarkozy. Sich der seinerzeit gebrachten Opfer würdig zu erweisen, bedeute heute, sich Seite an Seite den Bedrohungen und Herausforderungen unserer Zeit wie Terrorismus, Fanatismus, Verletzung der Menschenrechte und Zerstörung der Umwelt zu stellen. Obama würdigte »den Mut und das Heldentum der Amerikaner, Kanadier, Briten, Russen und der französischen Widerstandskämpfer, die mit der Waffe in der Hand den Nazi-Besatzern entgegengetreten sind«.

Der Zeremonie vorausgegangen war ein nur knapp halbstündiges Gespräch zwischen Obama und Sarkozy in der Präfektur von Caen und ein anschließendes kurzes Treffen mit einigen Pressevertretern. Dabei betonten beide Präsidenten ihre Übereinstimmung zu fast allen behandelten Themen. Obama bekräftigte die Bereitschaft, »Iran die Hand zu reichen«, wenn das Land Frieden und Dialog wolle, doch sei es nicht hinnehmbar, wenn Teheran im Nahen Osten die Weiterverbreitung von Kernwaffen vorantreibe. Sarkozy betonte: »Iran hat ein Recht auf zivile Atomkraft, nicht aber auf Atomwaffen.« Im Hinblick auf den Nahost-Konflikt forderte Obama Israel und Palästinenser zu »ernsthaften und konstruktiven Verhandlungen mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung« auf, um »aus der gegenwärtigen Sackgasse herauszukommen«. Ein 60 Jahre altes Problem könne nicht über Nacht gelöst werden, aber er erwarte von beiden Seite »die Anerkennung der Tatsache, dass ihre Schicksale zusammenhängen«.

In scharfen Worten verurteilte Obama die Atomtests von Nordkorea und nannte sie »in höchstem Maße provokativ«. Die USA würden nicht hinnehmen, dass die Region weiter auf diese Weise destabilisiert werde. Differenzen haben die USA und Frankreich weiterhin zur Aufnahme der Türkei in die EU, aber auch -- wie Obama schon durch eine Randbemerkung in Kairo deutlich gemacht hatte -- zur Frage, ob das Tragen des islamischen Kopftuches durch Schülerinnen oder Beamtinnen im streng laizistischen Frankreich zu tolerieren sei oder nicht.

Traditionell kommt jeder US-Präsident einmal in seiner Amtszeit zu einer Gedenkfeier auf den Soldatenfriedhof Colleville-sur-Mer. Obamas Vorgänger George Bush war sogar zweimal dort, das letzte Mal 2004. Seinerzeit war die Atmosphäre zwischen Bush und dem damaligen französischen Staatschef Jacques Chirac eisig -- wegen der Ablehnung des französischen Präsidenten, sein Land in das Kriegsabenteuer in Irak verstricken zu lassen.

Sarkozys Bemühungen, den Besuch Obamas in Frankreich zu einem Neuanfang für die französisch-amerikanischen Bemühungen zu nutzen, ist nur teilweise gelungen. Vor allem mangelt es noch am persönlichen Verhältnis zwischen dem jungen und charismatischen Obama und dem ambitionierten und dynamischen Sarkozy. »Sarkozy redet schnell, dadurch brauchen wir nicht viel Zeit für unsere Gespräche«, witzelte Obama in Caen vor den Journalisten, und Sarkozy lachte gequält über den Scherz. Dabei hatte er sich doch sofort nach der Wahl zum Präsidenten daran gemacht, die Beziehungen zu den USA wieder zu verbessern. Demonstrativ sagte er im Dezember 2007 in einer Rede vor dem Senat in Washington: »Immer wenn ein amerikanischer Soldat irgendwo in der Welt fällt, denke ich daran, was die amerikanische Armee für Frankreich getan hat.« Trotzdem blieben die Beziehungen zwischen beiden Ländern problematisch, zumal Sarkozy nicht zu einem Kniefall vor den Weltmachtansprüchen der USA bereit war und bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Rolle Frankreichs in einer »multipolaren Welt« betonte.

Im Hinblick auf eine Wende in den USA durch den neuen Präsidenten hat Sarkozy als Gesten der Bereitschaft zur Kooperation die Rückkehr Frankreichs in die militärischen Kommandostrukturen der NATO vollzogen, hat die militärische Präsenz in Afghanistan verstärkt, sich zur Aufnahme von Guantanomo-Häftlingen bereit erklärt und Sanktionen gegen Iran angedroht. Doch das scheint nicht zu reichen, um zu Beziehungen zurückzukehren, wie sie noch zwischen Chirac und Bill Clinton bestanden hatten. Obamas »Liebe« für Europa ist begrenzt, er konzentriert sich auf die Krisenregionen der Welt und verfolgt dort vor allem US-Interessen. Das mussten seine europäischen Verbündeten in Afghanistan feststellen, wo die US-Militärs nur zu oft handeln, ohne sie zu konsultieren oder wenigstens zu informieren.

Einen unterschiedlichen Ansatz gibt es auch beim Bestreben von Obama und Sarkozy, die Atomrüstung Irans und Nordkoreas zu stoppen. Was die USA vor allem durch Druck erreichen wollen, hofft Frankreich auf diplomatischem Wege und mit wirtschaftlichen Kooperationsangeboten zu erreichen. Enttäuscht ist man im Elysée, dass der Vorschlag Sarkozys, eine Friedenskonferenz zum Nahen Osten nach Paris einzuberufen, bei Obama auf keine positive Resonanz gestoßen ist. Eine scharfe Konkurrenz liefern sich die USA mit Frankreich bei Rüstungsexporten, vor allem in der Golfregion. Dass Sarkozy das nicht hinzunehmen bereit ist, hat er gerade erst in den Vereinigten Arabischen Emiraten demonstriert, wo er sich als Handelsvertreter für die Rafale-Jagdflugzeuge des privaten Dassault-Konzerns betätigte, denen ein durch Washington massiv unterstütztes Angebot für amerikanische F-16-Flugzeuge gegenübersteht.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Juni 2009


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