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Raus aus Frankreich

Roma zur "freiwilligen Ausreise" nach Rumänien gezwungen. Präsident Sarkozy zeigt sich von internationaler Kritik unbeeindruckt

Von Christian Giacomuzzi *

Die weltweite Kritik und harte Opposition im Inland scheint Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (UMP) nichts anhaben zu können. Er beharrt auf seiner »harten Linie« gegen die unerlaubt in Frankreich angesiedelten Roma rumänischer und bulgarischer Herkunft. Am Donnerstag wurden bereits mit zwei eigens angeheuerten Charterflügen 75 Roma nach Bukarest geflogen, am Freitag waren es nach Angaben von Immigrationsminister Eric Besson 139. Der nächste Flug ist für den 26. August geplant. Bis Mitte September sollen auf die Weise etwa 370 Roma das Land verlassen. Die Zahl der seit Jahresbeginn abgeschobenen Roma wird bis Ende August 850 erreichen, so Besson. Insgesamt leben in Frankreich 15000 Roma.

Sarkozy hatte seine neue »Sicherheitspolitik« am 30. Juli im ostfranzösischen Grenoble angekündigt, wo es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Vorstadtjugendlichen gekommen war. Zunächst gab der Präsident bekannt, daß »naturalisierten Verbrechern«, die sich an Sicherheitsbeamten vergehen, die Staatsbürgerschaft aberkannt werden soll. Im konservativen Regierungslager wurden Stimmen laut, wonach die Maßnahme auch auf Frauenhandel, Polygamie und Frauenbeschneidung ausgedehnt werden solle. Schließlich kündigte der Staatschef die Massenausweisung der Roma an.

International wird Sarkozy dafür kritisiert, erweckt er doch den Eindruck, die Kriminalität in Frankreich sei allein auf Ausländer zurückzuführen. Der Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen monierte in einem Bericht die Gleichsetzung von »fremd« und »kriminell«. Die EU-Kommission mahnte Frankreich mit Blick auf die Abschiebungen von Rumänen zum Respekt der Rechte und Freiheiten sämtlicher Unionsbürger. Die New York Times warf Paris vor, »die immigrantenfeindlichen Gefühle gefährlich aufzuheizen«. Der Bürgerrechtsexperte Theodore Shaw, Professor an der Columbia-Universität in New York, warnte vor einer weiteren »Verharmlosung der Gewalt gegen Roma«, die man besonders in Osteuropa bereits vorfinde.

Im französischen Regierungslager gab man sich bislang allerdings zuversichtlich. Man brauche »keine Lehren vom Ausland«, reagierte Besson auf den Chor der Kritiker am Donnerstag abend im TV-Sender »France 2«. Frankreich sei »eines der Länder«, die die Rechte der Ausländer am meisten respektieren. »Wir haben im Vorjahr 170000 Langzeit-Aufenthaltsgenehmigungen vergeben. Nach den USA sind wir das zweite Asylland der Welt«, sagte der ehemalige Sozialist, der bei der Präsidentenwahl 2007 ins Feld des konservativen Staatschefs gewechselt hatte. Er erinnerte auch daran, daß alle Rückführungen »auf freiwilliger Basis« erfolgten und die Roma dafür 300 Euro pro Erwachsenem und 100 Euro pro Kind erhielten. Er räumte allerdings auch ein, daß den Rumänen danach die Möglichkeit offenstehe, wieder nach Frankreich zurückzukehren.

Französische Medien und Politologen meinen denn auch, Sarkozy wolle durch seine skandalträchtigen Rückführungsmaßnahmen von den tatsächlichen Skandalen ablenken, welche die Regierungsmehrheit jüngst geschwächt haben. So etwa dem Vorwurf, daß sein Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2007 illegal durch die L’Oréal-Erbin Liliane Bettencourt finanziert worden ist; und daß Arbeitsminister Eric Woerth im Jahr 2008 Bettencourt als Budgetminister unberechtigte Steuervorteile beschert habe. Meinungsumfragen scheinen der Strategie Sarkozys Recht zu geben: 80 Prozent der Franzosen befürworten den Staatsbürgerschaftsentzug als Sanktion, 79 Prozent die Zwangsräumung der Roma-Lager.

Dies veranlaßte das oppositionelle Politmagazin Marianne jüngst dazu, Sarkozy als »Gauner der Republik« zu bezeichnen. Der deutsch-französische Grünen-Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit bezichtigte Sarkozy eines »Ausgrenzungspopulismus«, und die ehemalige sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal (PS) sagte, die »frenetische, ineffiziente und gefährliche Aufregung« des Präsidenten spitze die Spannungen weiter zu.

* Aus: junge Welt, 21. August 2010

Einmal Rumänien und zurück

Hunderte Roma sollen bis Ende August von Frankreich nach Rumänien abgeschoben werden. Was sie dort erwartet, ist ungeklärt. Über ihre Wiedereingliederung wollen zwei rumänische Staatssekretäre erst nächste Woche in Paris mit der französischen Regierung sprechen. Die bisherige Praxis in Rumänien läßt nichts Gutes für die Roma erwarten: Seit Jahren kritisiert etwa die Menschenrechtsorganisation Amnesty International das menschenverachtende Vorgehen rumänischer Behörden. »Überall im Land werden Familien gegen ihren Willen aus ihren Häusern vertrieben«, prangerte Halya Gowan, Direktorin des Europa- und Zentralasien-Programms von ai, an. So wurden in Zentralrumänien laut ai etwa hundert Roma schon vor Jahren aus einem baufälligen Gebäude vertrieben. Die Behörden siedelten sie neben einer Kläranlage an, vor der ein Schild »Vergiftungsgefahr« warnt.

Kein Wunder also, daß sich viele Roma kurze Zeit nach ihrer Abschiebung gleich wieder auf den Weg zurück nach Frankreich machen. Bei 300 Euro Rückkehrhilfe, die der französische Staat jedem Erwachsenen bezahlt, »sind viele Roma ein oder zwei Wochen in Rumänien geblieben, haben 200 Euro ihrer Familie gegeben und sind mit 50 oder 100 Euro per Bus zurück nach Frankreich«, berichtet Mihai Neacsu von der Roma-Organisation Amare Rromentza in Bukarest.

Allein im vergangenen Jahr wurden etwa achttausend Roma aus Frankreich zurück nach Rumänien geschickt. Schätzungen zufolge kehren zwei Drittel von ihnen wieder nach Frankreich zurück. »Wir können nicht ihr Recht auf Freizügigkeit begrenzen«, ruft Valentin Mocanu, der rumänische Staatssekretär zur Integration von Minderheiten, in Erinnerung. Auch in Bulgarien herrscht Unverständnis über die »umfangreichste Deportation Europas seit dem Zweiten Weltkrieg«, wie es die Zeitung Sega nannte. (AFP/jW)




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