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Kritik an Sarkozys NATO-Kurs

Frankreich wird wieder Vollmitglied des Militärbündnisses

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Die »Europäische Verteidigung« soll nach dem Willen des französischen Präsidenten wieder eine Säule der nordatlantischen Allianz werden.

Auf dem NATO-Gipfel, der Anfang April in Straßburg und Baden-Baden stattfindet, soll nicht nur der 60. Jahrestag des nordatlantischen Bündnisses gefeiert werden, sondern auch die »Rückkehr des verlorenen Sohnes«. Präsident Nicolas Sarkozy führt Frankreich zurück in die militärische Kommandostruktur der NATO. Aus dieser hatte sich das Land 1966 unter General de Gaulle zurückgezogen, der zugleich dem Generalsekretariat und dem Oberkommando der NATO, die ihren Sitz in Paris und Fontainebleau hatten, den Stuhl vor die Tür setzte. Damit wollte der General die Unabhängigkeit Frankreichs unterstreichen, die auf der eigenen nuklearen Abschreckungsmacht fußte. In der politischen Organisation der NATO blieb Paris allerdings und trug damit alle Entscheidungen der Allianz mit, bis hin zu ihren Aus-landseinsätzen zwischen Balkan und Afghanistan, zu denen man von Fall zu Fall französische Kontingente beigesteuert hat.

Durch die Rückkehr in die militärische Struktur der NATO will Sarkozy mehr Einfluss auf die strategische Ausrichtung der Allianz gewinnen. Innerhalb der EU wirbt er für eine »Sicherheits- und Verteidigungsunion«, die eine tragende Säule der NATO sein und damit deren Geschicke entscheidend mitbestimmen soll. In einem gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel verfassten und gleichzeitig in beiden Ländern veröffentlichten Zeitungsartikel warb Sarkozy dieser Tage für eine »Überarbeitung des strategischen Konzeptes der Allianz« und dafür, »die NATO europäischer zu gestalten«.

USA-Präsident Bush hatte eine weltweite Umverteilung der militärischen und finanziellen Lasten auf die Bündnispartner angestrebt, was in Paris auf entschiedenen Widerstand stieß. Was sein Amtsnachfolger Barack Obama mit der NATO vorhat, bleibt abzuwarten. Frankreichs Rückkehr hat er jedenfalls schon gewürdigt, indem er Paris die Besetzung von mindestens zwei hohen Kommandoposten zusichern ließ.

Doch im eigenen Land sieht sich Präsident Sarkozy noch starken Vorbehalten gegenüber. Die kommen aus allen Richtungen des politischen Spektrums. Stellvertretend für die Linken wirft ihm Ségolène Royal vor, dass er »die Entwicklung der Welt und die Rolle Frankreichs auf der internationalen Bühne falsch deutet«. Die NATO sei nach wie vor geprägt vom Kalten Krieg und werde heute »in der Welt als bewaffneter Arm des Westens wahrgenommen«, sagte die SP-Politikerin und Gegenkandidatin im Präsidentschaftswahlkampf 2007. Jean-Pierre Chevènement, ehemals Verteidigungsminister und heute Senator, fordert deshalb eine Parlamentsabstimmung. Aber auch in der rechten Regierungskoalition regt sich erheblicher Widerstand, vor allem bei den Politikern, die sich dem Erbe de Gaulles besonders verbunden fühlen. Zu ihrem Sprecher macht sich der ehemalige Außenminister und Premier Dominique de Villepin. Er kritisiert, dass sich Sarkozy »an den Westen klammert«, obwohl die Zeichen auf Öffnung stünden und das entscheidende Feld der internationalen Auseinandersetzungen im Süden liege.

Bei der Initiative Sarkozys dürfte auch seine grenzenlose Eitelkeit eine Rolle gespielt haben. Davon zeugt seine Forderung, beim Treffen der Staats- und Regierungschefs an der Seite des NATO-Generalsekretärs zu sitzen, andernfalls würde er gar nicht erst anreisen. Eigentlich weist das seit 60 Jahren gültige Protokoll bei der NATO jedem Land seinen Platz in der Reihenfolge des englischen Alphabets zu. Um einen Eklat zu vermeiden, fand man einen diplomatischen Kompromiss: Solange die Fernsehkameras zugegen sind, darf Nicolas Sarkozy rechts vom Generalsekretär sitzen und Angela Merkel links von ihm. Wenn die Presse den Saal verlassen hat, gibt es vor dem Beginn der Sitzung ein großes Stühlerücken. Dann muss jeder den Platz einnehmen, der ihm zukommt.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Februar 2009


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