Die Burka und die Werte Frankreichs
2000 Frauen zeigen sich nur voll verschleiert - doch es werden immer mehr
Von Ralf Klingsieck, Paris *
Auf Initiative André Gerins, des kommunistischen Bürgermeisters von
Vénissieux bei Lyon, hatte Frankreichs Parlament im Juni eine Kommission
ins Leben gerufen, die prüfen soll, ob das Tragen der Burka, des
islamischen Gesichtsschleiers, zu verbieten sei. Die Kommission hat ihre
Anhörungen jetzt abgeschlossen.
178 Persönlichkeiten wurden im Verlaufe der Anhörungen durch die
Kommission befragt. Das Gehörte soll bis Ende Januar in einem bericht
zusammengefasst werden, woraus gegebenenfalls ein Gesetzesvorschlag
abzuleiten wäre. Das dürfte den Kommissionären nicht leicht fallen, denn
zwar waren sich fast alle Sprecher in der Verurteilung der Burka einig,
doch die Meinungen, wie man darauf reagieren sollte, sind geteilt.
Viele Parlamentarier sind zugleich Bürgermeister und haben in ihren
Gemeinden, so wie André Gerin, Erfahrungen mit dem Phänomen des
Burka-Tragens gemacht. »Vor 25 Jahren habe ich islamische Mütter mit
Wangenkuss begrüßt. Sie trugen Jeans und T-Shirt«, erinnerte sich Xavier
Lemoine, Bürgermeister von Montfermeil nahe Paris, bei seiner Anhörung.
»Vor 15 Jahren konnte ich ihnen nur noch die Hand geben. Heute ist
selbst das nicht mehr möglich. In diesem Trend zur demonstrativen
Distanz liegt auch die Burka. Im Landesmaßstab mag das nur 0,5 Prozent
der Frauen betreffen, aber in unseren Sozialwohnsiedlungen sind es
manchmal 30 bis 40 Prozent.«
Der zur rechten Regierungspartei UMP gehörende Kommunalpolitiker ist
überzeugt: »Moderne Demokratie und Islam sind nicht kompatibel. Wir
müssen durchsetzen, dass Bürger muslimischer Kultur oder Religion
zumindest ihr Verhalten unseren republikanischen Werten anpassen.«
Auch der sozialistische Bürgermeister von Cachan bei Paris, Jean-Yves Le
Bouillonnec, hält den Ganzkörperschleier für einen »Angriff auf die
Grundlagen der Republik« und meint: »Das können wir nicht tolerieren,
denn dabei handelt es sich um eine bewusste Provokation. Die Frage ist
nur: Wie sollen wir reagieren?«
Für seinen Parteifreund Renaud Gauquelin, Bürgermeister des
Rhône-Städtchens Lillieux-le-Pape, ist das Problem noch umfassender: »In
meiner Stadt gibt es nur zwei Burka-Trägerinnen, aber wir haben es mit
immer mehr Frauen zu tun, die beispielsweise verschleiert ins Schwimmbad
wollen oder einen für Frauen reservierten Tag im Schwimmbad fordern.
Immer öfter gibt es auch Probleme mit islamischen Frauen - oder deren
Ehemännern -, die eine Behandlung durch Ärzte ablehnen und auf einer
Ärztin bestehen. Hier fehlt eine einheitliche, konsequente Gesetzgebung.
Die Bürgermeister müssen das für ihre Kommune allein entscheiden, aber
damit riskieren wir landesweit 36 000 unterschiedliche Regelungen.«
Einer Untersuchung des Innenministeriums zufolge, die der Kommission
vorlag, gibt es in ganz Frankreich, wo sich vor 20 Jahren so gut wie
niemand gänzlich verschleierte, gegenwärtig etwa 2000 Burka-Trägerinnen,
und es werden immer mehr. Die Hälfte von ihnen sind jünger als 30 Jahre.
Jede Vierte ist nicht einmal muslimischer Herkunft, sondern stammt aus
einer originär französischen Familie und ist zum Islam übergetreten.
»Diese Frauen sind meist besonders eifrig in ihrem Glauben, oft stehen
sie unter dem Einfluss radikaler Imame.« Das Ministerium wertet dies als
Zeichen einer von radikalen Kräften erstrebten »Re-Islamisierung«.
Die Parlamentskommission hat auch die Vertreter des Islamischen
Glaubensrates angehört, der verschiedene Religionsgemeinschaften und
Organisationen in Frankreich vereint, die sich zunächst untereinander
auf einen Kompromisstext einigen mussten. Schließlich erklärten sie, das
Tragen der Burka werde weder durch den Koran noch durch andere
Glaubensregeln vorgeschrieben oder empfohlen, es handle sich vielmehr um
»die Praxis einer Minderheit«. Doch distanzierten sich die Vertreter des
Rates auch nicht von Burka-Trägerinnen, radikale Imame wurden nicht
verurteilt. Ein gesetzliches Verbot bezeichneten sie als
»kontraproduktiv und nicht durchsetzbar«, vielmehr werde dadurch »eine
ganze Religion stigmatisiert«.
Selbst Menschrechtsaktivisten sind gespalten. Die einen sehen in der
Burka ein Zeichen der Unterdrückung der Frau - egal ob sie den Schleier
freiwillig trägt oder nicht. Darum plädieren sie entschieden für eine
gesetzliche Regelung. Andere sehen in Verboten eine »Diskriminierung im
Namen der Neutralität«. So gehen die Meinungen, ob man die Burka
generell in der Öffentlichkeit oder »nur« in Schulen, Behörden und
anderen öffentlichen Einrichtungen oder gar nicht verbieten soll, weit
auseinander - selbst bei den drei Ministern, die von der Kommission zum
Schluss angehört wurden. Ein gesetzliches Burka-Verbot müsste ja auch
durchgesetzt werden. Andernfalls wäre die Republik unglaubwürdig.
Zuwiderhandlungen müssten also bestraft, im Wiederholungsfall müssten
die Strafen verschärft werden. Doch will und kann man das wirklich?
Selbst Präsident Nicolas Sarkozy scheint unentschlossen. Zwar erklärte
er die Burka in Frankreich für »unerwünscht«, doch will er sich zumal
nach dem Schweizer Minarettverbot nicht dem Vorwurf eines an den rechten
Rand der Gesellschaft schielenden Populismus aussetzen.
* Aus: Neues Deutschland, 23. Dezember 2009
Zurück zur Frankreich-Seite
Zur Islam-Seite
Zurück zur Homepage