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Verhüllte Konfrontation

Parlament in Paris diskutierte Burka-Verbot

Von Ralf Klingsieck, Paris *

In Frankreich hat die Parlamentsdebatte über das Burka-Verbot begonnen. Ein neues Gesetz soll das Tragen von muslimischen Vollschleiern in der Öffentlichkeit komplett untersagen.

Um Stunden verspätet durch aktuelle Fragen der Opposition an die Regierung zum Woerth-Bettencourt-Skandal begann in der Pariser Nationalversammlung erst am Dienstagabend die Debatte über den Gesetzentwurf zum Burka-Verbot. Trotz der fortgeschrittenen Stunde ging es hoch her Doch wenngleich die Opposition das von der Regierung eingebrachte Gesetz scharf kritisiert, so zeichnet sich doch ab, dass sie bei der für Dienstag angesetzten Abstimmung nicht durchweg dagegen stimmen wird.

Bei der Vorlage des Gesetzes betonte Justizministerin Michèle Alliot-Marie: »Der Ganzkörperschleier löst die Identität der einzelnen Person in der einer Gemeinschaft auf. Dadurch wird die Integration in Frage gestellt, die sich auf die Respektierung der Werte unserer Gesellschaft gründet.« Der Gesetzentwurf sieht ein Verbot für das Tragen der Burka in der Öffentlichkeit vor. Bei Verstößen droht eine Geldbuße von 150 Euro. Außerdem kann die Teilnahme an einem Kurs über Rechte und Pflichten der Staatsbürger angeordnet werden.

Wesentlich schärfere Strafen droht das Gesetz denen an, die Frauen zum Tragen der Burka zwingen. Hier kann eine Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr und eine Geldbuße bis 30 000 Euro verhängt werden. Strafen sollen es allerdings erst sechs Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes geben Bis dahin soll »mit den Frauen, die freiwillig einen Ganzkörperschleier tragen, ein Dialog geführt und versucht werden, sie zu überzeugen«.

Nach Erkenntnissen der Regierung tragen gegenwärtig in Frankreich etwa 2000 Frauen einen je nach Schnitt Burka oder Niqab genannten Ganzkörperschleier. Ein Verbot gibt es in Europa bisher sei April in Belgien. Nicht zuletzt weil Umfragen zufolge zwei Drittel der Franzosen ein Burka-Verbot in der Öffentlichkeit unterstützen, stellt sich die Opposition nicht kategorisch gegen den Gesetzentwurf der Rechtsregierung. »Wir werden uns dem Gesetz nicht in den Weg stellen, denn das würden die Franzosen nicht verstehen«, erklärte der Fraktionsvorsitzender der Sozialisten, Jean-Marc Ayrault. Seine Partei hat allerdings Vorbehalte und will das Tragen der Burka in aller Öffentlichkeit nicht total, sondern allein in öffentlichen Gebäuden, Verkehrsmitteln und Geschäften verbieten.

So hatte es vor Monaten schon der Staatsrat, der oberste Verwaltungsgerichtshof, in einem Gutachten vorgeschlagen und zu bedenken gegeben, dass ein Totalverbot vom Verfassungsrat als unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt werden könnte. Sollten jetzt die Regierung und ihre im Parlament übermächtige Einheitspartei UMP nicht auf diese Änderungswünsche eingehen, dann wollen die sozialistischen Abgeordneten der Abstimmung überwiegend fernbleiben.

Der Abstimmung fernbleiben wollen auch die kommunistischen Abgeordneten. Sie meinen, ein Verbot und die Drohung mit Polizei und Gerichten seien der falsche Weg. Man müsse sich vielmehr um die bessere Integration der betreffenden Frauen und ihrer Familien kümmern. Schließlich handele es sich nur um eine Minderheit unter den 4,4 Millionen Muslimen in Frankreich. Sie könnten sich durch das Gesetz stigmatisiert und ausgegrenzt fühlen, was wiederum zu Frustration, Verhärtung und Gewaltbereitschaft führen dürfte.

Für das Gesetz stimmen wird dagegen der KP-Abgeordnete André Gerin, der die Debatte über ein Burka-Verbot angestoßen hat und der Vorsitzender einer Parlamentskommission zu diesem Thema war. Auf jeden Fall gegen das Gesetz stimmen wollen nach bisherigen Erklärungen die drei Abgeordneten der Grünen, die das generelle Burka-Verbot als Angriff auf die Meinungs- und Religionsfreiheit werten.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Juli 2010


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