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Taliban wurden zu Titelhelden

Polemik um den Tod von zehn französischen Soldaten bei Kabul

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Zwei Wochen nach dem Tod von zehn französischen Soldaten in einem Hinterhalt nahe Kabul durften sich die Täter in einem Interview für die Illustrierte »Paris-Match« der Tat rühmen.

Eine Gruppe von Taliban posierte für den Fotografen mit erbeuteten französischen Uniformen und Maschinenpistolen, die sie ihren Opfern abgenommen hatten. Das Treffen der zwei Journalisten mit der fast 30-köpfigen Gruppe fand in einem Tal statt, das zwei Autostunden vom nächsten Stützpunkt der NATO entfernt liegt und 20 Minuten zu Fuß vom nächsten Dorf. Kommandant Farouki, wie die meisten seiner Leute wohl zwischen 30 und 35 Jahre alt, erklärte, ihm unterstünden 500 Mann. Das Gespräch, das auf seine Initiative und durch Vermittlung afghanischer Journalisten zustande kam, dauerte nur wenige Minuten. »In dieser Umgebung hält sich niemand gern lange auf«, räumte der Reporter ein.

Auf die Frage nach dem Grund für den Angriff auf die französische Patrouille sagte Kommandant Farouki: »Sie haben unser Gebiet verletzt. Das Uzbin-Tal ist unser Territorium. Dorfbewohner haben sie Tage zuvor gewarnt, die Grenze zu dem Tal nicht zu überschreiten, aber sie haben nicht auf sie gehört. Für uns war es Notwehr.« Ob die Taliban vorab informiert waren, wollte der Reporter wissen. »Nicht vorher, aber am Tag selbst haben wir so rechtzeitig vom Nahen der Fahrzeugkolonne gehört, dass wir noch Zeit hatten, unsere Positionen zu besetzen. Das ging schnell. Wir haben überall in den Bergen Waffenverstecke. Wir waren 140 Mann und haben sie an einer günstigen Stelle erwartet. Wenn nicht die Dunkelheit eingebrochen wäre, hätten wir sie alle erledigt.«

Auf die Frage, ob sie Gefangene gemacht und diese gefoltert hätten, sagte Kommandant Farouki: »Nein. Diese Männer sind für Bush und für euren Präsidenten gefallen. Wir wollen niemanden töten, wir haben nichts gegen die Franzosen. Wenn sie abziehen, ist alles gut. Doch solange ihr bei uns seid, werden wir euch töten, alle. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit werden wir wieder so handeln. Mit unserem Angriff wollten wir den französischen Soldaten zeigen, dass sie aufhören sollen, den Amerikanern zu helfen. Es war nur eine Warnung. Das nächste Mal schlagen wir da zu, wo sie sich verschanzt haben. Wir werden französische Interessen überall in der Welt angreifen.«

Der Reporter wollte wissen, ob die Taliban von der Bevölkerung unterstützt werden. »Nicht wirklich«, räumte der Talibanführer ein. »Wir lassen sie in Ruhe und sie verraten uns nicht. Aber immer mehr junge Leute kommen von sich aus zu uns. Das ist nach jedem Bombenangriff der NATO-Flugzeuge so. Jedes bombardierte Haus bringt uns mindestens einen neuen Kämpfer. Das ist der Geist der Rache, das ist hier ganz normal.« Auf die abschließende Frage, ob sie zu Verhandlungen mit der Regierung in Kabul bereit seien, sagte Kommandant Farouki entschieden: »Es wird keinerlei Verhandlungen geben, solange Ausländer im Land sind.«

Das am vergangenen Donnerstag von »Paris-Match« abgedruckte Interview und nicht zuletzt die Fotos haben in Frankreich die Polemik neu angefacht, die schon unmittelbar nach dem tödlichen Gefecht entbrannt war und bei der es vor allem darum ging, ob man nicht zu unerfahrene Soldaten losgeschickt habe und nicht vorab die Strecke durch Luftaufklärung hätte absichern müssen. Nahrung bekamen solche Vorwürfe durch die Worte des französischen Oberkommandierenden in Afghanistan, General Benoit Puga: »Wir haben uns zu sicher und überlegen gefühlt.« Dafür rüffelte ihn sein Minister.

Zu all diesen Auseinandersetzungen meinte jetzt ein Kommentator: »Nach dem Feuergefecht in den Bergen sind die Taliban nun dabei, auch die Propaganda-schlacht zu gewinnen.« Ganz in diesem Sinne und sehr verärgert reagierte Verteidigungsminister Hervé Morin auf das Interview der »Paris-Match«: »Natürlich ist die Presse frei zu berichten, aber das muss doch verantwortungsbewusst gehen. Hier aber wurde Propaganda für die Taliban verbreitet, die wissen, dass ihnen die NATO-Kräfte im Land militärisch überlegen sind, dass diese an Terrain gewinnen und ein Tal nach dem anderen befrieden.« Die afghanische Armee werde darauf vorbereitet, Schritt für Schritt selbst diese Positionen einzunehmen. »Wenn die Taliban unter diesen Umständen siegen wollen, dann über die schwache Flanke der westlichen Demokratie, ihre öffentliche Meinung«, meinte der Minister. »Die Taliban kennen die Bedeutung der Kommunikation. Sie nutzen das und zielen auf die Achillesferse unserer Demokratie, die Öffentlichkeit, die Druck ausüben und einen Rückzug unserer Soldaten erzwingen soll.«

Tatsächlich sind Umfragen zufolge mehr als 70 Prozent der Franzosen gegen das militärische Engagement in Afghanistan. Die Polemik in den Medien macht aber auch die Fragwürdigkeit der offiziellen Verlautbarungen deutlich. So geht aus einem internen Untersuchungsbericht hervor, dass die Soldaten der überfallenen Patrouille sechs Stunden auf Hilfe durch Artilleriefeuer, Hubschrauber und andere Einheiten warten mussten. Während die Armeeführung offiziell behauptete, praktisch alle ums Leben gekommenen Soldaten seien gleich zu Beginn des Feuerwechsels gefallen, traf das in Wirklichkeit nur auf drei zu. »Die restlichen hätten gerettet werden können, wenn schneller Entsatz gekommen wäre«, schätzt der Bericht ein.

* Aus: Neues Deutschland, 8. September 2008


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