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Nordischer Rat wird 60

Staatenorganisation orientiert sich zunehmend auf Arktis und Militärfragen

Von Gregor Putensen *

Heute treffen sich die Regierungschefs der fünf nordischen Länder anlässlich des 60. Geburtstages des Nordischen Rates in Helsinki.

Die Idee von der historisch-kulturellen Zusammengehörigkeit Dänemarks, Islands, Finnlands, Norwegens und Schwedens fand als organisatorische Struktur 1952 in der Bildung des Nordischen Rats, dem Finnland erst 1955 nach Billigung durch die UdSSR beitrat, ihre international bedeutsamste Verkörperung. Die erfolgreichste Phase verzeichnete diese Integrationsstruktur des Nordens in der für die Bürger direkt nachvollziehbaren Alltagssphäre (Passunion, gemeinsamer Arbeitsmarkt u. a.) noch vor der damals sich herausbildenden EWG. Obwohl die Beschlüsse des Nordischen Rates als sogenanntes Konsultativorgan ohne bindenden Charakter für die einzelnen nordischen Staaten gefasst wurden, hat man etwa 60 Prozent konkret umgesetzt.

Vor dem Hintergrund der Ost-West-Konfrontation blieben mit Blick auf den unterschiedlichen sicherheitspolitischen Status - Dänemark, Island und Norwegen waren seit 1949 NATO-Mitglieder, Finnland und Schweden dagegen formal allianzfrei - Fragen der Verteidigungspolitik aber ausgeklammert. Zudem schränkte der Integrationsprozess in Westeuropa hin zur Europäischen Union die Bedeutung des Rats ein. Island und Norwegen sind bis heute außerhalb der politischen EU-Strukturen verblieben.

Seit einigen Jahren zeigen sich jedoch in allen nordischen Ländern unverkennbare Bestrebungen, dem Gremium wieder ein deutlich höheres Gewicht zu verleihen, vor allem mit Blick auf regionalspezifisch neue Problemfelder. Besonderer Ausdruck hierfür war das 2009 vom ehemaligen norwegischen Außenminister Thorvald Stoltenberg verfasste 13-Punkte-Memorandum über künftige gemeinsame Aktivitäten im arktischen Raum und in der Ostseeregion. Bei aller Bezugnahme auf die klimabedingten Veränderungen in der Arktis und den damit verknüpften Fragen der Erschließung dortiger Ressourcen sowie neuer subpolarer Schifffahrtswege gab es eine deutliche militärische Akzentuierung. Auch wenn es offiziell niemand sagt, traut man Russland sicherheitspolitisch nicht.

Das Memorandum orientiert auf die Verknüpfung waffentechnischer Fähigkeiten und die Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit, die sich de facto in Anlehnung an die NATO vollziehen soll. Dabei spielt die Bündnisfreiheit Finnlands und Schwedens nur noch eine formale Rolle. So bekannten sich die drei Oberbefehlshaber der Streitkräfte Schwedens, Finnlands und Norwegens in einem gemeinsamen Beitrag in der Zeitung »Svenska Dagbladet« zur zielgerichteten Entwicklung einer »nordischen Militärkooperation«.

Die koordiniertere Rüstungsbeschaffung bei beschränkten Militärbudgets, die gemeinsame Weiterentwicklung von Waffensystemen oder die nationale Grenzen überschreitenden Manöver würden die bisherigen Fortschritte belegen. Demnächst könnten Finnland und Schweden über Island, das über keine eigenen Streitkräfte verfügt, Patrouille fliegen. In Stockholm haben die oppositionellen Sozialdemokraten als größte Partei des Landes der bürgerlichen Koalitionsregierung bereits ihre Zustimmung zu diesem Vorhaben signalisiert, von Helsinki wird nun auf der heutigen Jubiläumstagung des Nordischen Rats eine verbindliche Zusage erwartet. Wobei Finnlands Außenminister Tuomijoja eine zumindest symbolische Distanz zur NATO zur Voraussetzung machte und eine Bewaffnung der Flugzeuge ablehnte.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 30. Oktober 2012


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