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Südamerika für Assange

Staatenbund UNASUR stellt sich hinter Ecuador

Von Jürgen Heiser *

Am Sonntag abend (Ortszeit) hat sich die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) im Streit zwischen Ecuador und Großbritannien im die Asylgewährung für Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange einmütig hinter die Regierung in Quito gestellt. Bei einem nur zu diesem Thema einberufenen Gipfeltreffen solidarisierten sich die Außenminister in Guayaquil mit Ecuador und bekräftigten die Unantastbarkeit diplomatischer Vertretungen und des Asylrechts. Die UNASUR fordert direkte Verhandlungen, um »eine für alle Seiten annehmbare Lösung im Rahmen des internationalen Rechts« zu finden. Assanges Hauptverteidiger, der ehemalige spanische Ermittlungsrichter Baltasar Garzón, legte der Regierung in Quito unterdessen eine Anrufung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag nahe, um freies Geleit für seinen Mandanten zu erstreiten.

Nur wenige Stunden zuvor hatte sich Assange am Sonntag vom Balkon der ecuadorianischen Botschaft in London aus an die Öffentlichkeit gewandt. Zwei Monate, nachdem er in der Vertretung Schutz gesucht hatte, dankte er seinen Unterstützern in einer rund zehnminütigen Ansprache. Einige hundert hatten es geschafft, die Polizeiabsperrungen zu überwinden und sich vor dem Gebäude zu versammeln. Obwohl Ecuador Assange Asyl gewährt hat, beharrt die britische Regierung darauf, diesen »zur Befragung« an Schweden auszuliefern. London wie Stockholm verweigern jedoch eine Garantie dafür, den Australier anschließend nicht an die USA zu überstellen. Dort könnten ihm wegen der Enthüllungen von Wikileaks lebenslange Haft oder Todesstrafe drohen.

Den Worten Assanges zufolge war die von London angedrohte Erstürmung der Botschaft nicht nur Rhetorik. Mittwoch nacht habe er gehört, wie Polizeieinheiten nach Einbruch der Dunkelheit im Inneren des Gebäudes die Feuertreppe besetzten. »Aber weil ihr da wart, wußte ich, daß es Zeugen geben würde.« Das Vereinigte Königreich habe nur deshalb nicht die Wiener Konvention gebrochen und die diplomatische Vertretung besetzt, weil die Augen der Welt auf die Situation gerichtet seien.

Einen besonderen Dank richtete Assange an Ecuadors Präsidenten Rafael Correa »für den Mut, den er bewiesen hat, indem er meine Bitte um politisches Asyl geprüft und es gewährt hat«. Weiter dankte er dem ecuadorianischen Volk und der »Mannschaft dieser Botschaft«, deren Familien in London lebten »und die mir trotz aller Drohungen Gastfreundschaft und Freundlichkeit gezeigt haben«. Unter dem zustimmenden Jubel der Unterstützer betonte Assange, wann immer behauptet werde, es sei sinnlos, für sein Recht zu kämpfen, solle daran erinnert werden, »wie die Sonne über einer veränderten Welt aufging, nachdem eine mutige lateinamerikanische Nation für Gerechtigkeit eingetreten war«.

Mit der Aufforderung, »das Richtige zu tun«, wandte sich Assange direkt an US-Präsident Barack Obama. Dabei hob er ausdrücklich die Verfolgung des US-Obergefreiten Bradley Manning hervor, der seit über 800 Tagen in Untersuchungshaft des Pentagon sitze, obwohl die legale Obergrenze dafür bei 120 Tagen liegt. Manning soll Wikileaks mit Interna aus US-Computernetzwerken über die Kriege in Afghanistan und Irak versorgt haben. »Wenn Bradley Manning wirklich getan hat, was ihm zur Last gelegt wird, dann ist er ein Held, ein Beispiel für uns alle und einer der wichtigsten politischen Gefangenen weltweit«, erklärte Assange.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 21. August 2012


Lektion in Völkerrecht für London

Unterstützung für Ecuador im Fall Assange

Von Harald Neuber **


Ecuador bekommt im diplomatischen Streit mit Großbritannien um die mögliche Ausreise von Julian Assange Unterstützung aus Lateinamerika. Nach Dringlichkeitssitzungen im ecuadorianischen Guayaquil stellten sich die Mitgliedstaaten der Regionalorganisationen ALBA und Unasur am Sonntag (Ortszeit) demonstrativ vor die Regierung von Präsident Rafael Correa. Die US-dominierte Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) konnte sich derweil trotz zweitägiger Beratungen weder zu einer Erklärung noch zur Einberufung des von Ecuador geforderten Außenministertreffens durchringen.

Nach dem Treffen aller zwölf Außenminister der Union südamerikanischer Nationen verlas Unasur-Generalsekretär Alí Rodríguez eine Sieben-Punkte-Deklaration. Darin erklärten Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Guyana, Kolumbien, Paraguay, Peru, Suriname, Uruguay und Venezuela ihre Solidarität mit Ecuador, dessen Außenminister Ricardo Patiño ebenfalls an der Unterredung teilnahm. Zugleich forderten die Staaten unabhängig von der politischen Ausrichtung ihrer Regierungen Respekt vor völkerrechtlichen Regelungen wie den beiden Wiener Verträgen über den Schutz diplomatischer Vertretungen. Die Abkommen waren 1961 und 1963 entstanden und sind auch für Großbritannien bindend.

Explizit wiesen die Unasur-Außenminister die indirekte Drohung zur Erstürmung der ecuadorianischen Botschaft in London zurück. In einer diplomatischen Note, einem sogenannten Aide-Mémoire, hatte der britische Gesandte in Ecuador mit solch einem Schritt gedroht und ein britisches Gesetz aus dem Jahr 1987 angeführt. »Wir weisen auf das geltende völkerrechtliche Prinzip hin, nach dem nationales Recht nicht angeführt werden kann, um internationalen Verpflichtungen nicht nachkommen zu müssen«, erklärten die Unasur-Vertreter, um die britische Regierung auf Artikel 27 der »Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge« von 1969 zu verweisen. Schließlich wurden alle an dem laufenden Konflikt beteiligten Parteien zum Dialog aufgefordert.

Noch deutlicher als die Unasur-Staaten reagierten die Mitglieder des linksgerichteten Staatenbündnisses ALBA. Nach einer Sitzung des Politischen Rates der Regionalorganisation drohte die Allianz Großbritannien in einer gesonderten Erklärung mit »ernsthaften Konsequenzen«, sollten die Behörden die Souveränität der ecuadorianischen Botschaft in der britischen Kapitale verletzen. Es seien bei dem Gremientreffen »einige entsprechende Ideen« beraten worden, sagte Venezuelas Außenminister Nicolás Maduro bei einer anschließenden Pressekonferenz. »Wir hoffen aber, dass sich die Vernunft durchsetzt und die Drohungen (Großbritanniens) auf dem Papier verbleiben«, zitiert die spanische Nachrichtenagentur EFE Venezuelas Chefdiplomaten weiter.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 21. August 2012


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