Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gefangen in der Botschaft

Ecuador drängt weiter auf diplomatische Lösung im Streit um Julian Assange

Von Harald Neuber *

Trotz britischer Auslieferungsbemühungen wird Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange die ecuadorianische Botschaft in London vermutlich bis auf Weiteres nicht verlassen. Der Australier sei notfalls bereit, noch »mindestens fünf weitere Jahre« in dem Diplomatengebäude auszuharren, sagte Ecuadors Außenminister Ricardo Patino am Montag nach einem Gespräch mit seinem britischen Amtskollegen William Hague, das keine Annäherung zwischen beiden Staaten brachte. Beide Außenminister wollten zwar »die Kommunikationskanäle offen halten, erzielten aber keinen Durchbruch«, hieß es in London – fast exakt ein Jahr nach Assanges Flucht in das Botschaftsgebäude am 19. Juni 2012.

Kurz vor dem ersten Jahrestag seiner Flucht in die ecuadorianische Botschaft in London trat der Mitbegründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, am Sonntag vor die Öffentlichkeit. Unter dem Jubel von über 100 Unterstützern im Zentrum der britischen Hauptstadt ließ sich der 41-Jährige gemeinsam mit dem ecuadorianischen Außenminister Ricardo Patiño fotografieren. »Julian, amigo, Ecuador está contigo«, skandierten die Anhänger des Internetaktivisten: »Julian, Freund, Ecuador ist bei dir.«

Dieser Gewissheit zum Trotz kann Assange auf keine rasche Lösung seines Dilemmas hoffen. Auch ein Jahr nachdem er in der Botschaft des südamerikanischen Landes Zuflucht gesucht hatte, bleiben die Fronten zwischen London und Quito verhärtet. Derweil lebt Assange in einem 20 Quadratmeter großen Raum des rot geziegelten viktorianischen Gebäudes im historischen Zentrum der britischen Kapitale. Dorthin hatte er sich am 19. Juni vergangenen Jahres geflüchtet, nachdem er unter Auflagen aus der Haft entlassen worden war. Zwei Monate später hatte Ecuadors Regierung Assange politisches Asyl gewährt. Seither ist die Botschaft Tag und Nacht von britischen Polizisten eingekreist.

Assange sieht sich als Opfer politischer Verfolgung. Er habe Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft gesucht, um einer Auslieferung nach Schweden zu entgehen, sagt er. Dort ist gegen den Mitbegründer der Enthüllungsplattform Wikileaks ein Verfahren wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe anhängig. Der Angeklagte hält das für einen Winkelzug: Die Auslieferung nach Schweden sei nur ein Vorwand, um ihn an die USA zu übergeben. Dort befürchtet Assange ein unfaires Verfahren wegen Geheimnisverrats, nachdem Wikileaks Hunderttausende geheime US-Depeschen veröffentlicht hat. Theoretisch kann das Verfahren mit der Todesstrafe enden. Realistisch betrachtet würde der 41-Jährige nach einer Auslieferung an die USA wohl nie wieder das Licht der Freiheit erblicken.

Dann also besser in der ecuadorianischen Botschaft in London. Dort sei Assange »guten Mutes«, sagte Ecuadors Außenminister nach dem Treffen am Sonntag. Mit Patiño besucht der bislang ranghöchste Vertreter der südamerikanischen Regierung den Flüchtling in der Botschaft. Nach einem Treffen am frühen Sonntagabend kamen weitere Gäste, unter ihnen der argentinische Sänger Piero, der einige Lieder spielte. Solche Events gehören inzwischen zum Alltag von Assange und sollen seinen Fall in den Medien halten. Unlängst kam er mit dem Sänger des in Lateinamerika populären Hip-Hop-Duos Calle 13 zusammen. Assange kommen solche Treffen zupass: Sie helfen ihm, sich weiterhin als eine Art Popikone der internationalen Bewegung für Informationsfreiheit zu inszenieren.

Weit weniger Entwicklung gibt es auf diplomatischer Ebene. Nach einem ersten Sondierungsgespräch am 17. September vergangenen Jahres in New York kamen Ricardo Patiño und sein britischer Amtskollege William Hague am Montag in London zusammen. Vereinbart wurde dabei die Gründung einer Arbeitsgruppe. Juristen beider Staaten sollen eine Lösung des Falls auf völkerrechtlicher Basis finden. Es gebe »unterschiedliche Rechtsauffassungen«, gestand Ecuadors Chefdiplomat ein. Großbritannien verwehrt Assange freies Geleit, um das Land verlassen zu können. Man sei verpflichtet, den Aktivisten nach Schweden auszuliefern, hatte Hague vergangenes Jahr gesagt – und diese Position bis heute nicht verändert. Patiño übergab der britischen Regierung nun ein eigenes juristisches Gutachten. Darin werde erklärt, weshalb die britischen Behörden dem 41-Jährigen als politischem Flüchtling sogar freies Geleit gewähren müssten.

Während Vertreter des britischen Außenministeriums immer wieder den Willen zu einer diplomatischen Lösung betonen, hörte sich eine offizielle Erklärung des Londoner Außenamtes nach dem Ministertreffen negativer an. Trotz der Einrichtung der Expertenkommission habe es »keine substanziellen Fortschritte gegeben«. Nicht nur in der britischen Presse wird derweil über unkonventionelle Lösungen diskutiert. Assange könnte von Ecuador ein diplomatischer Status verliehen werden. Oder er könnte in einem Diplomatenauto oder einem Gepäckstück aus der Botschaft geschmuggelt werden. Patiño erteilte diesen wenig praktikablen Methoden indes eine Absage. Assange werde die Botschaft »erhobenen Hauptes und nicht versteckt verlassen«. Ecuador sei notfalls bereit, den Fall vor den Internationalen Strafgerichtshof zu tragen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 19. Juni 2013

Wikileaks in der Krise

Es ist still geworden um die Enthüllungsplattform Wiki-leaks. Seit der Flucht von Mitbegründer Julian Assange kämpft man ums Überleben. Schlagzeilen machen konkurrierende Projekte wie die Plattform Offshore-Leaks, die unlängst Informationen über Steuerflüchtlinge veröffentlichte.

Für die Krise gibt es mehrere Gründe: Die Repression gegen die Plattform und das aggressive Vorgehen gegen Assange dürften dazu beigetragen haben. Ebenso die schwierige Situation des Aktivisten, der ohne einen nahen Ausweg in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzt. Assange hat sich mit einstigen Mitstreitern ebenso überworfen wie mit seinem Ex-Anwalt Mark Stephens. Auch die von ihm bestrittenen Vorwürfe aus Schweden wegen angeblicher Sexualdelikte haben dem Vorhaben geschadet.

Einen Hinweis darauf gab unlängst die deutsche Wau-Holland-Stiftung, die sich für Informationsfreiheit einsetzt. Dem Transparenzbericht der Hamburger Organisation zufolge wurden von 2010 bis 2012 noch knapp 1,5 Millionen Euro für Wikileaks gespendet. Nach dem Einbruch der Spenden zahlt die Stiftung derzeit nur noch die Serverkosten von rund 8000 Euro.

Der Medienprofi Assange weiß, dass er in die Offensive gehen muss. Nach dem größten Coup, der Veröffentlichung Hunderttausender geheimer US-amerikanischer Depeschen, bewirbt sich der 41-Jährige nun in seinem Herkunftsland Australien um einen Senatsposten und will eine Wikileaks-Partei gründen. Die Idee könne auch in den USA oder Großbritannien Fuß fassen, so Assange: »Dies würde die USA dazu zwingen, ihren Krieg gegen Wikileaks zu beenden.« Die eigentliche Quelle für seine Enthüllungen, der US-Soldat Bradley Manning, muss sich derweil für den nach Ansicht von Experten spektakulärsten Geheimnisverrat in der US-Geschichte vor einem Militärgericht verantworten.

H.N.




Edward Snowden kündigt weitere Enthüllungen an

USA-Präsident Barack Obama verteidigt die flächendeckende Ausspähung des Internets durch den Geheimdienst NSA

Von Olaf Standke **


Auf den Spuren von Julian Assange: Der in Hongkong untergetauchte Informant Edward Snowden hat jetzt neue Enthüllungen über US-Geheimdienste angekündigt. Er werde »weitere Details« über die Überwachung von Internetnutzern durch die National Security Agency preisgeben.

Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange nannte ihn einen »Helden, der die Öffentlichkeit über eines der wichtigsten Ereignisse des Jahrzehnts informiert hat«. Er selbst sowie Journalisten und Bürgerrechtler hätten bereits seit langer Zeit Spionageaktivitäten im Internet angeprangert, und er sei auch indirekt in Kontakt mit dem Prism-Enthüller gewesen: »Wir hatten indirekte Gespräche mit seinen Leuten.« Der »Guardian« und die »Washington Post« deckten mit Snowdens Hilfe die Existenz des Spähprogramms Prism auf, mit dem die NSA die Nutzerdaten großer Internetkonzerne wie Google oder Facebook auswertet.

Es sei »sehr erfreulich«, dass der Öffentlichkeit nun »solche klaren und konkreten Beweise« präsentiert würden, betonte Assange. Auch dem nach Hongkong geflüchteten Snowden müsse Asyl gewährt werden, forderte er, schließlich befinde sich der 29-Jährige in einer »sehr ernsten Lage«. Ihm droht die Strafverfolgung in den USA. Snowdens Motiv für die Weitergabe von vertraulichen Dokumenten: Er habe die Öffentlichkeit über die »massive Überwachungsmaschine« und den systematischen Verlust der Privatsphäre informieren wollen.

USA-Präsident Barack Obama hat die Spähprogramme des Geheimdienstes gerade noch einmal verteidigt und die Furcht vor einem unkontrollierten Ausspionieren von Internetnutzern und Telefonkunden zu zerstreuen versucht. Für Prism und für das Programm zur Überwachung von Telefonaten gelte ein Kontrollsystem, der »Kongress überwacht es, Bundesgerichte überwachen es«, sagte Präsident Obama am Montag (Ortszeit) dem US-amerikanischen Fernsehsender PBS.

Snowden, der als Computertechniker einer externen Beratungsfirma im US-Bundesstaat Hawaii für die NSA gearbeitet hat, unterstreicht dagegen, dass den Analysten weitgehend freie Hand beim Ausspähen gelassen werde. NSA-Mitarbeiter könnten Zugang zu Informationen bekommen, egal wonach sie suchen: »Telefonnummer, E-Mail, Benutzername, Handy-Identifikationsnummer – es macht keinen Unterschied.« Die Einschränkungen seien nicht technischer, sondern politischer Natur. Kontrollen seien sehr lückenhaft, die Gerichtsbeschlüsse, die der Überwachung zugrunde liegen, würden nur selten überprüft. Die Ausrede der Geheimdienste sei, dass bei der Suche nach Terrorverdächtigen zufällig eben auch die Daten unbescholtener Bürger abgegriffen würden. »Aber am Ende hat irgendjemand bei der NSA deine Kommunikationsdaten«, sagte Snowden, der sich auf der Webseite des »Guardian« den Fragen von Internetnutzern stellte.

Er wies auch alle Anschuldigungen zurück, ein chinesischer Spion zu sein. Er sei geflohen, weil er befürchtet habe, kein faires Verfahren in seiner Heimat zu bekommen. Die US-Regierung habe ihn wie andere Informanten zuvor unverzüglich des Landesverrats für schuldig erklärt und so jede Möglichkeit auf einen fairen Prozess zerstört. Snowden will sich jetzt um politisches Asyl bemühen. Die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong unterhält mit den USA allerdings ein Auslieferungsabkommen.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 19. Juni 2013


Zurück zur Ecuador-Seite

Zur USA-Seite

Zurück zur Homepage